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Bötschi fragt Mattea Meyer «Ich finde es beschämend, für wie viel Elend die Schweiz mitverantwortlich ist»
Bruno Bötschi
15.6.2025

Mattea Meyer leitet seit 2020 die SP im Co-Präsidium. Ein Gespräch mit der Nationalrätin aus Winterthur über Macht, sexistische Sprüche von Politikern und welche Massnahmen Femizide in der Schweiz verhindern könnten.

15.06.2025, 04:30
15.06.2025, 10:30
Bruno Bötschi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Die Winterthurer Nationalrätin Mattea Meyer leitet seit Oktober 2020 im Co-Präsidium mit Cédric Wermuth die SP Schweiz.
- Ein Gespräch darüber, wie die Macht als Parteipräsidentin die 37-Jährige verändert hat und wann sie sich zuletzt darüber genervt hat, dass ihr Präsidiumskollege zu viel Zeit mit einer Analyse verbrachte.
- «Ich würde sagen, dass ich nach wie vor nicht korrumpierbar bin. Gleichzeitig ich bin mir bewusst, dass ich eine Rolle innehabe, die machtvoll sein kann», so Meyer im Gespräch mit blue News.
- Und weiter: «Seit der Wiederwahl von Donald Trump als US-amerikanischer Präsident habe ich je länger desto mehr die Befürchtung, dass der Hass aufeinander noch grösser wird und es zur Spaltung der Gesellschaft kommen könnte.»
- Weitere Themen sind: Altmännergehabe im Bundeshaus, das Rentenalter der Frauen, die Kinder von Meyer und der FC Winterthur.
Mattea Meyer, ich stelle Ihnen in den nächsten 45 Minuten möglichst viele Fragen. Und Sie antworten bitte möglichst kurz und schnell. Wenn Ihnen eine Frage nicht passt, können Sie auch einmal «Weiter» sagen.
Ich bin gespannt.
Tag oder Nacht?
Der Tag ist mir lieber – hin und wieder gehen meine Tage aber auch bis tief in die Nacht hinein.
Bern oder Zürich?
Bern.
Welche Ecke von Winterthur würden Sie mir zeigen, wenn wir einen halben Tag Zeit hätten?
Ich würde mit Ihnen nach Veltheim spazieren, von dort aus über die Stadt blicken und danach mit einem Sandwich von Hasan im Oberen Graben sitzen. Im Sommer lohnt sich noch ein Besuch im Schwimmbad Wolfensberg, das ist einfach wunderschön.
Auf einer Skala von eins bis zehn, wie glücklich sind Sie im Moment?
Acht Punkte.
Schreiben Sie Tagebuch?
Leider nein. Ehrlich gesagt, ich wüsste nicht, wann ich das noch tun sollte.
Was war Ihre erste politische Handlung – und wann war das?
Ich hatte von klein auf Mühe mit Ungerechtigkeiten und versuchte mich zu wehren – aber nicht mit Gewalt, sondern mit Worten. Zum ersten Mal demonstriert habe ich zusammen mit meinen Geschwistern und Cousinen im Garten eines Ferienhauses, als wir mit unseren Eltern im Jura in den Ferien weilten. Wir Kinder wollten unbedingt in die Badi.
Zum Autor: Bruno Bötschi

blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.
Der erste wirkliche politische Moment in meinem Leben war die Jugendsession im Bundeshaus in Bern, an der ich als Teenagerin gemeinsam mit vielen anderen jungen Menschen teilnehmen durfte.
Wie alt waren Sie, als Sie wussten: «Ich will in die Politik»?
Mit 17 realisierte ich immer mehr, dass ich mich nicht nur über Ungerechtigkeiten empören, sondern mich auch politisch engagieren möchte. Kurz danach trat ich der Juso Schweiz bei. Dort lernte ich Leute kennen, mit denen ich mich gerne austauschte.
