Friends-forever-Kolumne Warum sind mir andere Menschen wichtiger als ich ihnen?

Von Gabriella Alvarez-Hummel

1.4.2022

Freundschaften können kompliziert sein, unter anderem weil sie nicht allen gleich wichtig sind. Der Film «Das perfekte Geheimnis» zeigt das ziemlich beispielhaft.
Freundschaften können kompliziert sein, unter anderem weil sie nicht allen gleich wichtig sind. Der Film «Das perfekte Geheimnis» zeigt das ziemlich beispielhaft.
Bild: Praesens Film

Unsere Kolumnistin erkennt ein Muster, das bis in die Primarschule zurückreicht: Sie empfindet die Freundschaft wichtiger als ihr Gegenüber.

Von Gabriella Alvarez-Hummel

1.4.2022


In der vierten Klasse bekam ich einen Brief von meiner ersten besten Freundin Cleo (Name erfunden): «Liebe Gabi, wir können keine besten Freundinnen mehr sein. Meine Cousine Annalena ist jetzt meine beste Freundin.»

Sie schaute mir beim Lesen zu, ich sagte einfach «okay», ging weg, und weinte dann ein bisschen auf der Primarschul-Toilette. Dann begann eine jahrelange Odyssee auf der Suche nach einer besten Freundin.

Immer wenn ich dachte: Jetzt hab ich sie!, passierte irgendwas und sie war es nicht mehr – oder ich erkannte, dass die Freundschaft eher einseitig war und ich mir eine beste Freundschaft nicht so vorstellte.

Zum Beispiel lud ich die Freundinnen immer zu mir nach Hause ein, aber sie mich nie zu ihnen. Schon damals machte ich für mich die Regel fest: Wenn ich das Zuhause einer Freundin nicht kenne, ist sie keine.

Kein Anlass zur besten Freundschaft

Dieses Muster in meinem Leben habe ich erst später erkannt: Ich habe die Tendenz, Freundschaften oder Bekanntschaften als wichtiger zu empfinden als das Gegenüber.

Wie damals in der Schule, als ich jemanden zur besten Freundin erkor, obwohl es aus Sicht der anderen Person keinen Anlass dazu gegeben hatte. Weder ein besonderes Vertrauensverhältnis, noch spezielle geteilte Erlebnisse oder Einladungen nach Hause.

Im Rückblick habe ich viele Menschen als Freund*innen bezeichnet, die es auf keinen Fall waren. Dass ich das nicht sah, irritiert mich heute. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich nie argwöhnisch wurde, wenn ich mehr gegeben als erhalten habe. Wenn ich zum Beispiel immer zum Geburtstag einlud, die andere Person mich aber nicht, dann fand ich das nie komisch. Sollen doch alle machen, was sie wollen.

Aber warum dieses Bedürfnis, einer Freundschaft mehr Wichtigkeit zuzuschreiben, als eigentlich angesagt wäre? Ein Ego-Trip? Falsches Lesen von Zeichen?

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Ich verletze mich damit nur selber

Ich habe viel dazugelernt in der Zwischenzeit: Zum Beispiel, dass man mehrere beste Freund*innen haben kann. Dass es verschiedene Arten von Freundschaften gibt und dass man das alles nicht so unglaublich ernst nehmen muss.

Mein Verständnis für das Geben und Nehmen ist geschärft. Aber es ist ein Effort, den ich leisten muss. Bevor ich – innerlich oder offen – verkünde, mit Person XY bin ich befreundet, halte ich inne und frage mich: Ist es wirklich so? Sind wir nicht viel eher einfach Bekannte und reicht das nicht auch völlig aus?

In einem Instagram-Post las ich: «Und für meinen nächsten Trick werde ich mir selbst das Herz brechen, indem ich meinen Platz im Leben der anderen überschätze.»

Autsch.

Aber auch interessant: Mit diesem Verhalten verletze ich mich ja selber am meisten. Und das ist ja wohl eine wirklich interessante Erkenntnis. Es geht gar nicht um das Gegenüber, sondern um mich, meine Bedürfnisse, meine Grenzen und meine Tendenz, mehr zu geben als überhaupt gefragt ist.


Friends-forever-Kolumne
zVg

Es gibt Elternblogs, Beziehungsratgeber, was aber ist mit Freundschaften? Warum werden sie im öffentlichen Diskurs so vernachlässigt? Die freie Autorin Gabriella Alvarez-Hummel will das mit ihrer Kolumne ändern. Hast du eine Frage oder einen Themenvorschlag? Immer her damit per Privatnachricht auf Instagram.