Kolumne am Mittag Man muss Elton John nicht mögen, aber das ging jetzt einfach zu weit

Von Philipp Dahm

3.12.2019

Der Meister hält Hof: Elton John Ende Juni 2019 in Montreaux.
Der Meister hält Hof: Elton John Ende Juni 2019 in Montreaux.
Bild: Keystone

Im «BBC»-Special «Elton John: Uncensored» hat der Popstar viel Spannendes zu erzählen. Doch was machen die Boulevardmedien? Stellen den 72-Jährigen bloss – Mensch, der Mann hatte eine OP.

Man muss Elton John nicht unbedingt mögen: Der extrovertierte Sänger mit seinem bizarren Brillentick ist einer von jenen omnipräsenten Stars, denen man in Funk und Fernsehen kaum entfliehen kann. Doch eines kann man dem Pop-Prinzen nicht nachsagen: nichts erlebt zu haben.

Kein Wunder also, dass sich «BBC One» im Sommer mehrfach mit dem 72-Jährigen in dessen Sommerhaus in Frankreich zusammengesetzt hat, um eines der ausführlichen «Uncensored»-Interviews des Senders zu führen – es wurde am 28. November ausgestrahlt.

Diese kaugummiartige «Yeah, yeah, yeah»

Wie gesagt: Man muss weder den Mann noch seine Arbeit hochjubeln. Mich persönlich zieht es sogar runter, wenn sein kaugummiartiges «Yeah, yeah, yeah» aus «I’m Still Standing» aus dem Radio dudelt. Wer wegen des jüngsten einstündigen Interviews mit Sir John nicht gleich im Dreieck springt, muss sich dafür sicher nicht rechtfertigen.

Elton Johns Konzert in Perth, Australien, am 30. November 2019.
Elton Johns Konzert in Perth, Australien, am 30. November 2019.
Bild: Keystone

Ehrlicherweise muss man sagen: Der Brite hat im Interview viele spannende und relevante Themen angesprochen. Er erzählt aus seiner Kindheit, lässt sich über Michael Jackson aus, beichtet seine Drogeneskapaden, gibt preis, wie er wieder laufen lernen musste, weil sich eine OP-Wunde übel infiziert hatte.

Und nochmal: Es existiert kein Elton-John-Liebesbefehl. Wer sich über ihn lustig machen will, dem liefert zum Beispiel dessen ausgiebige Suche nach Haupthaar-Ersatz neue Nahrung. Aus einem einstündigen Interview kann man überhaupt viel zitieren. Doch was sehr viele deutsche Medien angestellt haben, das ziemt sich einfach nicht.

Eine Prostatakrebs-OP und die Folgen

Worum es geht? Die oben erwähnte, lebensbedrohliche Infektion hat sich John nach einer Prostatakrebs-Operation zugezogen. Ein solcher Eingriff geht in der Regel mit einer Blasenschwäche einher, von der auch Elton John nicht verschont blieb.

Taron Egerton als «Rocketman» Elton John

Nur zwei Wochen nach der OP stand der Vater zweier Adoptivkinder bereits wieder in Las Vegas auf der Bühne. Um ein Malheur zu vermeiden, hatte er Windeln angezogen – was auch nötig war, wie der Abend zeigen sollte.

Und nun dürfen Sie dreimal raten, auf welchen Aspekt des Interviews sich viel zu viele deutsche Medien gestürzt haben – und auf welche Art und Weise sie das getan haben.

Während «Stern.de» in einem Anflug später Einsicht seinen Artikel mit dem Untertitel «Er bepinkelte sich während Konzert» entfernt hat, sind Machwerke wie «Er trug während eines Konzerts Windeln und nässte sich ein» («Gala»), «Feuchtes Geständnis: Elton John trug Windel während Las-Vegas-Konzert» («Redaktionsnetzwerk») oder «Elton John über das Windeldrama in seiner Show und seine Glatze» («Klatsch-Tratsch») immer noch online.

«Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass der Brite sich einmal während eines Konzerts in Las Vegas in die Hosen gemacht hat?», fragt man nonchalant in Österreich, während eine grosse deutsche Zeitung entwarnt: «Zum Glück trug der Rocketman aber eine Windel.»

Grammatikalisch fragwürdig schiebt «Bild der Frau» aufgeregt nach, «dass er sogar, während er performte, einnässte», «was im ersten Moment vielleicht komisch klingt» – zumindest für «T-Online.de». «Wie bitte? Richtig gelesen», bestätigten dann auch noch die Berner Kollegen von «Nau» Elton Johns «pikantes Geständnis».

Fazit: Wer hätte denn jetzt das gedacht? Dass an der jüngsten Elton-Story so gar nichts Pikantes oder Komisches ist? Merke: In Windel-Dramen vom Boulevard steckt fast immer – nicht mit Verlaub – Scheisse.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr bei «Bluewin» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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