Luxus-Professor «Ich kann mir das neueste Handy leisten, aber werde ich damit glücklich?»

dpa

16.2.2021 - 15:03

Keine Empfänge, keine grossen Hochzeiten, keine glamourösen Partys – während der Corona-Pandemie ist manchen Menschen die Lust auf Luxus vergangen. Auch der White Turf in St. Moritz findet in diesem Winter nicht statt.
Keine Empfänge, keine grossen Hochzeiten, keine glamourösen Partys – während der Corona-Pandemie ist manchen Menschen die Lust auf Luxus vergangen. Auch der White Turf in St. Moritz findet in diesem Winter nicht statt.
Bild: Keystone

Viele Geschäfte haben während dem Lockdown geschlossen. Nicht-Notwendiges gibt es im Internet zu kaufen, auch Luxusartikel. Moment mal, passt diese Definition von Luxus überhaupt in die Corona-Zeit? Luxus-Professor Fernando Fastoso weiss Rat.

Was ist Luxus? Ist es Zeit mit der Familie und Freunden, oder eine goldene Uhr, ein teures Auto? Die Corona-Krise treibt jedenfalls den Onlineverkauf auch bei Luxusprodukten an.

Luxusgeschäfte in den Städten werden aus der Sicht von Fernando Fastoso, Luxus-Professor an der Hochschule Pforzheim, aber immer eine grosse Rolle spielen, «denn eine erste Luxusuhr bestellt man mit Sicherheit nicht im Internet».

Im Interview spricht Fastoso über die Fragen, was Luxus ist und wie Corona die Antwort darauf verändern kann.

Herr Fastoso, wie wird Luxus definiert?

Luxus wird in verschiedenen Sprachen anders definiert. Im Deutschen versteht man Luxus als kostspieligen, nicht notwendigen Aufwand. Der Begriff ist also negativ konnotiert. In anderen Sprachen, etwa im Englischen, Französischen und Italienischen, geht es bei Luxus auch um Genuss, Komfort, Leichtigkeit und Schönheit. Luxus ist also nicht absolut zu definieren. Luxusprodukte zeichnen sich durch Ästhetik, Qualität, und Exklusivität aus – bei einem hohen Preis. Bei Luxus geht es aber auch um Authentizität, also um die Zeitlosigkeit und Glaubhaftigkeit einer Marke.

Wie sieht es aus mit immateriellen Dingen wie Freizeit?

Wenn wir Freizeit als Luxus bezeichnen, denken wir an ihre Nicht-Notwendigkeit und relative Rarität. Freizeit kann insofern Luxus sein, als es eine Annehmlichkeit ist, die nicht jeder zur Verfügung hat.

Hat die Corona-Krise das Verständnis von Luxus verändert?

Das Verständnis dessen, was Luxusprodukte sind, vielleicht nicht – dafür aber ihre Bedeutung im Leben der meisten von uns. Wir unterscheiden lauten vom leisen, diskreten Luxus. Also Produkte, die man unmittelbar anhand eines Logos als Luxus erkennt, und andere, die nur für Kenner – zum Beispiel am Design – als Luxus zu erkennen sind. Mit ersteren kommuniziert man in die breitere Masse, mit letzteren in den kleinen Kreis. Die Krise wird die Bedeutung leisen Luxus' erhöhen.

Fernando Fastoso ist Fachmann für Luxuswaren und Hochschulprofessor in Pforzheim. Seiner Beobachtungen zufolge wird in Deutschland derzeit mehr Luxus im Internet gekauft
Fernando Fastoso ist Fachmann für Luxuswaren und Hochschulprofessor in Pforzheim. Seiner Beobachtungen zufolge wird in Deutschland derzeit mehr Luxus im Internet gekauft
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Weiter fragen Luxuskunden zunehmend danach, welchen Beitrag Markenhersteller zu den wichtigen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit leisten: Handeln sie nachhaltig? Setzen sie sich international für faire Arbeitsbedingungen ein? Einige Schmuckhersteller verarbeiten nur ethisches Gold in ihren Produkten. Andere unterstützen zum Beispiel Initiativen im Kampf gegen Kinderarmut.

Das ist doch ein jahrealter Prozess. Wird der jetzt verstärkt?

Ja, weil sich die Menschen in der Krise auf das Wesentliche im Leben rückbesinnen. Luxus hat immer eine soziale und eine private Nutzenkomponente. Viele denken, dass Luxus nur Protz ist, dass Nutzer von Luxusprodukten damit nur angeben möchten. Das ist aber nur bei manchen Produkten und manchen Kunden der Fall. Eine Luxushandtasche oder ein Luxusauto werden öffentlich konsumiert, und daher spielt bei ihrer Wahl die Aussenwirkung eine grosse Rolle.

Mit anderen Produkten hingegen wie einer kostspieligen Luxusnachtcreme ist der soziale Nutzen nicht vorhanden. Das zeigt: Menschen konsumieren Luxus nicht nur für die Selbstdarstellung gegenüber anderen, sondern auch für sich selbst. Die Krise wird die Bedeutung des Luxus im Privaten verstärken. Dazu gehört die Frage danach, wie sich Marken sozial wichtigen Themen unserer Zeit stellen.

