Bötschi fragt Rachel Braunschweig: «Die Sex-Szene sah ich im Schnitt zum ersten Mal»

Von Bruno Bötschi

21.6.2021

«Die totale Nacktheit unterstreicht, was Marina in dieser Affäre findet»: Rachel Braunschweig mit Alexey Serebryakow im neuen Kinofilm «Spagat».
«Die totale Nacktheit unterstreicht, was Marina in dieser Affäre findet»: Rachel Braunschweig mit Alexey Serebryakow im neuen Kinofilm «Spagat».
Bild: Frenetic Films

Schauspielerin Rachel Braunschweig wusste, dass sie im neuen Schweizer Film «Spagat» nackt zu sehen ist. Wie genau und wie lange, erfuhr sie aber erst spät. Ein Gespräch über Mut, Illegalität und Hobbylosigkeit.

Von Bruno Bötschi

21.6.2021

Restaurant Bank, Helvetiaplatz, Zürich, 9 Uhr: ein wunderbar wuseliger Platz im Herzen der Stadt, besonders wenn wie an diesem Freitagmorgen der Blumen- und Gemüsemarkt stattfindet. Rachel Braunschweig ist, ganz schweizerisch, auf die Minute pünktlich.

Die angefangene Woche ist eine spezielle Woche für die Schauspielerin, die mit ihrer Familie in Zürich lebt: Der Film «Spagat» kommt in die Kinos. Braunschweig spielt darin die Hauptrolle. Es ist ihre erste Kino-Hauptrolle. Und sie spielt grossartig.

Braunschweig mimt eine Oberstufen-Lehrerin und Mutter mit Familienleben. Sie hat eine Affäre mit dem Vater einer ihrer Schülerinnen. Vater und Tochter leben als Sans-Papiers, also ohne Aufenthaltsbewilligung, in der Schweiz.

Und dann kann es auch schon losgehen mit den vielen Fragen. Wer nun jedoch PR-Antworten erwartet, dem sei bereits vorab verraten: falscher Alarm! Null Allüren. Viel Normalität. Selten war eine Schauspielerin so wenig Diva.

Rachel Braunschweig, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in der nächsten halben Stunde möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach ‹weiter›.

Ich bin parat.

Schwarz oder Weiss?

Schwarz.

Hannover oder Zürich?

Zürich. In Hannover hatte ich nach der Ausbildung mein erstes Theater-Engagement und war ziemlich unglücklich. Auch städtebaulich ist die Stadt kein Schmuckstück.

Leutschenbach oder Hollywood?

Hollywood. Ich träume gern gross (lacht).

Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: zVg

«blue News»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.

Was ertragen Sie morgens ganz schlecht?

Ich mag Menschen nicht, die am Morgen mit Laubbläser und Rasenmäher durch die Gegend rennen. Ich starte den Tag gern mit einem Kaffee und ins Leere starren.

Frühstücken Sie gern im Hotel?

Ja.

Im Zimmer oder am Buffet?

Beides – je nach Situation.

Wann zuletzt unter freiem Himmel geschlafen?

In Indien, aber das ist 20 Jahre her. Schlafen ist ein grosses Thema für mich.

Wie meinen Sie das?

Um richtig gut schlafen zu können, brauche ich absolute Ruhe und Dunkelheit. Ich schlafe dann gut, wenn die Stille einen eigenen Klang bekommt. In der Wüste zum Beispiel oder in einer abgeschiedenen Landschaft in den Bergen.

Welcher typische Schweizer Minderwertigkeitskomplex geht Ihnen auf den Wecker?

Dass wir uns ständig entschuldigen und einander nicht erlauben, auch einmal richtig gross zu denken.

Wer war der erste Mensch, der Ihnen abgeraten hat, sich als Schauspielerin zu versuchen?

