Protokolle der Nacht (1/3) «Ich ziehe die Pistole schneller, als ihr Hund angreift»

Von Bruno Bötschi

23.9.2019

Freuten sich auf ihren neuen Arbeitsplatz: künftige Nova-Park-Mitarbeiter bei der Grundsteinlegung im April 1971.
Freuten sich auf ihren neuen Arbeitsplatz: künftige Nova-Park-Mitarbeiter bei der Grundsteinlegung im April 1971.
Bild: Keystone

Wenn es dunkel wurde, war im glamourösen Hotel Nova-Park in Zürich in den 1980er-Jahren der Nightmanager für Ruhe und Ordnung zuständig. Er hatte viel zu tun, wie ein Blick in seine Protokolle zeigt.

Was war das für ein Spektakel, die Eröffnung des Hotels Nova-Park in Zürich-Altstetten am 14. Juli 1972. Hotelunternehmer René E. Hatt kam auf einem Elefanten angeritten. Der Mann liebte den grossen Auftritt.

Das Fünfsternhaus war damals mit mehr als 1'000 Betten das grösste Hotel Zürichs und das drittgrösste der Schweiz. Hatt galt als Visionär der Schweizer Hotellerie. Er wünschte sich «Begegnungsstätten und Happiness-Center». Sein Motto: «Der Gast geht nicht in die Stadt, die Stadt kommt ins Hotel. Das Hotel als Ersatz für den verlorenen Dorfplatz mit Beiz.»

René E. Hatt, Bäckersohn und studierter Betriebsökonom, stieg nach der Nova-Park-Eröffnung rasch zum Hotelkönig auf. Zehn Jahre später umfasste sein Imperium weltweit sieben gastliche Häuser. Darunter auch das Elysée in Paris, das mit seinen im Tausendundeine-Nacht-Stil gestalteten Suiten eines der teuersten Hotels der Welt war. Hatt baute sein Reich zügig aus – zu zügig, wie sich herausstellen sollte. Der «Fall Hatt» sollte zu einer der grössten Wirtschaftspleiten der 1980er-Jahre werden.

Einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Hotels Nova-Park geben die handschriftlich verfassten Protokolle der Nightmanager von 1981 bis 1985. Die in schwarzem Kunstleder gebundenen Hefte im Format A5 hätten vor Jahren geschreddert werden sollen, stattdessen lagerte sie ein ehemaliger Mitarbeiter daheim im Keller.

Nun konnte der «Bluewin»-Redaktor Bruno Bötschi Einblick in die Bücher des Nova-Parks nehmen. Manch ein Protokolleintrag liest sich wie ein Krimi – genug Stoff für eine dreiteilige Serie. 

Die Einträge des Nightmanagers sind behutsam bearbeitet, der Schreibstil wurde jedoch nicht verändert.

29. September 1981

(...) Die «Dame» aus Zimmer 1426 wollte ihren Aufenthalt bei uns verlängern. Sie fiel mir schon früher auf, und ich sagte ihr, es sei nicht möglich. Gleichzeitig bat ich die Telefonistin, Telefonanrufe mitzuhören. Dieser Anruf erfolgte heute Nacht. Männerstimme: «Wie viel heute?» Sie: «Sieben.» – «Hast du sie mit heraufgenommen?» – «Ja.» – «Siehst du, es geht ja sehr gut.» Zweiter Anruf (gleiche Stimme): «Ich versuche jetzt hinaufzukommen, aber es wird schwierig, da alle an der Réception sind und schauen.» (...)

13. Oktober

(...) Kurz nach 23 Uhr wurde vor der Tip-Top-Garage ein Mann erschossen. Ein Gast teilte uns das mit, und wir verständigten die Polizei. Da anfänglich nicht klar war, was für eine Beziehung zwischen dem Gast (1320) und dem Toten bestand, befragte die Polizei auch uns.

Später stellte sich heraus, dass der Gast nur Zeuge war. Die Polizei kam gegen 5 Uhr nochmals und befragte uns über ein Foto aus der Polizeikartei. Wir waren uns jedoch nicht sicher über das Foto. Die Kripo wird heute noch das Personal vom Fitnessclub befragen. (...)

Nicht nur die Eröffnung des Hotels Nova-Park war ein Spektakel, auch die Werbung für das Fünfsternhaus in Zürich.
Nicht nur die Eröffnung des Hotels Nova-Park war ein Spektakel, auch die Werbung für das Fünfsternhaus in Zürich.
Bild: zVg

31. Oktober

Herr Sigrist (Sicherheitsdienst, Anmerkung der Redaktion) hatte einen Disput mit einem Herrn Hofer, der einen Hund dabeihatte. Es fielen die Worte: «Ich ziehe die Pistole schneller, als ihr Hund angreift.» Herr Hofer war sehr aufgebracht und beruhigte sich auch nicht wieder. Um 3.15 Uhr rief er mich an und teilte mir mit, dass er sich schriftlich beschweren werde. (...)