Möglichkeiten zum Einkaufen waren und sind wegen Corona oft eingeschränkt. Beeinflusst das, welchen Wert wir Waren beimessen?

Weltweit sieht man, dass die Umsätze von Luxusunternehmen 2020 eingebrochen sind. Schätzungen zufolge um 20 Prozent. Befürchtet wurden aber höhere Einbussen. Viele Menschen, die weniger Geld für Luxuserlebnisse wie Reisen oder Restaurantbesuche ausgeben konnten, haben mehr Geld in den Kauf von Luxusprodukten investiert.

Dazu hat der Onlineverkauf von Luxusprodukten zugenommen – auch im Westen. In Asien ist die Bedeutung viel grösser gewesen. Die Frage für Unternehmen lautet: Wie kann ich das Erlebnis, das Besucher einer Luxusboutique haben, online vermitteln? Stationäre Luxusgeschäfte werden immer eine grosse Rolle spielen, denn eine erste Luxusuhr bestellt man mit Sicherheit nicht im Internet. Die Zurückhaltung gegenüber Onlinekäufen im Luxusbereich ist nun viel kleiner geworden.

Früher galt vielen Freizeit als wertvoll – die haben manche nun im Lockdown im Überfluss. Wird sich der Wert von immateriellen Dingen nachhaltig ändern?

Menschen haben in der Krise mehr Zeit gehabt, sich über das Wesentliche Gedanken zu machen – über Familie, Freizeit oder auch die Nähe zur Natur. Das sind Dinge, die viele nun mehr schätzen als vor der Krise. Nach Covid wird sich gerade das Verhältnis von Arbeit zu Freizeit verändern. Wer bislang dachte, an 40 Präsenzstunden im Büro führt kein Weg vorbei, hat jetzt gesehen: Es geht doch! Viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben die Vorzüge des Homeoffice erleben können, und so werden wir nach der Krise, glaube ich, nicht einfach zu unserer alten Normalität in dieser Frage zurückkehren.



Der Dax knackt Rekorde, der Bitcoin steigerte seinen Wert exorbitant, die Wirtschaft steht trotz Corona in vielen Branchen gut da oder hat sich schnell erholt. Wie soll man da ein Gefühl bekommen, um den Wert von Dingen einzuordnen?

Luxus ist eine Nichtnotwendigkeit. Die Vorstellung, Luxus werde nur von reichen Menschen konsumiert, ist überholt. Das war vielleicht vor hundert Jahren so, als nur die Aristokratie und das gehobene Bürgertum sich Luxus leisten konnte. Heute sprechen Luxusmarken auch Käuferschichten an, für die der Kauf eines Luxusproduktes eine Ausnahme bleibt – ein besonderes Geschenk für andere oder gar sich selbst. Das könnte man als Demokratisierung des Luxus bezeichnen. Ein Essen im Sternerestaurant können sich auch die leisten, die darauf hinsparen. Aus den «happy few» sind die «happy many» geworden, die nun Luxus konsumieren. Luxus ist auch kein monolithischer Begriff mehr. Da wird zum Beispiel zwischen erschwinglichem Luxus und super-luxury unterschieden.

Trends etwa zu gesunder Ernährung, nachhaltiger Entwicklung, Klima- und Umweltschutz sind oft mit höheren Kosten verbunden. Ist es schon Luxus, dass wir uns das leisten können?

Wenn ich am Existenzminimum lebe, sorge ich mich weniger um Umweltfragen oder Bioprodukte. Das ist ganz klar. Insofern haben Themen wie Nachhaltigkeit oder Tierschutz eher in unserer westlichen Welt Bedeutung – sowohl bei Luxus als auch bei Nichtluxusprodukten. Die Entwicklung in sogenannten Entwicklungsländern geht aber auch in diese Richtung. Vor 20 Jahren war die Luftverschmutzung durch die chinesische Industrie eine Sorge von westlichen Regierungen, nun verlangen auch chinesische Konsumenten zunehmend nach einer Lösung.

Wie sieht es mit Minimalismus oder Achtsamkeit aus? Verändert starkes Reduzieren das Verständnis von Luxus?

Das ist eine superspannende Entwicklung, die aber weniger mit Luxus zu tun als mit dem Sinn des Lebens in der materiellen Gesellschaft, in der wir leben. Das Leben der meisten Menschen in Industrienationen besteht zum grössten Teil aus materiellen Annehmlichkeiten. Notwendig sind die wenigsten Produkte, die wir zu brauchen meinen. Der Trend zum Minimalismus spiegelt meines Erachtens den Frust mit dem materiell geprägten Dasein wider: Ich kann mir zwar das neue Smartphone leisten, aber werde ich damit glücklich? Oder – vielleicht etwas hochgegriffen – die Frage: Was ist wirklich wichtig im Leben? Die materielle Sicherheit ist da, was kommt also danach?

Was ist wirklich wichtig im Leben? Die materielle Sicherheit ist da, was kommt also danach?

Dass Menschen Aufräumsendungen mit Marie Kondo und anderen Experten schauen, kann man insofern auch als Hilferuf derer deuten, die von materiellem Nichtnotwendigen umgeben sind und Angst haben, darin zu «ersticken». Um dieser Angst zu begegnen konsumieren sie aber weiter – ein Buch oder eine Sendung. Ist das nicht interessant?

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