Mein Vater wollte erst nicht, dass ich Schauspielerin werde. Er war – und ist es bis heute – überzeugt davon, Lehrerin sei der perfekte Beruf für Frauen. Ich habe deshalb zunächst den Umweg über das Studium der Germanistik und Komparatistik an der Universität Zürich genommen.

Trotzdem hat es mit der Schauspielerei geklappt. Warum?

Die Prüfung an der Schauspielschule absolvierte ich hinter dem Rücken meines Vaters. Nachdem ich bestanden hatte, erklärte ich ihm, ich würde das Studium abbrechen und an die Schauspielschule wechseln – ganz egal, ob er mich weiterhin finanziell unterstützen würde.

Unterstützte er Sie weiterhin?

Ja. Heute ist er sehr stolz und hat inzwischen gelernt, meine Arbeiten differenziert zu betrachten.

Was entgegnen Sie Menschen, die die Schauspielerei für einen glamourösen Beruf halten?

Glamour ist im besten Fall ein kleiner Teil unseres Berufes. Umso besser, wenn man ihn geniessen kann. Applaus entgegennehmen ist etwas, was nicht alle Schauspielerinnen und Schauspieler gut können. Ich denke jedoch, dass es ein unabdingbarer, interaktiver Moment zwischen dem Publikum und den Spielenden ist, der auf beiden Seiten zu einer wohltuenden Entspannung führt.

«Mein Vater wollte erst nicht, dass ich Schauspielerin werde. Er war – und ist es bis heute – überzeugt davon, Lehrerin sei der perfekte Beruf für Frauen»: Rachel Braunschweig.
«Mein Vater wollte erst nicht, dass ich Schauspielerin werde. Er war – und ist es bis heute – überzeugt davon, Lehrerin sei der perfekte Beruf für Frauen»: Rachel Braunschweig.
Bild: Szene aus dem Film «Spagat» (Frenetic Films)

So grundsätzlich: Welcher Illusion geben Sie sich gern hin?

(Lacht schallend) Dass ich irgendwann einmal Feierabend habe. In meinem Beruf als Schauspielerin ist das ein Ding der Unmöglichkeit.

Worauf sind Sie stolz?

Dass ich eine ebenbürtige und emanzipierte Beziehung führe und gelernt habe, vieles in meinem Leben unter einen Hut zu bringen, dass ich Freundschaften pflege und voller Tatendrang bin.

Sie waren in TV-Serien wie ‹Fascht e Familie› und ‹Mannezimmer› zu sehen, trotzdem war Ihr Name der breiten Schweizer Bevölkerung lange Jahre nicht geläufig.

Ich komme vom Theater, hatte viele Jahre das Gefühl, es sei meine Kernkompetenz. Ich entdeckte erst relativ spät, dass ich Film kann und mag und will.

Gab es den berühmten Klick-Moment?

Ich hatte das Glück, Regisseurin Petra Volpe kennenzulernen. Sie ist eine Filmemacherin, die auch einmal hinter die Fassade guckt bei einem Menschen. Als sie mir 2016 für Ihren Kinofilm ‹Die göttliche Ordnung› die Rolle der Teresa gab, war dies sozusagen eine Gegenbesetzung. Damit konnte ich beweisen, wie wandelbar ich bin.

Wirklich wahr, dass der Schweizer Filmpreis für Ihre Nebenrolle in ‹Die göttliche Ordnung› Ihrer Karriere so etwas wie einen zweiten Schub verliehen hat?

Sicher ist: Es war ein Schlüsselmoment meiner Karriere.



Und jetzt mit 53 im Film ‹Spagat› die erste grosse Hauptrolle im Kino: Wie fühlt sich das an?

Super, super. Dazu muss man wissen, dass ich als junge Theaterschauspielerin nie die typischen Rollen von Klärchen und Käthchen innehatte. Ich war nie eine Kindfrau. Heute habe ich das Alter für die Rollen, die mich schon früher interessiert haben und bei denen ich das Gefühl habe, dass ich sie ausfüllen kann.