4. November

(...) Vor vier Tagen wurde von den Herren Sigrist und Iselin eine Dame, die mehrere Male auf der Etage war, heruntergeholt. Wir sagten ihr, dass das nicht gehe. Sie weigerte sich, ihre Adresse zu geben. Wir erteilten ihr mündliches Hausverbot.

Heute kurz nach 11 Uhr traf sie Herrn Iselin wieder im Haus an. Wir gingen mit der Dame ins Büro, um nochmals mit ihr zu sprechen. Zur Gesprächseröffnung erhielt Herr Iselin eine Ohrfeige. Da die Frau nicht willens war, ihre Adresse mitzuteilen, rief ich die Polizei, um ihre Personalien feststellen zu lassen. Die Dame wurde dann noch sehr ordinär und ausfallend. (...)

20. November

(...) Herr Yoon (1512) hatte eine «Dame» auf das Zimmer mitgenommen. Offensichtlich ist er eingeschlafen, und nachher fehlten ihm 6200 Franken. In der Bar will niemand die «Dame» kennen!? Herr Yoon hat bei der Polizei Anzeige gegen unbekannt erstattet. (...)

28. November

Die «Dame» aus 1312 «arbeitet» sehr viel. Gestern war sie mindestens viermal mit jemandem auf ihrem Zimmer. Ich habe ihr mitgeteilt, dass wir ihr Zimmer brauchen und wir sie bitten, unser Haus bis 12 Uhr zu verlassen. Bitte überwachen, dass die Rechnung bezahlt wird. (...)



11. Dezember

Ich musste einen Sicherheitsbeamten bitten, einen älteren Mann hinauszubegleiten, da er wild in der Halle herumschrie und sich sehr ausfällig benahm. Er war, wie sehr viele Leute gestern, betrunken. (...)

17. Januar 1982

Im Zimmer 2117 kam eine Stichflamme aus dem TV. Der Fernseher ist ausgesteckt, die Reparaturmeldung geschrieben. Die Gäste habe ich umquartiert. (...) Morgens um 5 Uhr beklagten sich zwei Zimmer über Hundegebell im 4. Stock, Block C. Die Dame aus 2416, Mme Ringer, liess die Hunde allein zurück mit einem Zettel, sie sei im Spital und komme mittags zurück. Habe die Hunde zur Réception gebracht.

26. Januar

Herrn Mabrouk (1409) wurde der Pass durch eine Dame, die er nicht bezahlen wollte, entwendet. Die Kapo wollte nichts mit diesem Fall zu tun haben. Herr Mabrouk traf sich dann mit der Dame gestern im International und bekam den Pass zurück. Heute Morgen wurde er dann noch in seinem Zimmer von der Kapo aufgesucht. Die Polizei erklärte danach, es sei alles in Ordnung.

28. Januar

Herr Mabrouk hat eine Hure mitgenommen aufs Zimmer, ohne dass es jemand merkte. Gegen 4.10 Uhr rief uns der Gast aus Zimmer 1249 an und teilte uns mit, dass es im Korridor eine Schlägerei gebe. Ein Kollege und ich sind schnell nach oben gegangen und fanden: eine nackte Frau und den nackten Herrn Mabrouk, die sich gegenseitig stiessen und schlugen. Wir haben sie schnell voneinander getrennt. (...) Nach 45 mühsamen Minuten kamen endlich zwei Polizisten. Sie (die Hure) hat einen von ihnen geohrfeigt. Sie legten ihr die Handschellen an, und sie war trotzdem nur schwer zu halten, sodass sie das Polizeiauto kommen liessen. (...)

10. Mai

(...) Ich habe einem Fräulein den Eintritt verweigert, weil sie zu «spektakulär» angekleidet war (viel zu kurz).

Protokolle der Nacht (Teil 1)

Was in einem Hotel nach dem Eindunkeln so passiert: «Bluewin» hat Einblick in die Protokolle der Nightmanager des Nova-Parks erhalten. Sie erzählen Geschichten, die sich von 1981 bis 1985 in Zürichs grösstem Hotel abgespielt haben. Die Hefte hätten vor Jahren geschreddert werden sollen – stattdessen bewahrte sie ein Ex-Mitarbeiter bei sich zu Hause auf. Was für ein Glück!

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