Wanderpapa Rémy Kappeler «Heute springe ich wieder in Unterhosen in Bergseen»

Von Sulamith Ehrensperger

24.5.2021

Im Buch «Wanderpapa – Geschichten vom Wanderweg» teilt Rémy Kappeler seine Erfahrungen übers Wandern mit Kindern.
Im Buch «Wanderpapa – Geschichten vom Wanderweg» teilt Rémy Kappeler seine Erfahrungen übers Wandern mit Kindern.
Bild: Natur-welten.ch

Vaterglück und Verzweiflung liegen beim Wandern mit Kindern nahe beieinander. Nun packt der Wanderpapa aus: Er verrät wie er seinen Nachwuchs zum Weiterwandern motiviert – und manchmal ein bisschen blufft.

Von Sulamith Ehrensperger

24.5.2021

Von der Rucksacktrage aus quasselt der jüngste Sohn dem Papa stundenlang die Ohren voll, die Tochter wirft sich tobend zu Boden und streikt, der Älteste unternimmt rutschige Klettertouren. Die Nerven liegen blank. In mehreren Essays erzählt der Wanderpapa der Schweizer Wanderwege, wie er solche Situationen mit seinen drei Kindern gemeistert hat und wie er mit kleinen und grösseren Katastrophen auf dem Weg umgeht.

Rémy Kappeler, vom Leidensdruck und Vaterglück auf Wanderschaft berichten Sie in Ihrem Buch. Wie wurden Sie eigentlich zum Wanderpapa

Schon bevor ich Kinder hatte, war Wandern meine Leidenschaft. Mit dem Vaterwerden hiess es dann adieu grosse Gipfel und Ehrgeiz, willkommen Kurzwanderung und Geduld. Dennoch liess ich mir mein Hobby nicht nehmen und nahm die Kinder schon im Bébé-Alter mit auf Wanderschaft. Und ich merkte bald: Wandern mit Kindern ist der Hammer. Sie lehren mich Mal für Mal, wie das geht.

Was genau haben Ihnen Ihre Kinder beigebracht?

Meine Kinder machen es mir jedes Mal vor. Heute springe ich wieder in Unterhosen in Bergseen, suche fiebrig im Dunkeln nach quakenden Fröschen, baue Rindenschiffe und lasse sie den Bach hinunter.

Sie verraten im Buch, dass Sie mit Blufferzetteln arbeiten. Was hat es mit diesen auf sich?

Es geht darum, bei Kindern ab und zu Eindruck zu schinden, indem du im richtigen Augenblick etwas erzählen kannst über die Gegend, in der man unterwegs ist: eine imposante Zahl, etwas Spannendes von früher oder über Tiere. Vielleicht hören sie nur kurz hin, aber sie denken, Papi weiss alles. Deshalb habe ich angefangen, Blufferzettel zu schreiben, um sie in kurzer Zeit zu memorisieren und im richtigen Moment aus dem Vollen schöpfen zu können. Auf dem Zettel sind jeweils drei witzige Fakten und danach einige Erklärungen dazu. Oft funktioniert es, aber nicht immer. Und das ist auch ok.

Wenn Eltern mit ihren Kindern unterwegs sind, erzählen sie ihnen gerne etwas Interessantes über die Umgebung. Doch woher nehmen sie das Wissen? Da helfen die Blufferzettel weiter ...
Wenn Eltern mit ihren Kindern unterwegs sind, erzählen sie ihnen gerne etwas Interessantes über die Umgebung. Doch woher nehmen sie das Wissen? Da helfen die Blufferzettel weiter ...
Bild: Schweizer Wanderwege, Helvetiq Verlag

Die grösste Herausforderung ist ja oft, die Kinder für das Wandern zu motivieren. Mit welchen Tricks gelingt dies leichter?

Ich versuche es, den Kindern als Abenteuer zu verkaufen. Ich erzähle ihnen im Voraus mit Herzblut, weshalb ich diese Wanderung unternehmen möchte und versuche sie zu überzeugen, dass sie mitmachen. Oft ist es so, dass erst der Widerstand da ist. Meine Tochter hat aber mal gesagt, dass Wandern immer cooler ist, als man denkt, und damit versuche ich sie dann für mein Vorhaben zu gewinnen. Als Motivationszückerli habe ich jeweils Gummibärli dabei, das ist zwar ein plumpes Mittel, aber es funktioniert. Motivierend ist sicher auch, wenn Freunde oder Nachbarskinder mit auf die Wanderung kommen oder ein Hund. Tiere sind immer ein guter Beweggrund.

Sie sind schon immer leidenschaftlich gewandert, vielen Eltern dürfte diese Erfahrung aber fehlen. Welchen Tipp würden Sie Wanderungeübten mit auf den Weg geben?

Ich würde mit kleineren, halbtägigen Exkursionen anfangen und nicht gleich mit einer fünfstündigen Bergtour. Auch irgendwo in der Nähe des Wohnorts gibt es einen Bach zu entdecken oder einen Ort, der spannend tönt. Das Wichtigste ist aber, dass Eltern nicht unter Druck stehen und die Ziele zu hochstecken. Manchmal hilft es, wenn man gemeinsam eine Idee, vielleicht auch Philosophie des Wanderns, entwickelt. Was gefällt uns, was weniger? Ist es ok, wenn wir unser Zmittag schon um 10 Uhr unterwegs essen, weil die Kinder hungrig sind oder warten wir, bis wir den schönsten Platz erreicht haben?