Sonst heisst es immer, dass ab 50 die Anzahl der Hauptrollen für Frauen deutlich weniger würden. Sind Sie der Gegenbeweis zu dieser Behauptung?

Leider nein. Erst kürzlich habe ich wieder einmal die Statistik vom Bundesamt für Kultur gelesen und feststellen müssen: Bereits ab 40 fängt es damit an, dass die Rollen für Frauen weniger werden, ab 50 nimmt das Angebot dann dramatisch ab. Gott sei Dank gibt es heute die #MeToo-Debatte und eine immer stärker werdende feministische Bewegung, wie zum Beispiel Pro Quote Film und Femaleact, die dem entgegenwirken. Es gibt zudem eine neue Generation von Filmemacherinnen und -machern, zu ihnen gehört auch Christian Johannes Koch mit seinem Film ‹Spagat›, die keine Mühe damit haben, eine Frau in meinem Alter ins Zentrum ihrer Geschichte zu stellen. Das ist grossartig und sehr beruhigend.

In ‹Spagat›, der ab Donnerstag 24. Juni in den Schweizer Kinos läuft, spielen Sie die Rolle der Marina. Können Sie die Geschichte des Films kurz zusammenfassen?

Meine Rolle, Marina, ist Lehrerin. Sie ist verheiratet und hat eine Tochter. Gleichzeitig hat sie eine Affäre mit Artem, einem Sans-Papiers, also einem Mann, der illegal in der Schweiz lebt, dessen Tochter ungeachtet dessen aber in ihre Klasse geht. Durch diese Affäre lernt sich Marina in vielerlei Hinsicht ganz neu kennen und erlangt viel Freiraum für sich selber. Ginge es nach ihr, würde es einfach immer so weiterlaufen. Durch eine Begebenheit, in die sie sich unnötigerweise einmischt, wird dann allerdings eine Katastrophe ausgelöst, die sie zum Handeln zwingt. Trotz ihrer neuen Erfahrungen ist Marina am Ende nicht bereit, ihr Gärtli zu verlassen.

Tönt ziemlich schweizerisch.

Das Schweizerische daran ist vielleicht der Rückzug auf das Altbekannte in die Neutralität und den Kompromiss. Marina sagt das sogar einmal zu Ulyana, eben dieser Schülerin: ‹Ich möchte mich da nicht einmischen.› Dabei ist es genau das, was sie die ganze Zeit tut. Ich glaube, es wäre tatsächlich wichtig, sich in einer Gesellschaft, die so reich ist wie die unsere, mehr einzumischen und Stellung zu beziehen.

Der Trailer zum neuen Kinofilm «Spagat».

Quelle: Youtube

In Wirklichkeit: Wie viel Verständnis haben Sie für Marina, die Lehrerin?

Viel, sehr viel sogar. Als ich das Drehbuch las, dachte ich sofort: Diese Frau kenne ich doch.

Warum wollten Sie die Rolle der Marina spielen?

Eben weil mir die Widersprüche in der Persönlichkeit der Marina bekannt vorkamen. Es gibt Momente, in denen ich sie gut verstehe, dann wiederum solche, in denen ich es überhaupt nicht kann, gefolgt von Situationen, in denen sie ängstlich und überfordert reagiert. Diese Diskrepanz finde ich extrem spannend und eröffnet ein Spektrum von schauspielerischen Herausforderungen, die ich nur allzu gern annehme.

In der Schweiz leben – je nach Schätzungen – zwischen 100'000 und 300'000 Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Kennen Sie persönlich Menschen, die ohne Papiere in unserem Land leben?

Nein. Ich arbeitete jedoch mit Jugendlichen in sogenannten Integrationsprogrammen. Wir unterrichten sie in Auftrittskompetenz und machen mit ihnen Bewerbungstrainings, um ihnen den Übertritt von der Schule ins Berufsleben zu erleichtern. Es ist immer wieder eindrücklich zu sehen, wie engagiert viele von ihnen diese grosse Aufgabe anpacken.

