Kolumne Streit in der Gartenbeiz – wo Dezibel auf Promille trifft

Von Marianne Siegenthaler

22.7.2019

Woran erkennt man den Sommer in der Stadt? An der Mediterranisierung. (Symbolbild)
Woran erkennt man den Sommer in der Stadt? An der Mediterranisierung. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Im Sommer verwandelt sich die Stadt in eine grosse Gartenbeiz. Das freut längst nicht alle – auch unsere «Bluewin»-Kolumnistin nicht.

Woran erkennt man den Sommer in der Stadt? An der Mediterranisierung. Genau. Also an den Bemühungen der städtischen Gastroszene, lockere Ferienstimmung zu verbreiten.

Das Trottoir wird dank ein paar Stühlen und Tischen zum Strassencafé. Der Kiesplatz, der normalerweise der Hundeversäuberung dient, wandelt sich zum Biergarten. Und falls da noch ein paar Bäume stehen, wird flugs eine Gartenbeiz draus.

Den Leuten gefällt es, und so sind die Outdoor-Restis bereits am Nachmittag und erst recht an schönen Sommerabenden proppenvoll. Nicht immer zur Freude der Anwohnerinnen und Anwohner, denn diese haben einiges an Lärm zu ertragen. Und das häufig bis tief in die Nacht hinein.

Denn selbst wenn das Restaurant bereits geschlossen hat: Manche Gäste haben sich so viel lauthals zu erzählen, dass sie sich einfach nicht auf den Heimweg machen wollen.

Lauter und lauter

Unter dem Lärm leiden aber nicht nur die Nachbarn, sondern auch die Gäste selbst. Ich zum Beispiel. Ich verstehe nicht, weshalb ich unerbittlich vom schlechten Musikgeschmack des Barkeepers oder wer auch immer die Auswahl trifft, verfolgt werde. Laut verfolgt.

Denn um das plaudernde Publikum zu übertönen, braucht es ein paar Dezibel. Worauf die Gäste den Geräuschpegel noch etwas anheben, weil sie einander nicht mehr verstehen. Oder weil sie schon einiges an Alkohol intus haben. Oder beides.

Aber immerhin findet die Unterhaltung direkt statt. Von Mensch zu Mensch sozusagen. Manche Gäste ziehen es vor, sich übers Handy auszutauschen. Und das natürlich auch lautstark. «Ghörsch mi?» – «Ich dich au nöd.» – «Weisch, es isch so luut da i dä Beiz.»

Und wo es mediterran zu- und hergeht, dürfen die Bambini natürlich nicht fehlen. Aus lauter Langeweile spielen sie Fangis, rennen kreischend zwischen der engen Bestuhlung durch und rempeln die Servicemitarbeiter an, dass Mami und Papi einen weiteren Caipi oder was immer grad angesagt ist serviert.

Wer keine Kinder hat, der hat zumindest einen Hund, grad erst gerettet aus Rumänien und darum noch etwas verschüchtert. Wen wundert es, dass sich das arme Tier nicht anders als mit pausenlosem Gekläff zu helfen weiss?

Klappenauspuff-Hirnis

Ab und zu wird die Geräuschkulisse in der Gartenbeiz durch noch mehr Lärm aufgemischt. Beispielsweise wenn das Tram vorbeifährt. Oder ein geltungsbedürftiger junger Mann mit Klappenauspuff. Und sein Kollege, der hinter ihm herfährt. Und dann noch ein Kollege, der auch zeigen will, dass sein Auto laut kann.

Kurz: Es herrscht ein Höllenkrach in der lauen Sommernacht, und ich bin ganz dankbar, dass ich nicht hier wohnen muss.

Also schnell zurück nach Hause, wo ein lauschiger Garten auf mich wartet – und der Sohn einer Mieterin im Mehrfamilienhaus nebenan, der zusammen mit seinen ebenfalls arg alkoholisierten Kollegen «Griechischer Wein» in die unschuldige Nacht hinaus grölt ...

Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Wenn sie grad mal nicht am Schreiben ist, verbringt sie ihre Zeit am liebsten im, am und auf dem Zürichsee.

«Kolumne»: Ihre Meinung ist gefragt

In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine Mail an: redaktion2@swisscom.com

Das sind die meist tätowierten Menschen der Welt
Zurück zur Startseite