Literaturtage im Netz Auch die fünfte Landessprache ist in Solothurn vertreten

fa, sda

13.5.2021 - 19:00

Ein Ort von Debatten und öffentlichem Nachdenken sollen die Solothurner Literaturtage sein. Am Wochenende findet deren 43. Ausgabe statt – pandemiebedingt hauptsächlich im Netz.

13.5.2021 - 19:00

Die 43. Ausgabe der Solothurner Literaturtage, die vom 14. bis 16. Mai hauptsächlich online stattfinden, zielt auf gesellschaftliche Relevanz und auf eine gewichtigere Position im Literaturbetrieb. Die Literaturtage sollen ein Ort für öffentliches Nachdenken mit gesellschaftspolitischem Anspruch sein. Der Begriff des schweizerischen Literaturschaffens wird durch so genannt «andere Landessprachen» erweitert. Die Gattung der Graphic Novel erhält einen eigenen Stellenwert, neben geläufigen Genres, wie Prosa, Lyrik und Spoken Word.

Das Literaturfestival sucht eine gewichtige Position auch im Verhältnis zu anderen Literaturfestivals, und zwar als Ort, an dem literarisches Schaffen ausgezeichnet wird. So lässt sich umreissen, wo der neue Geschäftsführer Dani Landolf seine «Duftmarken» setzt, wie er es selbst ausdrückt.

«Ort von Debatten»

«Solothurn muss ein Ort von Debatten sein. Man soll intelligenten Menschen beim Denken zuhören und zuschauen können», sagt Landolf im Gespräch mit Keystone-SDA. Auf dem Programm stehen denn auch Podiumsveranstaltungen zur Macht des Populismus, zum Identitätsdiskurs und zum Thema Literatur in der Krise. Ausserdem gibt es Gespräche, in denen Literaturschaffende auf eine Politikerin und einen Politiker treffen.

«Letzteres liesse sich ausbauen», sagt Landolf und begründet, warum er solche Veranstaltungen programmiert hat: «Als Literaturbranche müssen wir uns besser mit der Politik vernetzen.» Aus ihm spricht der ehemalige Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands (SBVV), wenn er darauf hofft, über die Solothurner Literaturtage der Schweizer Literatur in der Politik mehr Gehör zu verschaffen.

Mit dieser Haltung zeigt Landolf zugleich sein Verständnis von Literatur. «Lesen macht etwas mit uns, es weckt Empathie, schult uns im Abwägen von Worten – und Literatur kann eine seismographische Funktion haben, gesellschaftliche Entwicklungen spiegeln.» Er selbst zeigt sich als jemand, der «das Lesen für sich entdeckt hat». Bei den Solothurner Literaturtagen musste er allerdings seine Art des Lesens «professionalisieren».

Als Mitglied der Programmkommission habe er 40 bis 50 Bücher gelesen, um zusammen mit den Kolleg*innen zu beurteilen, wer an die Werkschau eingeladen werden sollte. Und sofort beginnt er zu schwärmen vom «tollen Jahrgang», den die 43. Ausgabe repräsentiere. Beispiele sprudeln aus ihm heraus: Zora del Buono, Martina Clavadetscher, Annina Haab, Lukas Linder, Beat Sterchi oder Flavio Steimann.

Prominente Abwesende

Allerdings fallen beim Blick auf die geladenen Autor*innen auch prominente Abwesende auf. Wo beispielsweise bleibt Anna Stern, Trägerin des Schweizer Buchpreises 2020? «Wir begründen die Entscheide der Kommission nicht öffentlich, aber soviel kann ich sagen: Die Meinung dazu war recht eindeutig.»

Es fehlen darüber hinaus Dana Grigorcea, Christian Kracht, Rolf Lappert oder Charles Lewinsky. «All diese Schreibenden waren selbstverständlich in der Programmkommission im Gespräch – und viele andere mehr, beispielsweise Simone Meier, Usama AL Shahmani oder Joachim B. Schmidt, der mit ‹Kalman› ein tolles Buch vorgelegt hat. Wir mussten teils sehr harte Entscheidungen fällen», sagt Landolf.

«Fünfte» Landessprache

Über diesen naheliegenden Reigen schweizerischer Literaturschaffender hinaus haben die Verantwortlichen den Blick geweitet, auf Autor*innen, die eher am Rande als «schweizerisch» wahrgenommen werden: Schreibende, deren Muttersprache nicht deutsch, französisch, italienisch oder rätoromanisch ist, die dennoch gewichtige Stimmen in der Schweiz sind und diese aufgrund ihrer Herkunft etwa auf tamilisch, serbisch, kroatisch oder ukrainisch erheben. Vier Autor*innen der sogenannt fünften Landessprache sollen die Schweizer Werkschau erweitern. Zwei Veranstaltungen mit ihnen sind geplant. «Das soll erst der Anfang sein», sagt Landolf. «Ich würde mich gerne auf die Reise machen, noch mehr neue Literaturen aus der Schweiz zu entdecken.»

Dani Landolf war als neuer Geschäftsführer der Solothurner Literaturtage bereits im letzten Jahr gesetzt, im Hintergrund hat er damals schon mitgearbeitet. Zuvor war Landolf von 2007 bis 2019 Geschäftsführer des SBVV gewesen. Nun wird er mit der 43. Ausgabe seine erste Werkschau schweizerischen Literaturschaffens selbst verantworten – eine Ausgabe, die mit rund 150 Veranstaltungen ein Vollprogamm bietet und pandemiebedingt hauptsächlich im Netz stattfindet. Zehn Veranstaltungen mit Publikum sind geplant.

Ort für literarische Auszeichnungen

Ausserdem sollen Literaturpreise sollen den Solothurner Literaturtagen Schub verleihen. Der Solothurner Literaturpreis wird enger an die Solothurner Literaturtage heranrücken. «Hier hatten wir bisher ein merkwürdige Situation: Der Preis war in seinem eigenen Verein organisiert und hatte mit den Solothurner Literaturtagen wenig gemein. Gegen Aussen war das den Wenigsten klar», so Landolf.

Das soll künftig anders werden. «Wir wollen den Preis zwar als Werkpreis für eine deutschsprachige Autor*in weiterführen, aber besser in unsere Organisation integrieren.» Und Landolf will über den Preis die Solothurner Literaturtage mit weiteren Akteuren vernetzen. Angedacht ist ein Masterclass-Programm mit Hochschulen. Das Ziel ist klar: «Indem der Solothurner Literaturpreis besser mit den Solothurner Literaturtagen verzahnt wird, sollen beide Institutionen gestärkt werden.» Weil allerdings derzeit noch das Geld fehlt, sei das «Zukunftsmusik».

Zum ersten Mal in diesem Jahr vergibt das Bundesamt für Kultur (BAK) den Grand Prix Literature und die schweizerischen Literaturpreise im Rahmen der Solothurner Literaturtage – zum Auftakt am Mittwoch vor den Literaturtagen. Das erstaunt: Bis anhin hat das BAK diese Preise in einer eigenen Veranstaltung in der Schweizerischen Nationalbibliothek verliehen. Das BAK stand mit seinen Preisen, die alle vier Landessprachen abdecken, in Konkurrenz zum Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV), der federführend hinter dem Schweizer Buchpreis für deutschsprachige Literatur steckt. Landolf als einstiger Geschäftsführer des SBVV räumt die einstige Konkurrenz freimütig ein. Doch er findet: «Jetzt ist zusammengewachsen, was zusammen gehört.»

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