Sans-Papiers haben – zumindest auf dem Papier – Anspruch auf Menschen- und Grundrechte, die in der Bundesverfassung verankert sind, und die ein menschenwürdiges Dasein garantieren sollen. In der Realität ist ihre Situation aber viel komplizierter.

Leider.

Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, dass deren Leben lebenswerter wird?

In der Stadt Zürich bekommen Illegale seit zwei Jahren eine sogenannte City Card ausgehändigt. Das ist eine städtische Identitätskarte, mit der sich alle Menschen, die in der Stadt wohnen, ausweisen können – unabhängig von ihrem aktuellen Aufenthaltsstatus. Ich denke, diese Karte ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es braucht aber dringend weitergehende Regelungen wie zum Beispiel das Recht auf eine Krankenkasse. Es gibt die Organisation sans-papiers.ch, die sich für diese Grundrechte einsetzt.

Eine Forderung, an der die SVP kaum Freude haben wird.

Das nehme ich auch an. Wir können aber nicht darüber hinwegsehen, dass diese Menschen hier leben und zu Tausenden illegal beschäftigt werden. Es ist meine persönliche Überzeugung, dass wir in der Schweiz auch für diese Menschen Verantwortung übernehmen müssen. Ein wichtiges Thema des Films ist die Frage, wie wir miteinander umgehen. Es ist eine nicht zu leugnende Realität unserer Zeit, dass wir unweigerlich in eine Beziehung mit den anderen treten, mit denen, die legal oder illegal zu uns kommen, und daraus erwächst Verantwortung. Stattdessen aber drängen wir diese Menschen in eine Inexistenz.



Kritikerinnen und Kritiker warnen, die City Card animiere andere Sans-Papiers, in die Schweiz zu kommen – nach dem Motto: Dank dieses Ausweises kannst du hier auch als Illegaler bequem leben.

Ach, da sind wir wieder bei der Angst, die bei solchen Themen und von bestimmten Parteien gern und schnell geschürt wird. Ich bleibe dabei: Unsere Gesellschaft sollte in dieser Frage mutiger agieren und offener auf diese Menschen zugehen. Persönlicher Kontakt hilft da immer sehr und erleichtert das Engagement und die Bereitschaft zu teilen.

Lesen Sie Kritiken über Ihre Filme?

Ja.

Die Einstiegsszene zum Film ‹Spagat› könnte für Diskussionsstoff sorgen.

Bis jetzt nicht. Die Leute, mit denen ich bisher gesprochen habe und die den Film schon gesehen haben, diskutierten eher darüber, mit welcher Figur sie sich identifizieren können. Da gehen die Meinungen auseinander. Das ist spannend.

Haben Ihre zwei Kinder den Film bereits gesehen?

Ja, sie waren mit mir zusammen an der Premiere am Zürcher Filmfestival. Bevor der Film anlief, habe ich Ihnen geraten, dass Sie während der ersten drei Sekunden einfach die Augen schliessen sollten. Damit war das Thema gegessen.

Die Bettszene am Anfang dauert aber länger als drei Sekunden.

(Lacht) Haben Sie auf die Uhr geschaut?

Wie war Ihre Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Marina splitternackt im Film zu sehen ist?

Na ja, das kam ja nicht überraschend. Ich habe die Szene ja schliesslich gedreht. Ich habe sie im Schnitt aber zum ersten Mal gesehen.

«Wir können aber nicht darüber hinwegsehen, dass diese Menschen hier leben und zu Tausenden illegal beschäftigt werden»: Rachel Braunschweig.
«Wir können aber nicht darüber hinwegsehen, dass diese Menschen hier leben und zu Tausenden illegal beschäftigt werden»: Rachel Braunschweig.
Bild: Szene aus dem Film «Spagat» (Frenetic Films)

Brauchte es viel Überzeugungskraft vom Regisseur, dass Sie Ja gesagt haben zur besagten Szene?

