Unsere künftigen Jobs Unsere künftigen Jobs: Was verschwindet, was bleibt, was wird neu?

Meret Meier, Nachhaltigkeitsblog

30.4.2018

Führerlose Züge wurden in der Schweiz zwar bereits getestet, doch nach wie vor braucht es Lokomotivführerinnen und -führer.
Führerlose Züge wurden in der Schweiz zwar bereits getestet, doch nach wie vor braucht es Lokomotivführerinnen und -führer.
Keystone/Christian Merz

Was meinen Sie: Gibt es Ihren Beruf in fünf Jahren noch? Wir wollen keine Panik verbreiten, aber die Digitalisierung krempelt gerade unsere Arbeitswelt um. Was das für die Ausbildung der kommenden Generationen bedeutet, hat der Swisscom Nachhaltigkeitsblog nachgefragt.

Fachleute zu und Interessierte an Digitalisierung in der Arbeitswelt haben sich am 9. April in Zürich am Lifefair Forum eingefunden, um sich einem Thema zu widmen, das Chancen und Risiken gleichzeitig beinhaltet. Grosse Unternehmen streichen in diesem Zusammenhang oft das wirtschaftliche Potential der Digitalisierung heraus, während Arbeitnehmende und Gewerkschaften eine drohende Jobvernichtung anprangern.

«Züge werden von Menschen gefahren?»

Tatsächlich verändert sich die Arbeitswelt nicht nur gefühlt immer schneller. Referentin Yvonne Bettkober von der Geschäftsleitung von Microsoft Schweiz zitiert in ihren Ausführungen eine Erhebung, die von einer dramatischen Veränderung des Arbeitsmarkts ausgeht. «Nur schon bis 2020 dürften im Zuge der Digitalisierung weltweit rund 5 Millionen Jobs wegfallen oder sich zumindest stark verändern», führt Bettkober aus und veranschaulicht dies anhand einer Diskussion mit ihrem kleinen Sohn. «Als ich ihm während der Fernsehnachrichten erklärt habe, dass in Frankreich aktuell die Lokführer streikten, hat er sich gewundert: ‹Züge werden von Menschen gefahren?›» Bettkobers Sohn ist bereits davon ausgegangen, dass die Bahn komplett automatisch verkehrt – womit er angesichts der rasanten technologischen Entwicklung schon bald nicht mehr falsch liegen dürfte.

Auf der Kippe: Berufsprofile mit Repetition

Was der Lokführer während seiner Arbeit macht – etwas vereinfacht: mit dem nötigen Tempo verkehren, am Bahnhof metergenau abbremsen, Türen freigeben, wieder schliessen und fahrplanmässig weiterfahren –, umschreibt der zweite Referent als ein Berufsprofil mit Repetition, also sich wiederholenden Abläufen. Und für die sehe es schlecht aus: «Solche Berufe, wie sie in der Industrie oder der Landwirtschaft vorkommen, dürften in Zukunft von Computern und Robotern ausgeführt werden», sagt Marc Vontobel, Mitgründer der Starmind International AG. Aber nicht nur manuelle, sondern auch kognitive Berufe, für die es eine hohe Ausbildung benötige, stünden auf der Kippe. «Nehmen wir Dolmetschen», fährt Vontobel fort, «Roboter können das heute schon erstaunlich gut. Ich sehe auch bei Schiedsrichtern irgendwann die Technologie im Vorteil. Und auch die Analyse von Röntgenbildern wird bald automatisch erfolgen, wobei es danach den Arzt aber nach wie vor benötigt».

Mehr Persönlichkeitsbildung

Solche Szenarien führen zwangsläufig zur Frage, was das für unser Bildungssystem zu bedeuten hat. Wie haben wir die kommenden Generationen auszubilden, damit sie nicht schon nach der Hälfte ihres Berufslebens obsolet zu werden drohen? Marc Vontobel weist hier auf den Unterschied zwischen Mensch und Computer hin. «Wir bilden die junge Generation heute immer noch so aus, dass am Ende der Schulzeit alle dasselbe wissen müssen, das gleiche Bildungsniveau haben. Dabei sollten wir mehr die Persönlichkeitsbildung verfolgen, um uns von Computern zu unterscheiden», so Vontobel.

Wirtschaftsverband fordert ganzheitliche Ausbildung

Persönlichkeitsbildung statt Lehrpläne? Der Wirtschaftsverband Economiesuisse warnt davor, das Bildungssystem mit einem zu starren Bild künftiger Berufsbilder im Kopf verändern zu wollen. Stattdessen müsse die Schule breit und ganzheitlich ausbilden und die jungen Menschen dahingehend fördern und fordern, dass sie sich bestmögliche Fach-, Handlungs-, Selbst- und Sozialkompetenzen erarbeiteten. Viel Gewicht legt der Verband auch auf Mathematik und Informatik, sowie den massiven Einsatz von digitalen Hilfsmitteln zur individuellen Förderung.

