Bilanz ziehen «Unsere Kinder haben das schon viel besser begriffen»

Von Julia Käser

4.2.2021

Mit Plakaten werben Frauen des Aktionskomitees «Ein Ja für die Frau» am 5. Februar 1971 in der Schweiz für das Frauenstimmrecht. Zwei Tage später erhielten die Schweizerinnen nach jahrzehntelangem Kampf die volle politische Gleichberechtigung auf Bundesebene. 
Mit Plakaten werben Frauen des Aktionskomitees «Ein Ja für die Frau» am 5. Februar 1971 in der Schweiz für das Frauenstimmrecht. Zwei Tage später erhielten die Schweizerinnen nach jahrzehntelangem Kampf die volle politische Gleichberechtigung auf Bundesebene. 
Bild: Keystone

Seit 1971 dürfen Frauen nach jahrzehntelangem Kampf in der Schweiz auf Bundesebene mitbestimmen. In einem Buch ziehen 25 Frauen Bilanz und sind sich einig: Noch gibt es einiges zu tun. 

Syrien, die Türkei und Kuba waren uns Jahrzehnte voraus. Erst 50 Jahre ist es her, dass das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt wurde: Nach jahrelangem Kampf erhielten die Schweizerinnen am 7. Februar 1971 das Recht zur politischen Mitsprache auf Bundesebene.

Dieses Jubiläum nahmen die Publizistin Isabel Rohner und die Journalistin Irène Schäppi als Anlass für ihr Buch «50 Jahre Frauenstimmrecht». Darin ziehen 25 bekannte Frauen zwischen 18 und 87 Jahren Bilanz. Sie schauen zurück auf den harten Kampf um das Stimm- und Wahlrecht, aber auch nach vorn auf das, was es noch zu tun gibt. Spoiler: Das ist so einiges.

Die Beiträge im Buch von Rohner und Schäppi sind mal persönlich, mal wissenschaftlich und kommen in ganz unterschiedlichen Formen daher. Der Sammelband enthält Interviews, Porträts, Bestandsaufnahmen, aber auch ein Manifest und einen Comic. Die Musikerin Lea Lu steuert gar ein eigens dafür geschriebenes Lied bei.

Zum Buch
Bild: Limmat Verlag

Isabel Rohner (Hrsg.) und Irène Schäppi (Hrsg.): «50 Jahre Frauenstimmrecht». Limmat Verlag, 256 Seiten, ca. 34 Franken. 

Gegenwind und Abneigung für die ersten Frauen

Zu Wort kommen unter anderem Pionierinnen wie Margrith Bigler-Eggenberger als erste Bundesrichterin und Elisabeth Kopp, die von 1984 bis 1989 die erste Bundesrätin der Schweiz war. «Ich wollte einfach in jeder Beziehung so gut sein, dass niemand sagen kann: Die Frauen können das nicht», erinnert sich diese an ihre Zeit in der Regierung. 

Sie hätte viel dafür gegeben, nicht immer überall die erste und vor allem einzige Frau gewesen zu sein, sagt Kopp. Die Ratskollegen, erst im Gemeinderat, dann im Bundesrat, hätten sie in der Regel als Störfaktor wahrgenommen. 

«Ich wollte einfach in jeder Beziehung so gut sein, dass niemand sagen kann: Die Frauen können das nicht.»

Wie Kopp hat auch Margrith Bigler-Eggenberger stets viel Gegenwind und Abneigung erfahren. Sie ist überzeugt davon, dass die Männer den Frauen durch die späte Einführung des Frauenstimmrechts Unrecht getan haben.

Zwölf Jahre zuvor hatten die Männer noch gemauert

Für die Regierung hingegen stellte die Tatsache, dass Frauen der Urnengang auf Bundesebene verwehrt blieb, lange Zeit kein Unrecht dar, wie Andrea Maihofer, Professorin für Geschlechterforschung, in ihrem Beitrag darlegt. 

Sie erklärt: Als Antwort auf zahlreiche Vorstösse kam der Bundesrat 1923 zum Schluss, dass die damalige Formulierung in Artikel 74 der Bundesverfassung «Stimmberechtigt ist jeder Schweizer, der ...» Frauen nicht einschliesse. Das Wort «Schweizer» könne nachträglich nicht anders interpretiert werden. Die Folge davon: Um den Frauen das Stimmrecht einzuräumen, war eine Verfassungsänderung – und damit eine Volksabstimmung nötig.  

Mit der Idee, dass Frauen fortan abstimmen und wählen können, tat sich das Schweizer Stimmvolk – damals selbstredend nur aus Männer bestehend – lange Zeit schwer. Noch 1959 wurde das Frauenstimmrecht mit 66,9 Prozent abgelehnt. Bis 1952 verloren Schweizerinnen übrigens ihre Staatsbürgerschaft, wenn sie einen ausländischen Mann heirateten.  

Tiefere Löhne, Sexismus und fehlende Sichtbarkeit

Dass das Ganze so lange gedauert hat, habe bis heute Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, ist sich Regisseurin Petra Volpe sicher. «Die Nebenwirkungen spüren wir auch heute noch. Es ist ja nicht so: Jetzt können wir Frauen wählen, jetzt ist alles vergessen.» 

Darüber hinaus ist man auch jetzt noch nicht dort, wo man hinmöchte – so der Tenor des Buches. Frauen verdienen weniger als Männer, werden noch immer öfter nach dem Äusseren statt dem Können beurteilt, sind viel häufiger mit Sexismus konfrontiert und in der Medienberichterstattung sowie in der Politik untervertreten. 

«Es ist ja nicht so: Jetzt können wir Frauen wählen, jetzt ist alles vergessen.»

Was es noch braucht, ist für SP-Nationalrätin Samira Marti klar: Druck ausüben, die eigene Meinung öffentlich und laut zum Ausdruck bringen – in Lese-, aber auch mal in Lobbybriefen. Und: Frauensolidarität weit über die Parteigrenzen hinweg. 

Feminismus ist kein Nullsummenspiel

Dass Frauen in Führungspositionen trotz vieler Fortschritte noch immer anders behandelt werden als Männer, hat auch SRG-Direktorin Nathalie Wappler erfahren. Als «wichtiger Etappensieg auf halbem Weg» bezeichnet sie das 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts deshalb.

Katja Stauber – übrigens die erste hochschwangere Moderatorin, die das Schweizer Fernsehpublikum je zu sehen bekam – ist optimistisch, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Der Feminismus sei kein Nullsummenspiel, bei dem immer nur das eine Geschlecht gewinne, während das andere verliere. «Unsere Kinder haben das schon viel besser begriffen als frühere Generationen.»

Nach der Lektüre von «50 Jahre Frauenstimmrecht» bleiben eine gewisse Empörung gemischt mit einer Portion von Staubers Optimismus zurück. Und viel neu gewonnenes Wissen über den wohl grössten Kampf der Schweizer Frauen, über den bis anhin zu häufig geschwiegen worden ist. 

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