In einem längeren Gespräch mit Regisseur Christian Johannes Koch haben wir uns darauf geeinigt, dass die Szene genau richtig geschnitten ist, so wie sie jetzt im Kino zu sehen sein wird. Die totale Nacktheit unterstreicht, was Marina in dieser Affäre findet. Ihr Liebhaber ist kein Mann, mit dem sie sich intellektuell auf gleicher Ebene unterhalten kann. Er ist das komplette Gegenprogramm zu ihrem Ehemann.

Nacktheit im Film ist dann ein schwieriges Thema, wenn die persönlichen Schamgrenzen einer Schauspielerin, eines Schauspielers überschritten werden.

Sie haben recht, Nacktheit im Theater, oder auch im Film, ist ein schwieriges Thema und muss immer hinterfragt werden. Habe ich den Eindruck, dass ich zum Voyeur oder zur Voyeurin werde beim Betrachten der Szene, dann gehe ich auf Abstand. Trägt es zum Verständnis der Geschichte und der Art der Beziehung bei, dann freue ich mich über die Umsetzung. Zudem gibt es so viele Möglichkeiten, Sexualität zu zeigen. Es ist vergleichbar mit einem Tanz, einer Choreografie. Nonverbale Kommunikation eben. Es gibt auch einige gelungene Beispiele. Und ich zähle ‹Spagat› dazu.

Wie ging es nach dem Gespräch mit dem Regisseur weiter?

Ich habe die Bettszene meinem Mann gezeigt und zwei, drei guten Freunden.

Wie fiel die Reaktion Ihres Mannes aus?

Er sagte: ‹Es stimmt, man sieht alles, aber die Szene macht Sinn. Sie trägt viel dazu bei, der Figur der Marina folgen zu wollen.›

Erzählen Sie bitte etwas über die Dreharbeiten der Sexszene.

Alexey Serebryakow und ich waren nervös, nicht zuletzt auch deshalb, weil wir beide noch nie so eine Szene gedreht haben. Der Regisseur spielte uns dann die Szene zusammen mit der Skriptfrau vor. Das war tatsächlich sehr hilfreich, irgendwie auch lustig und hat die Spannung aus der Situation genommen. Danach hat mich Alexey an der Hand genommen und wir sind zusammen zum Kameramann gegangen, haben auf den Monitor geschaut und uns erklären lassen, wie er die Szene filmen wird.



Früher wurden Autorinnen und Autoren bei Drehbuch-Besprechungen regelmässig aufgefordert, noch eine knackige Sexszene einzubauen.

Schauspielerinnen und Schauspieler sind bei solchen Redaktionssitzungen nicht dabei, wir kommen erst später dazu. Aber ich denke, dass dem heute nicht mehr so ist, was wir nicht zuletzt der Diskussion um #MeToo zu verdanken haben. Eine Sexszene in einem Film zu zeigen, nur damit etwas nacktes Fleisch zu sehen ist, ist ein absolutes No-Go und langweilig.

Die deutsche Schauspielerin Barbara Auer sagte einmal: ‹Wir sind es als Schauspielerinnen zwar gewohnt, uns preiszugeben, aber buchstäblich nackt zu sein – und das ja immer inmitten angezogener Menschen am Set –, erfordert viel Mut.›

Absolut. Während eine Sexszene gedreht wird, ist jedes noch so kleine Detail wichtig. Ich hatte während den ‹Spagat›-Dreharbeiten zudem eine sehr umsichtige Kostüm-Assistentin an meiner Seite. Sie hat für mich geschaut und hätte mich, wenn nötig, auch vor zu vielen neugierigen Blicken geschützt. Im Übrigen musste der Grossteil der Crew den Raum verlassen, als wir die besagte Szene gedreht haben.

Wie viele Leute blieben im Raum?

Regie, Kameramann, Ton, Kostüm, Alexey und ich.

