Paarberaterin Bettina Disler«Ich kann mich auch in einer glücklichen Beziehung auf einen Büroflirt einlassen»
Bruno Bötschi
4.5.2025
Kaum ein Ort wie das Büro bietet eine derart gute Bühne für Flirts, Liebschaften und andere Dramen aller Art.
Bild:imago/Westend61
Schäkern mit der Kollegin im Büro. Ist dir das auch schon passiert? Bedeutet ein Flirt das sofortige Ende einer Beziehung? Und warum haben Menschen Affären am Arbeitsplatz? Paarberaterin Bettina Disler weiss Rat.
Laut einer Umfrage hatten bereits 60 Prozent der Berufstätigen eine Affäre am Arbeitsplatz.
Knutschen im Lift mit der Arbeitskollegin: Und was kommt danach?
blue News hat bei Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler nachgefragt.
«Der Reiz speist sich aus mehreren Ebenen: Zum einen aus der Neugier auf das, was noch verborgen ist, zum anderen aus dem gewissen Verbot, das Nähe im beruflichen Kontext besonders spannend macht», sagt Disler.
Bettina Disler, im Frühling setzt das Sonnenlicht und die Wärme im menschlichen Körper verschiedene Botenstoffe frei, was dazu führen kann, dass man sich glücklicher fühlt. Spüren Sie das auch bei den Paaren, die sie beraten?
Ja, bei den Paaren, die bei mir ein Starter Kit für Verliebte buchen, liegt der Frühling immer in der Luft. Sie sprühen geradezu vor Glück. Die anderen Paare kommen jedoch zu mir, um ihre Probleme zu lösen – unabhängig von der Jahreszeit.
Was ist ein Starter Kit für Verliebte?
Ein Starter Kit für Verliebte ist ein 90-minütiger Crashkurs, der Paare mit wertvollen Tools ausstattet und ihnen zeigt, wie sie ihre Partnerschaft kreativ und erfüllend gestalten können, damit sie auch in Zukunft für alle Wetterlagen gewappnet sind.
Immer wieder Thema – und nicht nur im Frühling: Liebesbeziehungen im Büro. Warum haben Menschen Affären am Arbeitsplatz?
Affären am Arbeitsplatz entstehen vor allem dann, wenn die Betroffenen viel Zeit miteinander verbringen. Und wenn der Job einen dazu noch langweilt, bietet ein zunächst harmloser Flirt eine willkommene Ablenkung. Besonders wenn man bei der Arbeit nur wenig Anerkennung bekommt, ist für manche das Spiel mit dem Feuer eine spannende Alternative. Die intensive Zusammenarbeit an gemeinsamen Projekten kann ebenfalls eine Nähe schaffen, die sich über das Arbeitsverhältnis hinaus weiter entwickeln kann.
Zur Person: Bettina Disler
Bild: zVg
Bettina Disler ist systemische Paar- und Sexualberaterin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS). Nach ihrem Regiestudium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und an der New York Film Academy (NYFA) inszenierte sie mehrere Opern und Filme. Später folgten ein Masterstudiengang in sexueller Gesundheit an der Hochschule für soziale Arbeit Luzern (HSLU) und in systemischer Sexualtherapie bei der Internationalen Gesellschaft für systemische Therapie in Heidelberg (IGST) sowie zahlreiche Weiterbildungen. Disler lebt und arbeitet in Zürich.
Dazu kommen Firmenfeiern, auf denen vielleicht Alkohol ausgeschenkt wird. Erhöht das die Gefahr einer Affäre?
Wenn Alkohol im Spiel ist, erhöht das auf jeden Fall die Chance, dass man über Grenzen geht, nicht nur über die eigenen. Gerade bei Firmenreisen, wo der Alltag plötzlich ganz weit weg ist, kann es schnell passieren, dass man sich bei einem Schlummi an der Hotelbar körperlich näherkommt.
