Kolumne am Mittag Julian Assange – was für ein Elend

Von Markus Wanderl

13.12.2019

In schlechtem gesundheitlichen Zustand: Julian Assange im November 2019.
In schlechtem gesundheitlichen Zustand: Julian Assange im November 2019.
Bild: Getty

Für meinen Geschmack wird über den inhaftierten Julian Assange zu wenig berichtet. Der schwerkranke Wikileaks-Gründer mag nicht der grösste Sympathikus sein, aber seine Verelendung hat unsere Beachtung verdient.

Einerseits beträgt der Radius, in dem sich Julian Assange in siebeneinhalb Jahren bewegt hat, bloss knapp 14 Meilen.

Was heisst Radius. Assange hat während jenes Zeitraums noch viel mehr als 99,99 Prozent an einem einzigen Ort geweilt bzw. gehaust und hat dann im Frühjahr 2019 aus gegebenem Anlass London nur von Westen nach Osten gequert. Genauer: Vom Stadtbezirk Knightsbridge, wo die Botschaft Ecuadors liegt, ist er an den Stadtrand nach Thamesmead, wo das Gefängnis Belmarsh liegt, gezügelt.

Von jenem Männerknast aus kann Assange den grandios zentralen, gar nicht so weit nordwestlich auf der anderen Seite der Themse gelegenen London City Airport nicht erblicken. Aber durch die Gitterstäbe hindurch oder beim Hofgang eventuell das eine oder andere Flugzeug in der Metropole eintreffen oder sie verlassen sehen.

Was haben die 2’487 Tage Isolation im Botschaftsgebäude mit dem Australier angestellt? Ein bisschen Luft schnappen auf dem Balkon, bisschen Katze streicheln und andersherum die paar Streicheleinheiten von Pamela Anderson – mehr war ja all die Jahre nicht. Neulich zeichneten 60 Ärzte in einem Schreiben an die britische Regierung das Bild eines schwer kranken Mannes, weshalb Assanges Verlegung in ein Spital dringend geboten sei.

Fluglärm überm Knast

Nun gibt es genug andere Leute, die lebenslänglich oder für Jahrzehnte verurteilt sind, wegen Mord und Totschlag etwa – die also froh sein dürften über ein bisschen Fluglärm überm Knast.

Aber das ist es ja: Assange war während der Jahre in selbstgewählter Isolation für überhaupt gar nix verurteilt, sondern flüchtete vor einer nicht unwahrscheinlichen Auslieferung in die USA und den angedrohten 175 Jahren Haft wegen Geheimnisverrats. Bis Ecuador im Frühjahr das Asyl widerrief und der Wikileaks-Gründer stante pede verhaftet und sodann zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt wurde – dies wegen Verstosses gegen britische Kautionsauflagen.

Gerichtszeichnung: Julian Assange bei einer Anhörung am Westminster Magistrates' Court in London, 21. Oktober 2019.
Gerichtszeichnung: Julian Assange bei einer Anhörung am Westminster Magistrates' Court in London, 21. Oktober 2019.
Bild: Getty

Ob Assange eventuell für immer und ewig weggesperrt wird, liegt weiterhin mit in den Händen der britischen Justiz – ab Februar 2020 will sie endlich und endgültig entscheiden, ob sie Assange den Fängen der Amerikaner zu überlassen gedenkt. Dass die Vergewaltigungsvorwürfe aus 2010 nicht weiter verfolgt würden, das hat wiederum ein schwedisches Gericht neulich nun schon zum dritten Mal erklärt – man sähe sich ausserstande, nach all den Jahren eine Beweiskette zusammenzubringen.

Botschaft statt Erdloch

Anlässlich ihres 50-Wochen-Urteils erklärte die zuständige Richterin damals in London, sie habe fast die Höchststrafe von einem Jahr ausgesprochen, weil Assange mit seiner Flucht in die Botschaft die Auflagen besonders eklatant missachtet habe. Also, hätte sich Assange in einem Erdloch versteckt wie manch ein anderer, hätte das weniger Wochen Knast zur Folge gehabt, nur das kann das ja heissen.

Erdloch? Insofern haben jene 14 Meilen querbeet durch London andererseits auch etwas von Weltreise gehabt, und zumindest mit Saddam habe ich überhaupt gar kein Mitleid.

Regelmässig gibt es werktags um 11.30 Uhr bei «Bluewin» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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