Wahre Geschichte, dass nicht die Filmpartner, sondern die Beleuchter auf dem Set die wirklich bösen Buben sind?

Ich habe bisher nur tolle und ganz integere Beleuchter kennengelernt, die alle einen super Job gemacht haben.

Ihre schlimmste Erfahrung auf einem Filmset?

Schrecklich ist es, wenn die Regie sich nicht für meine Arbeit interessiert. Das klingt paradox, nicht wahr? Aber das gibt es. In solchen Situationen wird man degradiert auf ‹Dienst nach Vorschrift›.

«Während eine Sexszene gedreht wird, ist jedes noch so kleine Detail wichtig»: Rachel Braunschweig mit Filmpartner Alexey Serebryakow.
«Während eine Sexszene gedreht wird, ist jedes noch so kleine Detail wichtig»: Rachel Braunschweig mit Filmpartner Alexey Serebryakow.
Bild: Szene aus dem Film «Spagat» (Frenetic Films)

Welche Erfahrungen haben Sie mit Grüselmännern am Filmset gemacht?

Meine Erfahrung mit einem übergriffigen Mann liegt Jahre zurück. Ich war am Theater engagiert, wir probten das Stück ‹Der Geizige›. Ein Kollege sollte mich auf der Bühne küssen und mir danach eine Ohrfeige verpassen. Allein schon diese Inszenierungsidee! Leider roch der Kollege nicht nur unfein, sondern er schlug auf den Proben jeweils auch derart hart zu, dass öfter ein Abdruck seiner Hand auf meinem Gesicht zurückblieb. In der Folge stellte ich ihn zur Rede, was leider nichts brachte. Ich wollte die Sache jedoch nicht auf sich beruhen lassen. Als dann bei der Premiere die besagte Szene anstand, ging ich wie verlangt auf den Mann zu, drehte mich aber im allerletzten Moment ab und verschwand hinter dem Vorhang. Er konnte mich also nicht küssen und mir auch keine Ohrfeige verpassen. Am nächsten Tag wurde ich deswegen zum Intendanten zitiert.

Wurden Sie rausgeworfen?

Nein. Es gab eine Aussprache mit dem besagten Kollegen.

Wann ist Ihnen zuletzt etwas passiert, was Sie Sexismus nennen würden?

Es heisst immer wieder, ich sei eine Spätzünderin. Ich habe noch nie ein Interview mit Morgan Freeman, Christopher Waltz oder Samuel Lee Jackson gelesen, in dem sie gefragt wurden, weshalb sie erst mit plus minus 50 einen Karriereschub erlebten. Ich mag das nicht mehr hören. Tönt als Schlagzeile vielleicht gut, aber bei einem Mann würde man da nie drauf rumreiten. Ich freue mich, wenn wir in Zukunft einfach über meine Arbeit reden können.

Woran erkennt man auf dem Filmset, dass Sie schlechte Laune haben?

Ich schweige und ziehe mich zurück.

Der anstrengendste Teil Ihrer Arbeit?

Langes Warten am Set.

Der inspirierendste Teil?

Die Zusammenarbeit mit der Regie und der Austausch mit meinen Schauspielkolleginnen und -kollegen. Wenn man einen Take gedreht hat, bei dem alle gleichzeitig realisieren, dass er perfekt war, dann fühlt es sich an wie pures Glück.



Wirklich wahr, dass Sie ein gänzlich hobbyloser Mensch sind?

(Lacht schallend) Es stimmt, Arbeiten, die sich ständig wiederholen, sind mir ein Gräuel.

Was tun Sie, wenn Sie auf dem Filmset eine Szene mehrmals spielen müssen?

Ähmm … ich habe den Ehrgeiz, eine One-Takerin zu sein, aber natürlich funktioniert das nicht immer. Als ich noch Theater spielte, wäre mir am liebsten gewesen, ich hätte mich nach der Premiere eines Stücks sofort einem neuen Projekt zuwenden können.