Kurz vor Ihrer Wahl zur Nationalrätin im Jahr 2015 antworteten Sie im «Blick» auf die Frage, welche Superkraft Sie gerne hätten …
… oh, was habe ich damals gesagt?
Sie sagten: «Die Überzeugungs-Superkraft: Ich möchte alle überzeugen können, dass eine solidarischere, sozialere und demokratischere Gemeinschaft möglich ist.»
Diese Superkraft würde ich heute gerne mein Eigen nennen (lacht).
Welche Superkraft hätten Sie sonst noch gerne?
Das ist eine gute Frage (überlegt einen Moment). Ich hätte gerne die Hoffnungs-Superkraft. Ich möchte die Menschen davon überzeugen können, dass es Morgen positiver weitergehen kann, wenn wir uns gemeinsam engagieren.
Wann sind Sie zum letzten Mal erschreckt ob der schieren Fülle in Ihrem Terminkalender?
Das ist schon länger nicht mehr passiert. Ich habe meine Termine meist im Kopf präsent. Was ich hingegen öfters vermisse, sind Lücken in der Agenda für spontane Unternehmungen.

Sie leiten seit Oktober 2020 im Co-Präsidium mit Cédric Wermuth die SP Schweiz. Wie veränderte die Macht Sie?
Ich würde sagen, dass ich nach wie vor nicht korrumpierbar bin. Gleichzeitig ich bin mir bewusst, dass ich eine Rolle innehabe, die machtvoll sein kann. Mein Bestreben ist jedoch, mich nach wie vor für Menschen und Anliegen einzusetzen, die sonst kein oder zu wenig Gehör finden. Und trotz aller Macht, die ich als Parteipräsidentin innehabe, ist es wichtig, demütig zu bleiben.
Wann haben Sie sich zuletzt darüber genervt, dass Cédric Wermuth zu viel Zeit mit einer Analyse verbracht hat?
Hmm … das passiert immer wieder, aber es hält sich alles im erträglichen Rahmen (lacht).
Wie geht es Ihrem Perfektionismus?
Sie kennen mich aber gut. Ich arbeite daran und denke, ich bin auf einem guten Weg. Perfektionismus kann ja sowohl positiv als auch negativ wirken.
Haben Sie schon herausgefunden, mit welcher Ausrede man sich am besten von langweiligen Sitzungen entschuldigt?
Die Menschen haben meist Verständnis dafür, wenn ich als Parteipräsidentin einmal sage, dass mir schlichtweg die Zeit für eine Sitzung fehlt.
Angenommen, Cédric Wermuth und Sie sind bei einem Thema komplett unterschiedlicher Meinung: Fliegen irgendwann die Fetzen – oder wie muss ich mir eine solche Auseinandersetzung vorstellen?
Natürlich passiert es hin und wieder, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Dabei geht es aber nicht um die politische Ausrichtung, sondern um strategische Fragen. Sprich: Wie soll die SP eines ihrer Ziele erreichen? Cédric Wermuth und ich sind zwei Menschen, die sehr gut zusammen diskutieren können – wahrscheinlich auch deshalb, weil beide dem anderen eine gewisse Grosszügigkeit zugestehen.
Wer ist nachtragender: Sie oder Herr Wermuth?
Ich nehme für uns beide in Anspruch, dass wir keine nachtragenden Menschen sind. Wir können nur erfolgreich funktionieren, wenn wir gegenseitig ehrlich sind.
Wovon handelte Ihr letztes Telefonat mit Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider?
Das letzte Gespräch mit Elisabeth Baume-Schneider war kein Telefonat, sondern ein persönliches Treffen. Wir sprachen zum wiederholten Mal über die AHV.
Ihr Lieblingsfluchwort?
Dieses Wort schrie ich meinem Sohn im Stadion Schützenwiese kürzlich ins Ohr, nachdem der FC Winterthur ein Gegentor kassiert hat.
Und wie heisst es?
