Schwimmendes Hotel Entschleunigendes Wasser-Sightseeing durch Frankreichs Südwesten

Andreas Drouve, dpa

25.7.2020

Selbst die schönste Aussicht wird irgendwann langweilig. Wer Abwechslung sucht, wird sich bei einer Flusskreuzfahrt entlang der berühmtesten Weinanbaugebiete der Welt wohlfühlen.

Entspannt sitzt Kapitän Bruno Coudert auf seinem Arbeitsplatz. Hier, auf der Brücke seines Flusskreuzfahrtschiffs, spricht kaum jemand. Still ziehen Wiesen, Bäume, Dörfer vorbei. Das Reisetempo beträgt konstant 17 Stundenkilometer.

«Ich mag das, das ist kein Stress», sagt Coudert. Fast 200 Touren durch Frankreichs Südwesten hat der 51-Jährige schon absolviert: ab Bordeaux über die Flüsse Garonne und Dordogne, durch das Gironde-Delta dem Atlantik entgegen. Eine Flussreise durch eines der bekanntesten Weinbaugebiete weltweit.

Tag 1: Willkommen an Bord

Die Heimat der nächsten Tage ist 110 Meter lang und heisst «Cyrano de Bergerac». Kein Luxus, keine laute Bordanimation. Das Publikum: überwiegend Ü60, Ü70. Beigabe zum Auftaktdinner mit Sülze und Entenkeule ist der Lichterglanz von Bordeaux. Das Schiff liegt hinter der Promenade an der Garonne, unweit der Herrenhäuser des Weinhändlerviertels Chartrons und der Brücke Jacques Chaban-Delmas.

Tag 2: Von Bordeaux nach Blaye

Morgenrot legt sich über das Schlammbraun des Flusses, das Schiff legt ab. Verladekräne, Lagerhäuser, Frachter an Docks: So sehen die Kulissen in den Aussenbezirken aus. Dann gewinnt das Grün die Oberhand. Die Garonne vereint sich mit der Dordogne, jetzt beginnt das Gironde-Delta, der grösste Mündungstrichter Europas.

Ein überdimensioniertes Weinflaschenmodell ruft an der Hafeneinfahrt von Pauillac in Erinnerung, um was es hier in der Gegend geht. Die Rebgärten beginnen gleich am Ortsrand. Hier werden Fremde freundlich gegrüsst. Die Kirche ist, wie Tausende in Frankreich, Sankt Martin geweiht, dem barmherzigen Mantelteiler. Holzfensterläden an den Häusern hat der maritime Zahn der Zeit angenagt.

Die Weinprobe auf einem der Güter der Umgebung ernüchtert. Die Minirationen bedecken kaum den Boden des Glases. Und nimmt man den Inhalt als Massstab, ist der weltberühmte Bordeaux-Wein überbewertet.

Seitenwechsel im Abendlicht: Die «Cyrano de Bergerac» schippert ans andere Ufer hinüber nach Blaye mit der Zitadelle des Baumeisters Sébastien Le Prestre de Vauban – sie diente zur Verteidigung des Deltas. Wehrlos ist man später zu Tisch gegen die Speisen. Schweinefilet, Crème brûlée. Und endlich wieder ein guter Tropfen.

Tag 3: Immer in Richtung Delta

Claire Roger lebt seit 35 Jahren in einem Freilichtmuseum, als eine von vier ständigen Bewohnern, wie sie sagt – und zwar in der Zitadelle von Blaye, einem Konglomerat aus Mauern, Türmen, Gräben, Gängen und Gassen. Das Areal ist jederzeit frei zugänglich. Es gibt ein Hotel, im Sommer öffnet ein Campingplatz.

Im Wohnhaus unterhält Madame Roger ihr Atelier. Die 62-Jährige ist Keramikkünstlerin. Für ihre fantasiereichen Arbeiten hat sie eher Galeristen im Sinn, nicht Laufkundschaft. Ein Deko-Objekt für ein paar Hundert Euro sei halt nichts, das man mal eben so mitnimmt.



Zum Delta hin schieben sich Fischerhäuschen auf Holzstelzen in Sicht, landeinwärts reifen Trauben. Kapitän Coudert steuert bis kurz vor Royan Richtung Auslauf des zwölf Meter breiten Deltas. «Die Strömungen wechseln ständig», sagt er. Das Schiff schaukelt leicht. Gleissend weisse Klippen am Ufer. Die Luft schmeckt nach Salz. Tief im Inland wartet an der Gironde der sichere Hafen von Bourg-sur-Gironde.

Tag 4: Eine «Bibliothek der Aromen»

Möwengekreisch erklingt als Weckruf. Stromaufwärts geht es nach Libourne, Ausgangspunkt für Touren zu einer Vielzahl an Weingütern um Saint Émilion. Dort ist Perig Rousseau, 40, dem Alkohol treu geblieben: Früher betrieb er die Bar in einem Kasino, ehe er auf Sommelier umschulte und nun gerne Besucher umherführt. Eine «Aromen-Bibliothek» habe er verinnerlicht, sagt er, und schmeckt Lakritz und Pampelmuse ebenso heraus wie Pfirsich und Johannisbeere.

Dagegen lässt einen der Blick auf die Preislisten edler Weinläden in Saint Émilion fast zum Abstinenzler werden – manche Flaschen kosten ein paar Tausend Euro. Der Ort ist einer der meistbesuchten in Südwestfrankreich. Der Höhepunkt steckt im Untergrund: die Felsenkirche, im 12. Jahrhundert ausgehöhlt aus dem Stein.

Tag 5: Flair in der Weinmetropole

In Libourne fliesst die Dordogne am Morgen in Gegenrichtung – ein Eindruck, der nicht dem Weinkonsum des Vorabends geschuldet ist, sondern dem Tidenhub. Über das Gironde-Delta drückt der Ozean derart stark hinein, dass die Unterschiede zwischen Ebbe und Flut selbst in 150 Kilometer Entfernung sichtbar sind.

Das Tagesziel Bordeaux hat Flair, ob an den Flusspromenaden, in der Altstadt um die Kathedrale oder im Viertel Saint-Michel. Vor zwei Jahrzehnten begann ein Facelifting, das ungebremst anhält. Neues Wahrzeichen ist die Cité du Vin, das Weinmuseum, das in einer avantgardistischen Hülle aus Aluminiumfeldern und Glasplatten steckt.

Tag 6: Edelsüsse Entdeckungen

Flussaufwärts schnürt sich die Garonne eng zusammen. In Cadillac liegt der Kai nahe dem Ortskern, wo ein Renaissancepalais den Grössenwahn eines Herzogs belegt. Ein Ausflug bringt die Urlauber zum Schloss Roquetaillade. Der Gang durchs Innere führt durch Salons mit Leuchtern, Gobelins, Fauteuils und Deckenmalereien.

Edelsüsses bringt die Gegend mit ihren Sauternes-Weissweinen hervor. Da glaubt man, die Sonne steckt in der Flasche. Die Erträge sind niedrig, die Reifezeiten lang, Preise und Arbeitsaufwand hoch. Zurück nach Bordeaux drückt der Kapitän auf die Tube.

Tag 7: Abschied vom Fluss

Nach 320 Kilometern Wasserwegen ist Check-out in Bordeaux. Und Schiffsführer Coudert darf sich nach einer Woche Null-Promille-Diktat wieder ein Gläschen genehmigen.

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