Zur Person: Rémy Kappeler 
Rémy Kappeler
Schweizer Wanderwege

Rémy Kappeler ist ehemaliger Primarlehrer und machte danach eine Ausbildung zum Journalisten in der Ringier Journalistenschule. Er war zehn Jahre Newsjournalist beim Solothurner Tagblatt, bei der Berner Zeitung und bei der SDA. Seit 2013 ist er als Redaktionsleiter des Magazins Wandern.ch tätig; seit 2017 bloggt er gleichzeitig als «Wanderpapa».

Wie finden Eltern die passende Route … Gibt es da einen Tipp?

Das ist tatsächlich nicht ganz einfach, vor allem im Mittelland. Ein guter Tipp ist sicher, mit einem Hundebesitzer zu sprechen, die kennen ihre Gegend oft wie die eigene Hosentasche. Auf der Webseite von Schweizer Wanderwege kann man  Wandervorschläge nach verschiedensten Kriterien suchen. Wasser als Orientierungspunkt finde ich gut: Bäche oder Schluchten zu finden und zu erforschen. Auch mit Ruinen oder Burgen kann man punkten. Ich persönlich suche manchmal nach einem lustigen Ortsnamen auf der Karte und setze diesen als Ziel.

Welches sind die häufigsten Stolpersteine beim Familienwandern?

Das Allerwichtigste beim Wandern mit Kindern ist Zeit haben. Gestresste Eltern sind unangenehm und überhaupt nicht cool. Ihnen fehlen die Flausen im Kopf. Das überträgt sich nahtlos auf die Kinder. Und wer mit Kindern wandert, muss gut vorbereitet sein, aber flexibel bleiben. Sei es, weil Papas Planung nicht realistisch war, das Wetter nicht mitmacht oder die Kinder keine Lust haben.

Man kann Wanderungen noch so kindgerecht planen: Irgendwann kommt meist der Moment, wo die Motivation im Keller ist. Was tun?

Manchmal hilft dann eine Geschichte, ein Spiel oder etwas zu erforschen, das andere Mal ein klärendes Gespräch oder eine Pause. Schliesslich ist auch eine versprochene Glace am Zielort nicht verpönt.

Was gehört bei Ihnen zwingend in den Rucksack?

Gummibärli, zu trinken, ein feines Picknick, meistens ein Cervelat zum Grillieren und kleine Dinge zum Spielen. Zum Beispiel zwei Würfel: einer mit Farbe, einer mit Adjektiven. Wir würfeln und suchen dann nach Dingen in der Natur, die die gewürfelte Farbe und Wörter erfüllen. Manchmal habe ich auch Karten mit Berndeutschen Wörtern dabei, wir erfinden dann eine passende Geschichte. Fast immer dabei habe ich Sackmesser, um zu basteln. Und natürlich wesentliche Dinge wie Handy mit Powerbank, Regenschutz, Apotheke, etc.

Die Wanderung auf den Vilan ist für den Wanderpapa und die Kinder zweifellos einer der Höhepunkte. Am Morgen lief noch alles wie geplant, aber dann ...
Die Wanderung auf den Vilan ist für den Wanderpapa und die Kinder zweifellos einer der Höhepunkte. Am Morgen lief noch alles wie geplant, aber dann ...
Bild: Rémy Kappeler

Das Kapitel «Scheitern ohne Frust» fand ich spannend. Was würden Sie Eltern in solchen Situationen mitgeben?

Frustriert sein gehört manchmal zum Wandern. Selbstverständlich hatte auch ich x-mal einen Frust. Etwa als ich mit meinem Jüngsten auf dem Weg auf den Teysachaux war, klagte er aus der Rucksacktrage immer wieder, er müsse mal, wollte dies aber um jeden Preis nicht in der Natur tun. Ich gab nach und beschloss, statt dem Gipfel ein WC anzusteuern. Dort angekommen, musste er gar nicht mehr, er schlief seelenruhig im Rucksack. Entscheidend ist in solchen Momenten, den eigenen Frust nicht auf die Kinder zu übertragen oder zu ignorieren, was andere denken. Ich habe gelernt, das Scheitern mit einer Prise Humor zu nehmen. Schliesslich verbringst du eine schöne Zeit mit deinen Kindern in der Natur – das allein genügt, um zufrieden zu sein.

Welches Wandererlebnis wird Ihnen für immer in Erinnerung bleiben?

Die Wanderung zum Gipfel Vilan, die ich alleine mit meinen drei Kindern unternahm. Der Jüngste klagte plötzlich, er habe Halsweh und irgendwann hatte ich einen warmen Gruss im Nacken, er musste kötzlen. Wir waren schon ziemlich weit oben, der Älteste war voraus und schon oben, ich musste also auf den Gipfel. Oben angekommen habe ich meinen Jüngsten umsorgt, und trotzdem noch ein bisschen Gipfelmoment geniessen können. Die Kinder haben alle mit vereinten Kräften mitgemacht, denn sie wussten: Wir müssen jetzt mit dem kranken Kind wieder runter. Es war wunderbar zu sehen, wie sie mit solchem Elan dabei sind.

Das Erzählbuch einer Wanderfamilie, aus der Sicht des Papas.
Das Erzählbuch einer Wanderfamilie, aus der Sicht des Papas.
Bild: Helvetiq Verlag

Bibliografie: «Wanderpapa. Familiengeschichten vom Wanderweg» von Rémy Kappeler, erschienen bei Schweizer Wanderwege und Helvetiq Verlag, 24 Franken