Shit. Ich gebe zu, ich verwende diesen Ausdruck ab und an. Es ist auch schon passiert, dass mich meine Kinder deswegen zurechtgewiesen haben und meinten: «Mama, das darf man nicht sagen.»
Was haben Sie in den letzten sechs Monaten gelernt?
Ich habe mir endlich Zeit genommen, dank eines Sprachkurses besser Französisch zu lernen.
Wovor haben Sie Angst?
Privat, dass meinen Kindern etwas zustösst.
Und politisch?
Seit der Wiederwahl von Donald Trump als US-amerikanischer Präsident habe ich je länger desto mehr die Befürchtung, dass der Hass aufeinander noch grösser wird und es zur Spaltung der Gesellschaft kommen könnte. Ich stelle zudem fest, dass das Runtermachen von Schwächeren zugenommen hat, genauso wie es wieder mehr männliche Gewalt gibt.
Ist es für Sie ein Vorteil oder Nachteil, eine Frau in der Politik zu sein?
Ich bin sehr gerne eine Frau. Mir ist aber durchaus bewusst, dass man als Frau in der Politik nach wie vor mehr leisten muss und strenger be- und verurteilt wird – und man leider auch immer wieder sexistische Hassbotschaften übermittelt bekommt.

Komikerin Fabienne Hadorn sagte mir kürzlich im «Bötschi fragt»-Interview, dass unser kapitalistisches System die Gleichberechtigung von Frau und Mann gar nicht zulassen würde.
Diese Aussage bringt es gut auf den Punkt. Das kapitalistische System baut auf der Ausbeutung der Natur und der Arbeit der Menschen auf. Dazu gehört, dass ein grosser Teil der Arbeit – die sogenannte unbezahlte Sorgearbeit – unsichtbar gemacht wird. Doch ohne sie könnte die produktive Wirtschaft nicht funktionieren.
Komikerin Fabienne Hadorn sagte weiter: «Heute machen Frauen einfach alles und damit viel zu viel. Derweil die Männer gegen die Wand fahren, weil sie nicht mehr wissen, was sie tun sollen.»
Fakt ist: Nach wie vor ist diese unbezahlte Sorgearbeit sehr ungleich verteilt. Es sind vor allem Mütter, die Kinder betreuen, Angehörige pflegen, haushalten und den sogenannten Mental Load tragen, also die Planung und Koordination des Familienlebens. Das gibt viel zu tun, aber keinen Lohn. Es ist Zeit, dass insbesondere Männer ihren Teil zur Gleichstellung beitragen.
Wie viel Altmännergehabe gibt es in der Schweizer Politik?
Wie fast überall in der Gesellschaft ist das Altmännergehabe auch in der Politik leider nach wie vor ausgeprägt.
Haben Sie jenseits von verunglückten Komplimenten im Bundeshaus schon Übergriffe erlebt? Also Dinge, von denen Sie sagen würden: Das ging zu weit.
Wenn Kantonsratskollegen mich nach Nacktbildern fragen oder Nationalräte Sprüche über mein Aussehen machen, sind das nicht verunglückte Komplimente, sondern Belästigungen.
Verschlechtert oder verbessert sich das Zusammenleben von Frauen und Männern gerade?
Dieses Thema ist zu vielschichtig, als dass ich diese Frage mit Ja oder Nein beantworten könnte. Es gibt zwar immer mehr Männer, die ihre Rolle in der Gesellschaft überdenken und zum Beispiel mehr Haushaltsarbeiten übernehmen. Denn sie haben realisiert, dass die alten Rollenbilder Frauen wie Männer in ihrer Entwicklung einschränken. Gleichzeitig gibt es aber auch Typen wie Donald Trump, der allen Ernstes behauptet, Männer hätten Anspruch auf den weiblichen Körper. Werden solche Männer wieder zu Vorbildern der jüngeren Generation, macht mir dies ernsthaft Sorgen.
Bei welchem Wahlkampfthema müssen Sie aufpassen, nicht so richtig wütend zu werden?
