Regisseurin Erika Lust (2)  «Meine Arbeit feiert Safer Sex»

Von Carlotta Henggeler

7.2.2021

Erika Lust: «Die höchsten Machtpositionen der Pornoindustrie werden immer noch überwältigend von weissen cisgeschlechtlichen Männern dominiert.»
Erika Lust: «Die höchsten Machtpositionen der Pornoindustrie werden immer noch überwältigend von weissen cisgeschlechtlichen Männern dominiert.»
Getty Images

Pornofilm-Produzentin Erika Lust über Inspiration für Drehbücher, Drehen in Corona-Zeiten und ihren sehnlichsten Wunsch für 2021. 

Teil 1 des Interviews erschien gestern auf «blueNews».

Sie denken sich die Drehbücher für Ihre Produktionen selbst aus. Woher nehmen Sie die Inspiration dafür?

Erika Lust: Für meine Filme lasse ich mich von den anonymen Fantasien inspirieren, die von Leuten auf meiner Seite eingereicht werden. Im Laufe der Jahre konnte ich Fantasien aus der Öffentlichkeit entdecken, an die ich vorher vielleicht nie gedacht hätte! Für meine Lust-Cinema-Projekte lasse ich mich dagegen hauptsächlich vom echten Leben inspirieren und suche nach Geschichten, die die typischen ausgetretenen Pfade der Pornofilme verlassen.

In der Schweiz ist das Coronavirus noch immer sehr präsent. Können Sie im Moment noch drehen?

Ja, wir dürfen derzeit in Spanien drehen, auch wenn wir nur mit lokalen Crews und Talenten drehen, um Reisen zwischen Regionen oder Ländern zu vermeiden. Wir haben ein brandneues Sicherheitsprotokoll erstellt, das auf den Richtlinien der European Film Commission basiert und an die Art unserer Dreharbeiten angepasst wurde. Dieser ‹Best-Practice-Leitfaden› wurde gemäss der lokalen Gesetzgebung und den offiziellen Empfehlungen von Regierungs- und Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt erstellt, um sowohl Talente als auch die Crew am Set zu schützen.



Wie würden Sie einen typischen Erika-Lust-Film beschreiben?

Mit meinen Filmen möchte ich zeigen, wie einwilligende Erwachsene ehrlich und respektvoll miteinander über ihre Wünsche und ihre Sexualität in einer gleichberechtigten sexuellen Beziehung umgehen. Meine Arbeit feiert Safer Sex; ich möchte die ganze Schönheit, den Spass und die Leidenschaft darin zeigen! Ich erstelle keine Inhalte für die frauenfeindlichen, rassistischen oder homophoben Menschen da draussen.

Ein klares Konzept.

Ja, und ich zeige keine befremdlichen oder entwürdigenden sexuellen Handlungen, und ich fetischisiere auch nicht die Vielfalt, wie es in einer massiven Menge von Mainstream-Pornos mit BIPOC-Körpern (People of Color), trans- und nicht-binären Körpern und jeder anderen Art von Körper geschieht, die nicht in die athletische Körpernorm der Mainstream-Pornos passt. Der typische Pornofilm, den man auf den kostenlosen Tube-Seiten finden kann, ist meistens einfach nur schädlich und zeigt nicht vorrangig die Zustimmung. Die Zustimmung sollte in jeder Art von Porno, der der Öffentlichkeit zugänglich ist, deutlich gezeigt werden, und Simulationen von Nötigung, Pädophilie oder Missbrauch sollten nicht gefördert werden.

Zur Person

Erika Lust wurde 1977 in Stockholm geboren. Sie studierte Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Menschenrecht und Feminismus. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Barcelona. Über das Theater kam sie zum Film. 2004 entstand der erste Kurzfilm «The Good Girl», den sie produzierte und bei dem sie auch Regie führte. Für ihren zweiten Film Cinco historias para ellas (Fünf Geschichten für sie) wurde sie mit mehreren Awards ausgezeichnet. 2008 drehte sie den experimentellen Erotikfilm Barcelona Sex Project. 2014 entstand ihr erster erotischer Roman «Nächte in Barcelona».

Ihr Unternehmen ist fast schon 20-jährig.

Ja, und ich habe mein Unternehmen vor fast 20 Jahren gegründet, weil ich beweisen wollte, dass wir Sex darstellen können, in dem Frauen, Männer und alle anderen Geschlechtsidentitäten als gleichberechtigte sexuelle Mitarbeiter behandelt werden, und dass wir Pornos nutzen können, um glaubwürdige Geschichten und Charaktere darzustellen, die nicht den müden Stereotypen und dem geschlechtsspezifischen Machtgefälle folgen. Die höchsten Machtpositionen der Pornoindustrie werden immer noch überwältigend von weissen cisgeschlechtlichen Männern dominiert.



Also braucht es mehr Frauen in Ihrer Branche.

Ja, wir brauchen mehr Vielfalt in den Führungspositionen der Branche, als Produzenten, Regisseure und Drehbuchautoren, die ihre Perspektiven in die Filme einbringen. Alle Arten von Öffentlichkeit können davon profitieren, nicht nur Frauen, sondern auch LGBTQ+ Menschen hinter der Kamera zu haben, da dies ihnen erlaubt, das Drehbuch über ihre Beteiligung – nicht nur beim Sex, sondern auch im öffentlichen Leben – neu zu schreiben und etwas anderes zu machen als die massenproduzierten stereotypen Pornos der kostenlosen Tube-Seiten. Meine Sets bestehen zu 80% aus Frauen und LGBTQ+ Menschen und wir haben eine grosse Crew, was für eine Darstellerin oder einen Darsteller, der von Mainstream-Sets kommt, ganz anders aussehen kann.

Wenn Sie einen Wunsch für das neue Jahr hätten. Was würde das sein?

2020 hat bewiesen, wie wichtig die Arbeit von Sexarbeiterinnen in der Gesellschaft ist. Die Porno-Sehstunden sind seit dem Covid-Ausbruch dramatisch angestiegen, da die Leute zu Hause festsitzen. Ich wünsche mir also, dass die Gesellschaft anfängt, Sexarbeit als echten Job zu sehen und Sexarbeiterinnen als menschliche Wesen zu schätzen, die Inhalte zu unserer Unterhaltung schaffen und uns inspirieren. Ich wünsche mir auch, dass wir in der Lage sein werden, Erotik in Kinos zu zeigen, so wie es im goldenen Zeitalter des Pornos geschehen ist. Das ist mein Ehrgeiz mit meiner neuen Lust-Kino-Serie, die in ein paar Monaten herauskommt ... mal sehen, ob ich Erfolg haben werde!

Teil 1 des Interviews erschien gestern auf «blueNews».

*Das Interview wurde schriftlich auf Englisch geführt.

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