Kolumne Elterntaxis – darum werden sie für die Schulen zum Problem

Von Marianne Siegenthaler

10.2.2020

Der Schulweg ist wichtig für die kindliche Entwicklung und gibt dem Kind ein Stück Freiraum.
Der Schulweg ist wichtig für die kindliche Entwicklung und gibt dem Kind ein Stück Freiraum.
Bild: Keystone

Der Schulweg ist für Kinder der erste Freiraum, den ihnen die Eltern nicht nehmen sollten. Das ist aber nicht der einzige Grund, besser auf Taxidienste zu verzichten, findet die Kolumnistin.

Kurz vor acht Uhr zu Fuss durchs Dorfzentrum? In meiner Wohngemeinde an der Zürcher Goldküste besser nicht. Da ist regelmässig die Hölle los. 30er-Zone? Trottoir? Parkverbot? Darum kümmert sich niemand. Jedenfalls keines der zahlreichen Elterntaxis.

Mamis und Papis brausen mit ihren SUVs in gefühltem Höllentempo heran. Halten an, wo es ihnen grad passt. Und laden ihre Kinder aus. Die bewältigen dann die letzten 20 Meter bis ins Schulhaus ganz allein. Bravo.

Kaum sind die Kinder in Sicherheit beziehungsweise im Schulhaus verschwunden, kommt wieder Leben in die Blechlawine. Wilde Wendemanöver, kräftig Gas geben – und weg sind sie. Schliesslich warten wichtige Termine. Ein Meeting. Ein Yoga-Kurs. Ein Kaffeeklatsch mit der Freundin.

«Cool Kids – z’ Fuess id Schuel»

Immerhin: Danach wird es Dorfzentrum wieder deutlich ruhiger. Bis vor dem Mittag beziehungsweise nach Schulschluss am Nachmittag. Dann spielen sich wiederum die gleichen Szenen ab.

Dabei weiss doch längst jedes Mami und jeder Papi: Der Schulweg ist wichtig für die kindliche Entwicklung und gibt dem Kind ein Stück Freiraum. Und es lernt, sich im Verkehr sicher zu bewegen. Kommt dazu, dass Eltern in ihren Autos all jene gefährden, die zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs sind.



Doch mit Vernunft kann die Plage Elterntaxi offenbar nicht eingedämmt werden. Deshalb lassen sich Behörden und Elternvereine allerhand Massnahmen einfallen. Ein Halteverbot vor der Schule zum Beispiel. Oder spezielle «Kiss & Ride»-Parkbuchten nach US-amerikanischem Vorbild.

Herzige Plakate mit lustigen Sprüchen. Oder irgendwelche Sensibilisierungskampagnen. Wie aktuell gerade in den Zürcher Goldküsten-Gemeinden Uetikon, Männedorf, Meilen und Stäfa. Unter dem Motto «Cool Kids – z’ Fuess id Schuel» soll Erst- bis Fünftklässlern schmackhaft gemacht werden, zu Fuss zur Schule zu gehen.

Ständige Überwachung

Doch bringt das wirklich etwas? Tatsache ist doch, dass viele Eltern ihre Kinder nicht nur vor Gefahren auf dem Schulweg schützen wollen. Also vor Unfällen. Vor Kindsentführern, die hinter dem Busch lauern. Wilden Tieren, sprich: aggressiven Hunden. Oder bösen Schulgspänli, die dem Goldschatz auflauern. Oder vor natürlichen Gefahren wie Kälte, Nässe, Hitze, Dunkelheit.

Nein, die Eltern wollen ihre Kinder vor jeder, wirklich jeder Widrigkeit bewahren, die das Leben so bereithält. Darum überwachen sie sie auch ständig. Begleiten sie überall hin.

Und selbst wenn die Kleinen schon gross sind, lassen die Eltern nicht los. Und verfolgen die Kinder bis in den Hörsaal der Uni. Arme Kinder. Denn wenn schon ihre eigenen Eltern ihnen nichts zutrauen, wie sollen sie dann jemals in der Lage sein, eigenständig mit Schwierigkeiten und Problemen umzugehen?

Zur Autorin: Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Wenn sie grad mal nicht am Schreiben ist, verbringt sie ihre Zeit am liebsten im, am und auf dem Zürichsee.

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