Es nervt, wenn ich während Gleichstellungs-Diskussionen immer wieder hören muss, dass es keine Lohnungleichheit mehr zwischen Frauen und Männern gebe. Noch stärker an die Substanz gehen die hasserfüllten und menschenverachtenden Debatten zum Thema Asyl. Ich wünschte mir oft mehr Demut – gerade von uns Schweizerinnen und Schweizer, die wir das Glück haben, in einem der sichersten Länder der Welt zu leben.
Anfang Mai sprachen Sie im Podcast «Meyer:Wermuth» über die hohe Anzahl von Femiziden in der Schweiz. Alle zwei Wochen tötet in der Schweiz ein Mann seine Partnerin. Es geschieht so oft und bleibt unfassbar: Wie entsteht diese extreme Art von Gewalt gegen Frauen?
Dazu muss man wissen: Ein Femizid ist nur die Spitze des Eisbergs. Davor kam es meist jahrelang zu Übergriffen und patriarchaler Gewalt. Die fängt damit an, dass Frauen in der Schweiz nach wie vor weniger Lohn ausbezahlt wird und ihnen so gezeigt wird, sie seien weniger wert.
Warum gelingt es der Schweiz nicht, Frauen wirksamer zu schützen?
Um dies zu erreichen, bräuchten wir Mittel für Opferberatung und Frauenhäuser. Gleichzeitig wäre es wichtig, in die Täterprävention zu investieren. So würde die Politik der Gesellschaft klarmachen, dass wir das Problem ernst nehmen. Insbesondere für Frauen kann das engste Umfeld sehr gefährlich sein, wie die Zahlen zu häuslicher Gewalt beweisen – trotzdem wird für die Sicherheit der Frauen ein Bruchteil von dem ausgegeben, was an neuer Munition für das Militär zur Verfügung gestellt wird.
Der amerikanisch-britische Influencer Andrew Tate ...
… wenn ich diesen Namen höre, dann tschuddert es mich. Sorry, ich wollte Sie nicht unterbrechen.
Tate gilt als prominenter Vertreter des antifeministischen Backlash. Viele seiner frauenfeindlichen Videos finden Millionen von Zuschauern, junge Männer verehren ihn. Was ist da los?
Dem Menschen, der eine Antwort auf diese Frage hat, würde ich viel Geld zahlen. Jahrzehntelang wurde den Männern gesagt, sie dürfen keine Gefühle zeigen. Nun weicht dies zum Glück auf und es werden Privilegien in Frage gestellt. Möglicherweise sorgt diese Mischung jetzt für einen Backlash.

Schämen Sie manchmal, Schweizerin zu sein?
Sagen wir es so: Ich finde es immer wieder beschämend, für wie viel Elend, Gewalt und Klimazerstörung die Schweiz auf der Welt mitverantwortlich ist, weil eine politische Mehrheit für lasche Regeln und dreckige Geschäfte einsteht.
Ist unser Land eigentlich so modern, wie wir alle gerne glauben?
Nein, definitiv nicht – gerade was die Familien- und Gleichstellungspolitik betrifft, sind wir überhaupt nicht modern.
Die härteste Arbeit, die Sie je mit Ihren Händen erledigt haben?
(Überlegt lang) Einen Tag mit meinen zwei Kindern zu verbringen, also mit ihnen zu spielen und daneben noch aufzuräumen, zu putzen und Wäsche zu machen, ist anstrengend.
Die riskanteste, mutigste Entscheidung Ihres bisherigen Lebens?
Zwei Kinder zu haben.
Welcher typische Schweizer Minderwertigkeitskomplex geht Ihnen auf die Nerven?
Mich nervt immer wieder, wenn wir Schweizerinnen und Schweizer so tun, als wären wir so klein und bescheiden, dabei gehören wir zu den finanzmächtigsten Ländern der Welt.
