Lokale ohne Alkohol: In vielen Ländern macht dieses Geschäftsmodell bereits Schule. Wirte erzählen die Geschichten hinter den Sober Bars.
Von Dee-Ann Durbin, AP
17.03.2021, 00:00
Von Dee-Ann Durbin, AP
Durch die weltweite Kneipenszene schwappt ein Trend, der auf den ersten Blick überrascht. Viele Bars setzen inzwischen auf den Ausschank alkoholfreier Drinks. Im futuristischen «0% Non-Alcohol Experience» in Tokio etwa können Gäste an einem Cocktail aus alkoholfreiem Weisswein, Sake und Cranberries nippen – ganz ohne einen Schwips zu bekommen.
Auch ein Abend in der Sans Bar in Austin, Texas, sah vor Kurzem noch so aus: Gäste scharten sich um die Tische im Freien, genossen Live-Musik, alkoholfreie India Pale Ales und sogenannte Mockaritas mit Wassermelone, die mit einem Tequila-Ersatz gemixt werden.
Der trockene Barbetreiber
Die Welle der Sober Bars zielt auf jene, die auch mal nüchtern ausgehen wollen. Ganz neu ist das Phänomen aber nicht. Die ersten «nüchternen Kneipen» sprossen schon Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Abstinenzbewegung aus dem Boden. Doch galten die ersten Angebote vor allem überzeugten Nichttrinkern und trockenen Alkoholikern, sind in den Sober Bars sowohl Abstinenzler als auch Neugierige willkommen. «Viele Leute wollen einfach weniger trinken», sagt Chris Marshall, Gründer der Sans Bars in Austin.
Er muss es wissen. Seit 14 Jahren ist Marshall trocken. Seine Sans Bar eröffnete er, nachdem er zuvor als Suchtberater gearbeitet hatte. Er schätzt, dass 75 Prozent seiner Gäste ausserhalb seiner Kneipe zu alkoholischen Getränken greifen. Stammgast Sondra Prineaux kommt in die Sans Bar, weil hier ein paar Probleme eines herkömmlichen Barbesuches schlicht wegfallen. «Ich muss mir keine Sorgen darüber machen, mein Auto hierzulassen und per Uber heimzukommen. Ich wache ohne Kopfschmerzen auf.»
Dass Menschen weltweit immer mal wieder versuchen, ohne Alkohol auszukommen, zeigt sich auch am Dry January; diesen trockenen Januar nutzen viele, um nach den Festtagen einen Monat lang abstinent zu leben.
Der Trend der Sober Bars werde auch durch ein wachsendes Interesse an Gesundheit und Wellness gestärkt, erklärt Brandy Rand, Topmanagerin bei der auf die Alkoholbranche spezialisierten Marktanalysefirma IWSR. Laut dem Dienstleister sank der Alkoholverbrauch in zehn Schlüsselmärkten – darunter die USA, Deutschland, Japan und Brasilien – im vergangenen Jahr um fünf Prozent. Der Konsum von Getränken mit geringem oder keinem Alkoholgehalt legte im gleichen Zeitraum um ein Prozent zu.
Nun verkauft sich Alkohol noch immer bei weitem besser als Getränke mit wenig oder keinem Alkohol. Konsumenten in den Schlüsselmärkten kippten sich im vergangenen Jahr 87,3 Milliarden Liter Alkohol hinter die Binde. Bei den Drinks mit geringem oder keinem Alkoholgehalt waren es 2,6 Milliarden Liter. Doch nehme der Genuss dieser Getränke zwei bis drei Mal schneller zu als der Gesamtverbrauch von Alkohol, schiebt Rand hinterher.
Zu viele alkoholfreie Optionen
Angetrieben wird der Verkauf von Alkoholfreiem auch durch eine wahre Explosion neuer Produkte. Da gibt es etwa Getränke von Ritual Zero Proof – das Werk in Chicago brennt alkoholfreien Whiskey, Gin und Tequila. Und natürlich grosse Brauereien wie Anheuser-Busch, die im vergangenen Jahr Budweiser Zero auf den Markt brachte.
«Ich habe das wunderbare Problem, zu viele grossartige Optionen zu haben», freut sich Lokalbesitzer Douglas Watters. Erst im November eröffnete er in New York seinen Laden Spirited Away, der alkoholfreie Biere, Wein und Spirituosen anbietet.
Der pandemiebedingte Lockdown habe ihn veranlasst, seine Gewohnheit zu überdenken, jeden Tag mit einem Cocktail zu beenden, erzählt Watters. Er habe dann angefangen, mit alkoholfreien Getränken zu experimentieren – und sich im August entschieden, daraus eine Geschäftsidee zu machen.
Viele seiner Gäste seien trocken, schwanger oder hätten gesundheitliche Probleme. Einige trainierten für einen Marathon, andere wollten einfach nur ihren Alkoholkonsum einschränken. Es gebe eine Menge Leute, die sich seit dem vergangenen Jahr mehr als jemals zuvor kritisch mit ihrem Trinkverhalten und den Folgen für ihr Befinden auseinandersetzten, sagt Watters.
«Tausende Gründe, nicht so viel zu trinken»
Joshua James, ein langjähriger Barkeeper, hatte in der Pandemie eine ähnliche Erkenntnis. Nach einem Intermezzo im Friendship House, einem Suchtbehandlungszentrum, eröffnete er kürzlich in San Francisco das Ocean Beach Cafe, eine alkoholfreie Bar. Ihm sei es darum gegangen, die «Worte Sucht, Heilung und Nüchternheit» vom Stigma zu befreien, sagte er. «Es gibt tausend Gründe, nicht so viel zu trinken.»
Das Coronavirus habe bei vielen Menschen den Gesinnungswandel rund um Trinkgewohnheiten zwar mit «Warp-Geschwindigkeit» befördert, wie es James ausdrückt. Doch hat die Pandemie die aufstrebende alkoholfreie Barszene auch gebremst.
Denn einige Lokale, etwa die bekannte The Virgin Mary Bar in Dublin oder das Zeroliq in Berlin, mussten ihre Türen wegen der Corona-Auflagen vorübergehend schliessen. Die New Yorker Bar Getaway verwandelte sich kurzerhand in ein Café, um den Folgen der Pandemie zu trotzen. Besitzer Sam Thonis hofft aber auf eine Rückkehr zum Bar-Format im Frühling und hat schon Stühle in den Aussenbereich gestellt.
Billy Wynne, Mitbesitzer der Bar Awake in Denver, bringt fürs Erste auch Kaffee und alkoholfreie Spirituosen per Fensterverkauf unters Volk. Er setzt auch darauf, dass die Türen im April wieder aufgehen. Der Preis für seine Drinks seien mit jenen in einer herkömmlichen Bar vergleichbar, sagt Wynne. Alkohol sei günstig, und der Prozess von dessen Extraktion aus Getränken mache das Ganze teurer.
Seine Gäste seien in ihren Dreissigern und Vierzigern, die meisten Frauen. Einige hätten ihm gesagt, sie hätten schon ihr ganzes Leben darauf gewartet, dass so eine Bar aufmache. Eine Modeerscheinung seien Sober Bars also nicht.