Der deutsche Paartherapeut Maximilian Popp sagt im «Spiegel»-Interview: «Am Arbeitsplatz zeigen wir uns bestenfalls motiviert, kompetent, charismatisch, sind erfolgreich. Das macht attraktiv.» Sehen Sie das ähnlich?
Im Job treten viele motiviert, souverän und kompetent auf, das wirkt auf den ersten Blick attraktiv. Doch letztlich ist das ein Spiel, eine Rolle, die man nach Feierabend Zuhause wieder abstreift. Spannend wird es, wenn man hinter diese berufliche Fassade schaut.
Wer bist du, wenn du nicht gerade performst? Genau das macht es ja irgendwie auch reizvoll: Das Unbekannte hinter der Fassade entdecken zu wollen.
Verstehe ich Sie richtig: Am Arbeitsplatz geht es also weniger ums Verlieben, sondern nur um den Reiz?
Der Reiz speist sich aus mehreren Ebenen: Zum einen aus der Neugier auf das, was noch verborgen ist, zum anderen aus dem gewissen Verbot, das Nähe im beruflichen Kontext besonders spannend macht. Diese Mischung aus Distanz und Anziehung kann durchaus auch emotionale Prozesse in Gang setzen. Auf dem Weg von beruflicher Passion hin zur persönlichen Faszination kann es passieren, dass sich Gefühle entwickeln und mehr daraus wird.
In einer von Forbes Advisor in Auftrag gegebenen Umfrage gaben 60 Prozent der 2000 befragten Personen an, dass sie schon einmal eine Affäre am Arbeitsplatz erlebt hätten …
Das wundert mich nicht.
Wieso nicht?
In meinem Praxisalltag begegnen mir oft Menschen, die eine Affäre am Arbeitsplatz haben oder hatten, oder Paare, die ihre Beziehung nach einer Büro-Affäre wieder retten wollen.
Wann wird ein Flirt oder einen Affäre zur Bedrohung einer bestehenden Beziehung?
Ein Flirt und eine Affäre sind zwei unterschiedliche Phänomene.
Reden wir zuerst über den Flirt.
Ein Flirt ist zunächst einmal ein soziales Spiel, ein Ausdruck von Lebendigkeit, Selbstwirksamkeit und manchmal auch ein kleiner Ego-Boost. Solange dabei weder emotionale noch körperliche Grenzen überschritten werden, sollte das keine ernsthafte Gefahr für eine bestehende Beziehung darstellen. Anders sieht es bei einer Affäre aus. Sobald in einer monogamen Beziehung Grenzen überschritten werden, also mit jemand anderem körperliche oder emotionale Nähe entsteht, und vor allem, wenn Gefühle mit im Spiel sind, kann das zur ernsthaften Bedrohung für die bestehende Partnerschaft werden.
Was gibt es noch zu Liebesaffären zu sagen?
Affären lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Die erste entsteht aus Beziehungskrisen heraus, wenn Nähe, Begehren oder das Gefühl, gesehen zu werden, in der Partnerschaft fehlen. Betroffene suchen dann im Aussen, was ihnen im Inneren fehlt.
Die zweite Kategorie tritt unabhängig von der Beziehungsqualität auf. Auch in glücklichen Partnerschaften kann sich jemand auf eine Affäre einlassen. Hier spielen andere Motive eine grössere Rolle: das Bedürfnis nach Selbstbestätigung, Abenteuer, das Ausleben eines bislang verdeckten Persönlichkeitsanteils oder einfach der Wunsch, dem gewohnten Selbst zu entkommen und sich in einem aussergewöhnlichen Selbst neu zu erleben.
Was verstehen Sie unter verdeckten Persönlichkeitsanteilen?
Mit verdeckten Persönlichkeitsanteilen meine ich Seiten in uns, die lange unentdeckt oder ungelebt bleiben, weil sie nicht zu dem Bild passen, das wir von uns selbst oder von Beziehungen gelernt haben. Bei manchen Menschen zeigt sich das zum Beispiel darin, dass sie sich immer wieder parallel verlieben und ihnen erst später bewusst wird:
Ich bin vielleicht nicht monogam veranlagt, sondern polyamor. Die Affären sind dann nicht nur Fehltritte, sondern werden auch als Ausdruck eines Anteils verstanden, dem bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Woran sollte ein Mensch merken, dass seine aktuelle Beziehung ernsthaft in Gefahr ist durch eine Flirterei im Büro?