Sind die Schweizer jetzt eigentlich eher beliebt oder unbeliebt im Ausland?
Ich denke, darüber sind die Meinungen geteilt – und das auch zurecht.
Was machen Sie konkret gegen den anhaltenden Ruf, dass die SP halt immer noch die Sozi-Cüpli-Partei sei und den Kontakt zu den Arbeiter*innen verloren habe?
Ich trinke lieber ein Bier als ein Cüpli (lacht). Ansonsten lebe ich mit diesem Märchen, dass nicht wahrer wird, obwohl es immer weitererzählt wird. Die SP wird sehr gleichmässig von Menschen aller Einkommensklassen gewählt – ausser von Topverdienern. Wir werden von Kita-Mitarbeiterinnen ebenso gewählt wie von Pflegefachpersonen, die wissen, dass wir gemeinsam mit ihnen für gute Löhne und bezahlbare Prämien kämpfen.
Wann haben Sie das letzte Mal ans Aufhören gedacht?
Daran denke ich kaum – was auch viel damit zu tun hat, dass ich mir immer wieder Inseln der Erholung freihalte.
Welches war die erfolgreichste Intrige, die Sie selbst gesponnen haben?
Weiter (lacht). Ich habe noch nie eine Intrige angestiftet. Aber klar ist auch, wer erfolgreich Politik machen will, muss bereit sein, hin und wieder auf andere zugehen, um einen Kompromiss aushandeln zu können.
Was halten Sie davon, dass die Chefin der grössten rechtsextremen Partei Deutschlands grösstenteils in der Schweiz lebt?
Mit der Widersprüchlichkeit, als AfD-Chefin alles Ausländische zu verteufeln und gleichzeitig in einem anderen Land zu leben, muss Alice Weidel selber leben. Was mir aber schon zu denken gibt, dass die AfD vom deutschen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft worden ist und dies gilt natürlich auch für die Parteileitung. Da stellt sich für mich die legitime Frage, ob dieser Zustand nicht auch eine Bedrohung für die innere Sicherheit der Schweiz sein kann?
Wenn Sie auf die vergangenen 20 Jahre Ihrer politischen Tätigkeit zurückblicken, wie zufrieden sind Sie mit Ihrer bisherigen Leistung?
Es ist eine durchzogene Bilanz. Ich gebe zu, ich hätte mir einige politische Erfolge mehr gewünscht.
Ihr grösster Erfolg als Politikerin war …
… gemeinsam mit ganz vielen anderen Mitstreiterinnen und -streitern die 13. AHV-Rente ermöglicht zu haben. Es berührt mich bis heute, wenn mir junge Menschen auf Instagram schreiben, wie glücklich wir damit ihre Grosseltern gemacht hätten.
Ihre schlimmste Niederlage als Politikerin war …
… der Entscheid das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 zu erhöhen. Das tat extrem weh, auch weil der Entscheid äusserst knapp ausgefallen ist und unsere Mütter getroffen hat, die ein Leben lang so viel geleistet haben. Sie hätten Besseres verdient.
51 Prozent der Menschheit sind Frauen. Rein rechnerisch sind die Frauen also selber schuld, dass sie in wichtigen Gremien nicht die Mehrheit stellen. Wahr oder nicht?
Das ist eine äusserst mutige These. Ich stelle sie allerdings total in Abrede – vor allem vor dem Hintergrund, dass Frauen in der Schweiz bis 1972 noch nicht einmal wählen und abstimmen konnten.
Der Grundsatz der Lohngleichheit für Frau und Mann ist in der Bundesverfassung und im Gleichstellungsgesetz verankert. Trotzdem sind die Lohnunterschiede in der Schweiz gross. Ist die SVP schuld daran – oder doch die SP?