Was die Digitalisierung für konkrete Folgen für unsere Berufsbildung hat, haben wir Marc Marthaler gefragt, Head of Next Generation bei Swisscom.

Marc Marthaler, blicken wir in die Zukunft: Wie sieht eine Lehre bei Swisscom in zehn Jahren aus?

Ich hoffe hochgradig individualisiert, modularisiert und flexibilisiert!

Was heisst das genau?

Schülerinnen und Schüler beginnen ihre Lehre bei Swisscom, ohne sich bereits für ein Berufsbild entschieden zu haben (müssen). Entlang ihrer Interessen und ihren Potenzialen entwickeln sie in realen Praxisprojekten ihre Kompetenzen. Zusätzlich notwendiges Grundlagenwissen eigenen sie sich individualisiert an unterschiedlichen Lernorten (Betriebe, Schule, überbetriebliche Kurse, zu Hause, andere Anbieter usw.) und in bedürfnisgerechten Formaten (Klasse, Peer-Groups, Webinare, E-Learnings, MOOCs, Selbststudium und mehr) an. Wenn das angestrebte Kompetenzprofil erreicht wurde, ist die Lehre beendet. Dieser Zeitpunkt kann und soll bei den Lernenden unterschiedlich sein. Während der gesamten Zeit werden die Lernenden durch einen persönlichkeitsorientierten Coach begleitet.

Was muss sich auf Gesetzesebene, im Bildungswesen oder auf dem Arbeitsmarkt ändern, damit dieses Szenario eintritt?

Viel! (lacht) In einer ganzheitlichen Betrachtung sollte bereits die Volksschule und insbesondere die Sekundarstufe I weiter flexibilisiert und individualisiert werden. Konkret wäre für mich vorstellbar, dass die letzten Jahre der Schulzeit viel stärker anhand von Potenzialen, Stärken und Interessen sowie in Form von Projekten gelernt und gearbeitet wird. Und damit meine ich nicht Wochenplanarbeit oder Projekte im Klassenverbund, sondern wirklich individuelle Lern-Curricula. Selbstredend bekommt hier die Rolle der Lehrperson eine grundlegend neue Ausrichtung. Diese Arbeitsweise und auch die Art der Begleitung soll in der Lehre weitergeführt und gestärkt werden. Dazu braucht es aus meiner Sicht ein grundsätzlich neues Verständnis innerhalb der bestehenden Lernortkooperation. Wissen steht heute zunehmend jederzeit und überall zur Verfügung. «Learning on the job» oder «learning by doing» sollte dementsprechend das Credo lauten und nicht die fremdgesteuerte Überzeugung, was wann und an welchen Lernorten passieren soll.

Marc Marthaler ist Head of Next Generation bei Swisscom.
Marc Marthaler ist Head of Next Generation bei Swisscom.
Swisscom

Welche Berufsbilder der Zukunft bildet Swisscom heute schon aus?

Ich denke, wir sollten uns sukzessive lösen von den «starren Berufsbildern» der Gegenwart. Zudem bin ich überzeugt, dass in Zukunft Kompetenzen und Kompetenzprofile eine höhere Relevanz bekommen und wir vermehrt in unterschiedlichen Rollen arbeiten werden. In Anbetracht des vorausbesagten Fachkräftemangels fokussieren und unterstützen natürlich auch wir bei der Ausbildung von zusätzlichen ICT-Fachkräften; zum Beispiel in den Berufsrichtungen Informatik, Mediamatik oder Interactive Media Design. Noch wichtiger scheint mir aber die Tatsache, dass wir bereits heute und bei allen Lernenden einen grossen Fokus auf die Entwicklung der Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenzen setzen. Oberstes Ziel ist es für uns, unsere Lernenden zu eigenverantwortlichen Menschen zu befähigen, welche sich und die Arbeitswelt selbstständig gestalten – jetzt und in Zukunft!

Aber können diese Zukunftsszenarien dann auch mit den Berufswünschen der jungen Generation vereinbart werden?

Absolut! Ich bin fest überzeugt, dass Lernende grundsätzlich Verantwortung übernehmen und mitgestalten wollen. Gerade von der Generation Y, welche bei Swisscom bereits heute 35 Prozent der Belegschaft ausmacht, wissen wir, dass diese ein starkes Selbstbewusstsein, eine hohe Flexibilität und eine geringe Machtdistanz hat. Das vorhin skizzierte begleitete Lehr- Lernverständnis gekoppelt mit einem transversalen, agilen Marktplatzsystem passt da perfekt.

Über den Nachhaltigkeitsblog

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Meret Meier ist im Corporate Responsibility Team von Swisscom Expertin für soziale Verantwortung, Jugendmedienschutz und Kommunikation.
Meret Meier ist im Corporate Responsibility Team von Swisscom Expertin für soziale Verantwortung, Jugendmedienschutz und Kommunikation.
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