Wenn sich die eigene emotionale Energie zunehmend von der Partnerschaft weg und hin zu einer anderen Person verlagert, ist das ein erstes Zeichen, das man bewusst wahrnehmen sollte. Spätestens dann, wenn man beginnt, intime Gedanken oder Bedürfnisse, die eigentlich in die Beziehung gehören, mit der flirtenden Person aktiv zu teilen, wird es heikel.
Wer heimlich plant, verschweigt oder idealisiert und sich selbst dabei in einer Art Parallelwelt verliert, hat den Bereich der Flirt-Zone bereits verlassen. Dann geht es nicht mehr nur um ein spielerisches Flirten, sondern um eine Verschiebung der Loyalität und genau dort beginnt es, gefährlich zu werden.
Wenn das Flirten erwidert wird und ich merke, dass ich dazu tendiere, einen Schritt weiterzugehen, ist dann der Zeitpunkt gekommen, der Freundin oder dem Freund zu Hause zu gestehen, dass ich solche Gedanken hege?
Bevor ich etwas gestehe, sollte ich mir ehrlich die Frage stellen: Treffe ich gerade eine Entscheidung? In eine Affäre rutscht man nicht einfach so hinein. Man entscheidet sich aktiv dafür. Und wer sich dafür entscheidet, muss auch bereit sein, die volle Verantwortung zu übernehmen.
Wenn ich jedoch meinem Partner etwas beichten möchte, das noch gar nicht geschehen ist, sollte ich innehalten und mich fragen: Warum will ich das sagen? Geht es wirklich um Offenheit oder nur darum, mein eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen? Eine solche Beichte kann mich kurzfristig zwar entlasten, belastet aber den anderen womöglich unnötig. Ein Gespräch wird dann sinnvoll, wenn ich aktiv eine Grenze überschritten habe.
Der Partner ist in einer solchen Situation nicht die Anlaufstelle für ungeklärte Selbstsuche. Wer spricht, sollte nicht einfach abladen, sondern vorbereitet in das Gespräch gehen. Was will ich sagen? Was will ich verändern? Wo will ich hin?
Offenheit bedeutet nicht, alles Ungefilterte rauszulassen, sondern das zu teilen, was für die Beziehung wirklich relevant ist. Wer das Gespräch sucht, trifft eine Entscheidung: in Beziehung zu treten. Auf Augenhöhe. Mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für das eigene Verhalten und für dessen Wirkung auf den anderen. Und dann: zuhören. Wirklich zuhören. Nur so entsteht ein Raum, in dem Entwicklung möglich ist.
Nach der Beichte einer Affäre und dem Versuch, die Beziehung wieder zu kitten, bleibt oft ein Problem bestehen: Die Person, mit der im Büro geflirtet wurde, arbeitet nach wie vor dort.
Die Entscheidung, die Beziehung zu retten, bedeutet, den Kontakt zur Affäre auf ein Minimum zu reduzieren und dem betrogenen Partner die Chance zu geben, Vertrauen zurückzugewinnen. Der Verletzte muss spüren, dass der andere wirklich Verantwortung übernimmt und die Affäre hinter sich lässt. Vertrauen kommt nicht nur durch Worte, sondern entsteht vor allem durch ehrliches Handeln, Offenheit und das Teilen von Ängsten und Unsicherheiten. Und dazu sollte auch die betrogene Person bereit sein.
So grundsätzlich: Was halten sie persönlich vom Flirten am Arbeitsplatz?
(Lacht) In meiner Praxis arbeite ich mit Klient*innen, und da ist Flirten am Arbeitsplatz für mich als Paartherapeutin ein klares No-Go.
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