Kolumne Flugzeuge – darum sind sie wieder Sehnsuchtssymbole geworden

Von Caroline Fink

20.7.2020

Fernweh und Heimkehren gehören für Kolumnistin Caroline Fink zum Elixier jener Reisen, die mehr als Ferien sind; hier im Landeanflug in Zürich aus Montréal kommend.
Fernweh und Heimkehren gehören für Kolumnistin Caroline Fink zum Elixier jener Reisen, die mehr als Ferien sind; hier im Landeanflug in Zürich aus Montréal kommend.
Bild: Caroline Fink

Seit Monaten sind die Flugzeuge vom Himmel verschwunden. Mittlerweile hat man sich so an die Ruhe am Himmel gewöhnt, dass Fliegen fast schon wieder ein Ereignis ist. Warum? Weil sie uns daran erinnern, was Reisen sein kann: eine Sehnsucht, die manche von uns seit jeher in sich tragen.

Wir sitzen zu fünft beim Mittagessen auf der Dachterrasse der coolsten Kantine Zürichs. Von hier oben, dem obersten Stock des Gleis70, sieht die Stadt aus wie eine Metropole. Blick auf 24 Gleise, Hochhäuser, Bürotürme.

An diesem Mittag aber sorgt etwas anderes für Aufsehen. «Schaut da», sagt mit einem Mal eine von uns und deutet in den Himmel. «Ein Flugzeug!» Alle fünf drehen wir die Köpfe und beobachten den Flieger, der hinter Höngg aus dem Wald aufgetaucht ist und jetzt im Steigflug einen weiten Bogen über Schlieren fliegt.

Einen Moment lang ist es still am Tisch, dann sagt jemand: «Wie in den 1950er-Jahren – man schaut den Flugzeugen wieder nach.»

Fernweh und Heimweh zugleich

Tatsächlich, denke ich mir. Man schaut den Flugzeugen wieder nach. Wie einst den Segelschiffen der Entdecker, wenn sie in See stachen. Den Queen Marys und Titanics, wenn sich ihre Taue von den Pollern lösten. Den Zeppelinen und Eisenbahnen, an deren offenen Fenstern Passagiere mit weissen Nastüchern winkten. «Adieu!», bedeuteten sie. «Wir werden schreiben aus der anderen Welt!» Reisen war Sehnsucht – Fernweh und Heimweh zugleich. Und jetzt, mit einem Mal, tragen die Flugzeuge diese Gefühle wieder durch den Himmel.

Wohin die Reise führen mag – seit kaum noch Flugzeuge am Himmel sind, werden diese wieder zum Symbol einer Sehnsucht.
Wohin die Reise führen mag – seit kaum noch Flugzeuge am Himmel sind, werden diese wieder zum Symbol einer Sehnsucht.
Bild: Caroline Fink

Nein, ich finde Flugreisen nicht per se toll. Vielmehr verbindet mich seit Jahren eine Hassliebe mit dem Fliegen. Falls es Kraftorte gibt, so sind Flughafen deren Abflussrohre. Und meine Vorstellung von persönlicher Distanz lag bereits vor Social Distancing bei mehr als den 50 Zentimetern zum Sitznachbar. Ganz zu schweigen vom ökologischen Fussabdruck, den ich velofahrende, kompostierende, klimaneutral einkaufende Person im Flugzeug produziere.

Aber das Reisen! Das Entdecken! Das Eintauchen in neue Orte! Ach, wie liebe ich es!

Vater mit Schlaghosen, Mutter mit Flower-Power-Sonnenbrille

Als Entschuldigung schiebe ich gerne meine Familiengeschichte vor: Der Urgrossvater war Markthändler und reiste mit dem Schiff nach New York. Die Grosseltern fuhren mit dem Citroën in den 1950ern nach Rimini. Die Grosstante ging zur Hochzeitsreise in Nepal bergsteigen.

Mein Vater knatterte als Bursche mit der Vespa an die Côte d'Azur. Und mit ungeschickten Kinderhändchen reihte ich die Dias meiner Eltern in den Projektor, um immer wieder über diese Lichtbilder zu staunen: Vater mit Koteletten und Schlaghosen, Mutter mit Flower-Power-Sonnenbrille und Dauerwellen in San Francisco oder im Brice Canyon.

Persönlicher Raum? Fliegen war schon vor Social Distancing so etwas wie unzumutbar.
Persönlicher Raum? Fliegen war schon vor Social Distancing so etwas wie unzumutbar.
Bild: Caroline Fink

Wobei alle diese Reisen etwas gemeinsam hatten: Sie waren nicht Konsum. Sie waren Meilensteine, denn sie führten an Sehnsuchtsorte, von denen die Reisenden ihr Leben lang erzählten – teils bis heute erzählen.

Und genau dieses Gefühl ist es, das beim Anblick des Flugzeugs während des Mittagessens in mir hochsteigt:

Die Flugzeuge – sie sind wieder Symbole einer Sehnsucht geworden. Jener Sehnsucht nach der weiten Welt. Einer Welt, in der es noch viel zu entdecken gibt. Und die eben doch viel grösser ist, als was wir in den letzten Jahren manchmal dachten.

Zur Autorin: Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade, greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion2@swisscom.com

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