Beraterin berufstätiger Mamis «Moderne Mütter sind oft überfordert»

Von Sulamith Ehrensperger

13.7.2021

Die verschiedenen Rollen, die es als berufstätige Mutter auszufüllen gilt, kann einen enormen Druck erzeugen. 
Die verschiedenen Rollen, die es als berufstätige Mutter auszufüllen gilt, kann einen enormen Druck erzeugen. 
Bild: Getty Images

Für manche Mütter wird das Mamisein zur Qual. Sie fühlen sich im Hamsterrad zwischen Kindern, Küche und Karriere. Ein Gespräch über Rollenbilder und Rabenmütter. 

Von Sulamith Ehrensperger

13.7.2021

Patricia Aschwanden ist Mutter von drei Kindern und zweimal geschieden. Aufgrund eigener Erfahrungen begleitet sie heute als Coach berufstätige Mütter im Hin und Her zwischen Rollenbildern, innerer Zerrissenheit und Versagensängsten.

Kinder betreuen, erfolgreich im Beruf, einen perfekten Haushalt und als Frau attraktiv sein. Frau Aschwanden, sind die Mütter von heute schlicht überfordert?

Ja, ich glaube, moderne Mütter sind oft überfordert. Sie wollen alles im Griff haben. Sie setzen im Job hohe Massstäbe, wollen zu Hause eine attraktive Partnerin sein und die weltbeste Mutter. Doch sie scheitern an ihren hohen Ansprüchen. Die Pandemie hat es uns eher noch schwieriger gemacht.

Sie wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, in diese Spirale zu geraten.

Ich bin in diese Thematik gekommen, weil ich drei Kinder habe, die alle spezielle Bedürfnisse haben. Ich bin zweimal geschieden. Als ich dann einen längeren Arbeitsweg hatte, über Mittag nicht nach Hause konnte, um für die Kinder zu schauen, wusste ich erst nicht mehr weiter. Ich fühlte mich von den gesellschaftlichen Strukturen im Stich gelassen. Ich wollte mich meiner Arbeit widmen, gleichzeitig eine gute Mutter sein. Das schien nicht möglich. Irgendwann fühlte ich mich tief im Sumpf.

Wie haben Sie es aus dem Schlamassel wieder rausgeschafft?

Meine Rettung war eine Nanny, die schaute für die Kinder und den Haushalt. Ich habe gemerkt, dass ganz viele Frauen Probleme haben mit dem Druck und den Dingen, die von aussen verlangt werden. Sie drohen unterzugehen, und dann leiden die Kinder ganz massiv mit. Es ist mir daher ein grosses Anliegen diesen Frauen zu helfen, ihnen zu zeigen, dass es Lösungen gibt.

Was ist aus Ihrer Sicht das grössere Problem: Die Ansprüche an sich selbst, die Frau, die eine Mutter hat, oder der gesellschaftliche Diskurs über das, was als «normal» oder «vorbildhaft» gilt?

Zur Person: Patricia Aschwanden
Patricia Aschwanden, Persönlichkeitscoach
zVg

Patricia Aschwanden begleitet als Persönlichkeitscoach Mütter, die sich bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie überlastet und ausgepowert fühlen. Ursprünglich ist sie gelernte Bierbrauerin. Sie ist Mutter von drei Kindern, zweimal geschieden und seit 14 Jahren mit ihrem Partner zusammen.

Ich denke, es ist beides. Dennoch glaube ich, dass wir viel zu viel darüber nachdenken, was andere von uns halten. Wir vergessen, uns zu fragen: Was bin ich? Was will ich? Sich selber zu verändern, ist etwas Grossartiges, weil ich merke, dass es mir guttut. Das passiert aber nur, wenn ich es für mich tue und nicht, damit andere besser über mich reden. Auch ich habe mich früher von anderen beeinflussen lassen, ich wurde schon mehrmals als Rabenmutter bezeichnet.

Erzählen Sie uns, in welchem Kontext Sie dies erlebt haben?

Zum Beispiel als mein ältester Sohn in den Kindergarten gekommen ist. Er hat angefangen, sein Znüni selber auszuwählen und er war stolz darauf. An einem Elternabend kam eine andere Mutter auf mich zu und meinte, es sei furchtbar, dass mein Sohn sein Znüni selber vorbereiten müsse. Ich habe ihr erklärt, dass er ständig über sein Znüni motzte, seitdem er mitreden konnte, war das ganz anders. Wichtiger ist doch, dass es meinen Kindern und mir guttut und nicht, was die Menschen rundherum denken.

Die Angst vor einer möglichen negativen Bewertung durch andere hat viele fest im Griff. Wie haben Sie sich davon gelöst?

Die ersten 30 Jahre meines Lebens hatten mir viel abverlangt. Ich hatte eine schwierige Kindheit. In der Schule wurde ich wegen meines Gewichtes gemobbt und mein Vater war Alkoholiker. Es reichte mir, ich konnte nicht mehr, wollte nicht mehr. Also suchte ich nach funktionierenden Konzepten, um meine Rolle als Mutter und Partnerin ausleben zu können und trotzdem beruflich erfolgreich zu sein. Ich habe entdeckt, was mir guttut, was mich runterzieht, was mich verletzt und dadurch zu mir selbst gefunden. Heute weiss ich, was ich will.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach verändern, damit wir uns von diesem Leistungsdruck abwenden können?

Ich habe manchmal das Gefühl, dass in der Berufswelt Kinder oft ein bisschen im Weg oder gar eine Last sind. Diese Einstellung müssen wir ändern. Kinder sind unsere Zukunft und wir können von ihnen so viel lernen. Von den Müttern wird prinzipiell erwartet, sie müssten hyperflexibel sein oder beruflich zurückstecken, wenn ein Jobsharing nicht möglich ist. Ich habe ursprünglich Bierbrauerin gelernt, also einen klassischen Männerberuf. Damals war Jobsharing kein Thema, ich musste mich also nach einer neuen Stelle umsehen. Auch meine Tochter lernt jetzt einen Männerberuf, sie möchte Logistikerin werden. Es gibt heute zwar mehr Möglichkeiten, dennoch habe ich noch immer das Gefühl, dass die Ansprüche, die wir Frauen an uns stellen, zu heftig sind.

Wie haben Sie es geschafft, sich aus dieser Erwartungsspirale zu befreien?

Ich habe angefangen, offen darüber zu reden, wie es mir geht. Es hilft nicht, Probleme zu wälzen, sondern lösungsorientiert zu denken. Ich gebe mir quasi selber einen Rat, wenn ich mit meinem Partner oder meinen Freundinnen darüber rede. Wir schimpfen doch im Alltag viel zu viel darüber, was gerade schiefläuft. Dabei sollten wir mehr Energie in die schönen Dinge stecken, auch wenn es Kleinigkeiten sind.

Geben Sie mir doch eine Kostprobe.

Wenn ich im Stau stehe, ärgere ich mich nicht mehr, dass ich eine halbe Stunde später heimkomme. Ich freue mich, dass ich länger Zeit für mein Hörbuch habe. In solchen Momenten denke ich daran, dass ich der einzige Mensch bin, der das ganze Leben mit mir verbringt. Warum also sollte ich nicht für mich da sein und mir Gutes tun?