Die SVP ist nicht allein schuld daran, aber zu grossen Teilen schon. Wir von der SP kämpften für ein griffigeres Gesetz, die rechten Parteien wussten dies jedoch zu verhindern. Die aktuelle Gesetzgebung wird nicht einmal umgesetzt. Lohngleichheit ist nicht ein Luxus, sondern ein Recht. Frauen werden um ihr Recht betrogen und eine bürgerliche Mehrheit findet das okay. Aber ich kann Ihnen versichern: Wir bleiben dran.

Bitte kurz und knapp: Ihr Urteil über die Zusammenarbeit mit der Mitte?
Ehrlich gesagt, ich hätte mir in den letzten Jahren oft mehr erhofft von der Mitte. Wir haben zum Beispiel versucht, mehr Prämienentlastung und bessere Renten zu erreichen. Das sah lange gut aus – doch dann haben Mitte-Ständeräte den Kompromiss abgelehnt. Deshalb ist die Mitte leider immer wieder kein zuverlässiger Partner.
Ihr Urteil über die Zusammenarbeit mit der FDP?
Bei der Zusammenarbeit mit FDP habe ich etwas weniger Hoffnung als bei jener mit der Mitte-Partei. Deshalb bin ich wahrscheinlich auch weniger enttäuscht, wenn es einmal nicht klappt. Aber ich hoffe stark, dass die Freisinnigen sich in Sachen Europapolitik künftig wieder uns anschliessen werden und nicht der mehr SVP und ihrer zerstörerischen Abschottungspolitik.
Ihr Urteil über die Zusammenarbeit mit den Grünen?
Diese Zusammenarbeit ist sehr gut, weil wir in 95 Prozent der Fragen der gleichen Meinung sind.
Glauben Sie an Gott?
Nein – aber mittlerweile bin ich etwas grosszügiger beim Umgang mit diesem Thema, nachdem ich in meiner Jugend ein äusserst kritisches Verhältnis gegenüber dem Glauben und der Religion hatte. Das liegt vor allem an Menschen, denen ich in den letzten Jahren begegnet bin und die sich für Geflüchtete oder Armutsbetroffene engagieren. Sie vertreten mit ihrer Menschenwürde und ihrem Sinn für soziale Gerechtigkeit Werte, die mir sehr entsprechen.
Welches Buch haben Sie zuletzt fertig gelesen?
«Das Flüstern der Feigenbäume» von Elif Shafak. Der Roman, in dem es um den Krieg auf Zypern geht, erzählt eine wunderbare, aber auch äusserst schmerzhafte Liebesgeschichte.
Was liegt oder steht sonst noch auf Ihrem Nachttisch?
Schon viel zu lange liegt dort das Buch «Frei: Erwachsenwerden am Ende der Geschichte» von Lea Ypi. Die Autorin schreibt darin über ihre Kindheit in Albanien.
Wir kommen langsam zum Schluss und damit zum Self-Rating-Test: Sie benoten Ihr eigenes Talent von null Punkten, kein Talent, bis zehn Punkte, maximales Talent: Fussballerin?
Drei Punkte. Ich habe einmal an einem Grümpelturnier teilgenommen und sofort realisiert, dass ich als Fussballerin talentfrei bin.
Gärtnerin?
Hmm … sieben Punkte. Ich bin keine anspruchsvolle Gärtnerin, aber Bohnen und Kürbisse wachsen bei mir jedes Jahr.
Bergsteigerin?
Null Punkte.
Wieso das?
Ich habe Höhenangst.
Möchten Sie noch ein fulminantes Schlusswort halten? Es darf aber nicht länger als 30 Sekunden dauern – und Politik darf nicht das Thema sein.
Ich weiss, wie viel Glück ich habe, in der Schweiz geboren zu sein, einem der sichersten uns stabilsten Länder der Welt. Dieser Umstand gibt mir, aber auch allen Schweizerinnen und Schweizer, nicht das Recht, über Menschen zu urteilen, die dieses Glück nicht haben. Es würde unserer Gesellschaft gut anstehen, wenn wir diesen Menschen mit etwas mehr Wärme und Respekt begegnen würden.