Sind Sie besser, wenn Sie auf dem Filmset gequält werden? Oder wenn Sie quälen dürfen?

Keines von beidem. Das ist ein bescheuerter Mythos, dass Menschen leistungsfähiger werden, wenn man sie schlecht behandelt.

Sind Sie gut im Entschuldigen?

Ich finde schon.

Bei welchem Regisseur müssen Sie sich noch entschuldigen?

Es gibt einen, aber ich werde hier jetzt keine Namen nennen. Während einer Theaterprobe wurde ich derart sauer, dass ich einen Schuh nach ihm geworfen haben. Nicht die feine Art. Ich weiss.

Haben Sie ihn getroffen?

Ich zielte natürlich bewusst daneben.

Wie schütteln Sie eine Rolle ab, wenn Sie nach Hause gehen?

Durch die Zeit, die vergeht. Das dauert mal länger, mal weniger lang.

«Als ich noch Theater spielte, wäre mir am liebsten gewesen, ich hätte mich nach der Premiere eines Stücks sofort einem neuen Projekt zuwenden können»: Rachel Braunschweig.
«Als ich noch Theater spielte, wäre mir am liebsten gewesen, ich hätte mich nach der Premiere eines Stücks sofort einem neuen Projekt zuwenden können»: Rachel Braunschweig.
Bild: Szene aus dem Film «Spagat» (Frenetic Films)

Ihr Erfolgsgeheimnis?

Ich bin eine leidenschaftliche Handwerkerin. Am besten bin ich, wenn ich einen Stoff durchdringe und mich darin ganz sicher fühle.

Wann sind Sie zuletzt kläglich gescheitert?

Bei fast allem, was mit Computertechnik zu tun hat. Ein Graus und absolutes Desinteresse.

Wie reagieren Sie, wenn Sie Ihr Gesicht zufällig im Fernsehen sehen: Dranbleiben oder sofort umschalten?

Umschalten – aber nicht etwa, weil ich mich nicht sehen will, sondern weil ich den Film ja bereits kenne.

Ihre Lieblingssendung im Schweizer Fernsehen SRF?

Ich bin eine leidenschaftliche Kinogängerin und ein Serienjunkie und meine Lieblingssendung am Radio ist ‹Kontext›, die tägliche Hintergrundsendung von SRF2.

Zum Schluss gibt es jetzt noch den Self-Rating-Test: Sie schätzen Ihr Talent zwischen zehn Punkten, super tolle Begabung, und null Punkten, keine Begabung, ein: als Unterwäsche-Model.

Oh Gott, nein … dazu hätte ich gar keine Lust … Stellen Sie diese Frage auch einem Mann?

Ja. – Sängerin?

Drei Punkte. Ich finde, andere Schauspielerinnen und Schauspieler haben gesanglich deutlich mehr drauf als ich. Ich kann Ihnen aber verraten: In der neuen TV-Serie ‹Neumatt›, die ab Oktober bei SRF zu sehen sein wird, spiele ich eine Figur, die durchaus musikalisch ist. Zusammen mit Rahel Hadorn, eine wunderbare Sängerin und Dozentin, habe ich dafür das Singen aber ganz gut hingekriegt. Für eine Platte wird es aber nicht reichen.

Köchin?

Acht Punkte. Als hobbyloser Mensch macht es mir viel Spass, immer wieder neue Rezepte auszuprobieren.

Gärtnerin?

Fünf Punkte. Es reicht für die Pflanzen auf unserem Balkon.

Der nächste Termin in Ihrer Agenda?

Nächste Woche stehe ich in Rom für die Öko-Thriller-Serie ‹The Swarm› nach dem Roman von Frank Schätzing vor der Kamera. Ich drehe zum ersten Mal in englischer Sprache.

Der Film «Spagat» ist ab Donnerstag 24. Juni in den Kinos zu sehen.

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