Double SeatingWarum ich den Schichtbetrieb für Gäste in Sterne-Restaurants hasse
Bruno Bötschi
20.4.2025
Früher war es möglich, in Sterne-Restaurants zu versacken. Heute begrenzen immer mehr Lokale die Zeit, in der man als Gast einen Tisch besetzen darf. (Symbolbild)
Bild:Keystone
Ich esse gerne in Sterne-Restaurants. Heute begrenzen aber immer mehr Lokale die Zeit, in der ich als Gast einen Tisch besetzen darf. Das mag mehr Umsatz bringen, sorgt aber vor allem für Stress und Unmut.
Wer Zürich besucht und Lust auf gutes Essen hat, muss sich immer häufiger auf das sogenannte Double Seating gefasst machen.
Beim Double Seating werden die Gäste in zwei Schichten eingeteilt.
Im Restaurant Bauernschänke im Zürcher Neumarkt-Viertel beginnt die erste Schicht um 18.30 Uhr, die zweite um 21 Uhr.
Blöd nur, wenn in einem Lokal wie der «Bauernschänke», das von Gault&Millau mit 16 Punkten bewertet wird, die schichtweise Abfertigung zu eng getaktet ist.
«Viel Talent ist in der ‹Bauernschänke› weiterhin vorhanden, voll entfaltet hat es sich aber noch nicht.» Der letzte Satz im Gault&Millau über das Restaurant von Nenad Mlinarevic und Diem Valentin im Zürcher Niederdorf hätte uns stutzig machen können.
Stattdessen liessen wir uns von einem Satz auf tsüri.ch verführen: «Fun Fine Dining in Traditionsbeiz ... Zusätzlich bietet das Überraschungsmenü die Möglichkeit, die ganze Bandbreite der Küche zu erleben».
Weil meine Freund*innen und ich gerne gut essen, wollten wir uns diese Überraschung nicht entgehen lassen. Wir hatten schliesslich etwas zu feiern: meinen Geburtstag.
Blöd, wenn die schichtweise Abfertigung zu eng getaktet ist
Aber ich fange besser vorne an: Wer Zürich besucht und Lust auf gutes Essen hat, muss sich immer häufiger auf das sogenannte Double Seating gefasst machen.
Beim Double Seating werden die Gäste am Abend in zwei Schichten eingeteilt. In der «Bauernschänke», die von Gault&Millau mit 16 Punkten bewertet wird, beginnt die erste Schicht um 18.30 Uhr, die zweite um 21 Uhr.
Warum Restaurants heute immer mehr auf das Double Seating setzen? Es kann die Auslastung erhöhen. Bei kluger Planung ist es rein rechnerisch möglich, 100 Prozent mehr Gäste zu bedienen und den Umsatz so zu verdoppeln.
Blöd nur, wenn das Restaurant die schichtweise Abfertigung zu eng taktet und die Bedienung auch noch einen schlechten Tag erwischt:
In der «Bauernschänke» sollten wir an diesem Abend das Fünf-Gang-Überraschungsmenü plus das eingangs servierte Milchbrötchen innerhalb von zwei Stunden reinschaufeln. Was das genau mit Fun Fine Dining zu tun haben soll, blieb mir schleierhaft.
Kellner bringt bereits vor dem Kaffee die Rechnung
Für manche Menschen tönen zwei Stunden für ein Abendessen mit schlussendlich sechs Gängen vielleicht nach genügend Zeit. Leider war aber um 20 Uhr, also eine Stunde vor Schichtwechsel, der Hauptgang des Überraschungsmenüs noch nicht serviert.
Und so kam es, wie es kommen musste: Der Kellner legte uns bereits vor dem Espresso und dem Grappa (wir bestellten beides nicht mehr) die Rechnung auf den Tisch.
Ich weiss natürlich auch, Zutaten und Mitarbeiter*innen kosten Geld – und das alles bei steigenden Mieten und immer strengeren Auflagen.
Aber als Gast besuche ich kein Restaurant, damit dies möglichst effizient auslastet ist. Und sowieso: Gehe ich nur wegen des Hungers Essen, kann ich auch etwas in einem Take-away holen oder belege mir selber ein Sandwich.
«Eine 1000er Note nehmen wir aus Prinzip nicht»
Besuche ich ausserdem ein Restaurant, das mir ausdrücklich ein Fun Fine Dining verspricht, so wie es die Bauernschänke tut, dann will ich einen besonderen, aber vor allem stresslosen Abend erleben.
Ein Essen also, bei dem ich mit meinen Freund*innen geniessen, reden und lachen kann – und ich dabei nicht ständig auf die Uhr schauen muss.
Ach ja, und jetzt kommt noch das Tüpfelchen auf dem i am Ende unseres Besuches in der «Bauernschänke»:
Nachdem der Freund, der uns alle an diesem Abend zum Essen eingeladen hat, die Rechnung über 961.50 Franken mit einer 1000er-Note begleichen wollte, kam der Kellner kurz danach zurück und knallte die Rechnung auf den Tisch: «Die nehmen wir nicht.»
Auf die Nachfrage, warum nicht, sagte er mit einem süffisanten Lächeln: «Aus Prinzip nicht».
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