Die KolumneInkonsequent: Wieso ich Bio kaufe und nach Bali fliege
Mara Ittig
5.8.2018
Ich trenne meinen Abfall, kaufe wann immer möglich Bio und versuche, meinen Plastikkonsum zu reduzieren. Ich fliege aber auch ans andere Ende der Welt und habe viel mehr Kleider, als ich anziehen kann. Ein Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und Hedonismus.
Ich lebe ziemlich nachhaltig und versuche im Alltag meinen biologischen Fussabdruck klein zu halten. Kaufe Gemüse, das gerade Saison hat, recycle meine Kaffee-Käpseli (oder verzichte neuerdings ganz auf sie), esse wenig Fleisch, benutze Velo und ÖV statt Auto.
Nur: Ich esse gerne Gemüse, und zwar am liebsten frisch und mit Abwechslung, Käpseli konnten in meinen Augen frisch gemahlenem Kaffee nie auch nur ansatzweise das Wasser reichen und Auto fahre ich auch nicht gern. Mein Verzicht tut nicht wirklich weh.
Fakten auf den Tisch: Wir alle wissen, dass wir es uns nicht mehr länger leisten können, einfach so zu tun, als ob die ganze Klimaerwärmung, Plastikmassen im Meer und Umweltverschmutzung kein Problem seien. 85 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizern sehen in der Klimaerwärmung eine grosse Bedrohung. Sagt eine Studie der SRG.
Zu Recht: Wir haben dieses Jahr bereits am 01. August unseren jährlichen Vorrat an Ressourcen aufgebraucht, die auf der Erde innerhalb eines Jahres nachwachsen können. Nach sieben Monaten! So früh wie noch nie.
Soviel zum Gutmenschentum und erhobenen Zeigefinger.
Wir sind inkonsequent. Und bequem
Mein Mann und ich waren gerade drei Monate mit unseren beiden Kindern in Asien. Der CO2-Ausstoss, den wir durch die Flugreise verursacht haben, ist dermassen hoch, dass wir ihn unmöglich kompensieren können. Statt der empfohlenen zwei Tonnen CO2, die man pro Person und Jahr verursachen dürfte, damit die Erderwärmung aufgehalten werden kann, kommen wir alleine mit dem Flug auf 18,6 Tonnen (für die ganze Familie).
Immer wieder lässt mich mein ökologisches Gewissen vorübergehend im Stich. Ich blende es schlicht aus, weil in dem Moment etwas anderes Überhand nimmt. Als menschliches Wesen bin ich nicht perfekt und auch nicht immer rational. Manchmal bin ich grauenhaft inkonsequent. Und bequem. Obwohl ich es besser wüsste. Und befinde mich damit in einem Gewissenskonflikt. Und in guter Gesellschaft.
In der Sozialpsychologie nennt man diesen Zustand kognitive Dissonanz: Eine unangenehme Gefühlslage aufgrund von mehreren Wahrnehmungen, die nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Die Sozialpsychologie weiss auch: Wir Menschen sind Meister darin, diesen Zustand zu reduzieren und zu ignorieren. Weil wir ansonsten schlicht wahnsinnig würden.
Nachhaltig, aber nicht so, dass es weh tut
Wie sonst kann man sich erklären, dass wir immer noch fleissig um die Welt fliegen oder schnell mit dem Auto an die Tankstelle fahren, um Würste für den sonntäglichen Grillplausch zu kaufen? Obwohl wir wissen, dass es für unseren Planeten nicht gut ist, wenn wir fliegen, Auto fahren oder Fleisch essen? Weil uns in diesem Moment die Befriedigung eines anderen Bedürfnisses offenbar wichtiger ist. Oder wie es Marc Baumann in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt bringt: «Urlaub war uns wichtiger als eure Zukunft, sorry». So unschön sich das anhört, es ist die Realität.
Die meisten von uns sind gerne nachhaltig, aber nicht so, dass es weh tut. Wenn wir frieren müssen, weil wir die Heizung runterdrehen oder nur noch Ferien in der Schweiz machen können, kneifen wir. Ein bisschen Bio einkaufen geht halt viel einfacher. Und greift nicht wirklich in unsere Lebensgewohnheiten ein. Doch laut Experten wäre genau das nötig, um wirklich etwas zu bewirken. Der Rest seien vielmehr Lippenbekenntnisse und Augenwischerei, um sich selbst besser zu fühlen.
Lieber Busse tun als verzichten
So überrascht es nicht, dass viele lieber Busse tun, statt zu verzichten: Seine CO2-Sünden kann man bei Anbietern wie myClimate mit Spenden kompensieren, die umweltfreundlichen Projekten zu Gute kommen. Ein Ablasshandel.
Beim Öko-Beichtstuhl der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften kann man seine Vergehen beichten und nachlesen, weshalb es etwa schlecht ist, sein Geschirr unter fliessendem Wasser zu spülen oder Schokolade zu essen. Ergänzend gibt es eine Liste mit guten Taten: Etwa zu zweit in die Badewanne zu steigen oder in die Bibliothek zu gehen, statt neue Bücher zu kaufen.
Laut einer Studie von Gfs Bern zum Thema Foodwaste halten wir uns selbst für überdurchschnittlich umweltbewusst. Wir denken, wir tun mehr als die anderen und ruhen uns auf den Lorbeeren aus.
Und doch: Immerhin, es ist ein Anfang. Das Bewusstsein ist bei vielen geschaffen. Nun müssen die Gewohnheiten folgen. Am besten ziemlich schnell, denn die Zeit läuft uns davon.
Unsere nächste Reise geht übrigens nach Hamburg. Mit dem Nachtzug.
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