Diesseits der Stille Wandern zwischen Schafen – unterwegs am Hadrianswall

17.5.2020

Über die Jahrhunderte wurde der Hadrianswall bedeutungslos. Bis die Archäologen und die Wanderer kamen – und bis die Schulkinder den Namen des Kaisers lernen mussten, der ihn bauen liess.

Römischer Kaiser mit sieben Buchstaben? Das dürfte englischen Schulkindern leicht fallen: Hadrian ist zumindest im Norden des Landes ausgesprochen populär. 

Das liegt an der Mauer, die er im 2. Jahrhundert nach Christus bauen liess, rund 120 Kilometer lang von Bowness-on-Solway im Westen bis nach Newcastle upon Tyne im Osten. Vor 1900 Jahren wurde der Hadrianswall gebaut. Doch noch nie war er so beliebt wie heute – vor allem bei Wanderern.

Tausende von ihnen kommen jedes Jahr nach Wallsend, einem Vorort Newcastles. Der Ort ist Schlusspunkt des Hadrian's Wall Path, eines Wanderwegs von Küste zu Küste, der alles bietet, was Menschen mögen, die Landschaften gerne zu Fuss erkunden, aber mehr sehen möchten als Felsbrocken und Trampelpfade. Und das ist am Hadrianswall garantiert.

«I walked the Wall»

Erbaut wurde der Wall von Osten nach Westen, aber fürs Wandern ist die Gegenrichtung mindestens genauso gut. Der westlichste Punkt des zum Weltkulturerbe zählenden Hadrianswalls liegt noch ein Stück hinter der Kleinstadt Carlisle am Meeresarm Solway Firth, der Schottland von England trennt. Wer viel Zeit hat, startet hier.



Aber auch Carlisle oder Haltwhistle kommen dafür infrage. Der Abschnitt von dort bis nach Corbridge gilt als der interessanteste. Wer keinen Zeitdruck hat, läuft bis Newcastle weiter und kauft sich dort nach der Tour von drei bis fünf Tagen ein T-Shirt mit dem Schriftzug: «I walked the Wall» («Ich bin am Wall entlang gelaufen»).

Grüne Hügel und friedvolle Schafe

Beim Wandern entlang des Hadrianswalls in der hügeligen Landschaft ein Stück südlich der heutigen Grenze zwischen Schottland und England dominiert die Farbe Grün. Autobahnen, Fabriken, Windräder, Schornsteine mit Industrieabgasen – Fehlanzeige. Hier und da steht mal ein Bauernhaus im gleichen Grau wie die Steinmauern in der Landschaft. Ansonsten Weiden, so weit das Auge reicht.



Dass es in den Dörfern Verkehrsschilder gibt, die Autofahrer auffordern, «Slow» zu fahren, kommt einem auf geradezu komische Weise überflüssig vor. Die Landschaft erinnert an ein Renaissance-Gemälde: friedlich grasende Schafe und ausladende Bäume unter blauem Himmel mit. In der Antike war hier das Römische Reich zu Ende.

Von Haltwhistle zum Hadrianswall

Haltwhistle liegt ungefähr auf der Hälfte der Strecke des Wanderwegs von Küste zu Küste. Den Marktplatz gab es schon vor mehr als 700 Jahren. In den Jahrhunderten danach wurde die Stadt immer mal wieder von marodierenden Soldaten bedroht, englischen wie schottischen. Im 16. und 17. Jahrhundert bauten die Einwohner deshalb Bastles, befestigte Wohnhäuser, die in der umkämpften Grenzregion Schutz vor Überfällen bieten sollten. Einige davon stehen noch heute.

Am Marktplatz startet der Haltwhistle Burn Footpath zum Hadrianswall. Gleich hinter dem Ort geht es durch einen Wald voller hoch aufragender Buchen, mit Butterblumen am Rand des Weges, der einem plätschernden Bach folgt. Die wenigen Kilometer sind schnell bewältigt.

Wandern zwischen Kuhfladen und Butterblumen

Zum Wandern ist der Hadrianswall ideal, die Streckenführung ist eindeutig. Immer wieder gibt es etwas zu sehen. Schon die Mauer selbst ist ein Hingucker mit ihren fleckigen, moosbewachsenen grauen Steinen. Kilometer um Kilometer zieht sie sich durch die Landschaft, Hügel rauf und wieder runter, meistens schon von Weitem gut sichtbar, vorbei an Weiden voller Kuhfladen und Flocken von Schafwolle im Gras, voller Butterblumen, blühendem Ginster, Klee oder Gänseblümchen.

Der Hadrianswall ist heute weniger ein Wall als eine meist nur noch hüfthohe Mauer, die in der Antike durch Gräben ergänzt und nicht durchgehend aus Stein war. Hadrian liess die Befestigung ab dem Jahr 122 bauen. Tausende von römischen Soldaten bewachten die Grenze zum schottischen Norden, den die Römer nicht erobern konnten.



Eine Reihe von Ausgrabungsstätten zeugen von der Geschichte, gleich drei zwischen Haltwhistle und Heddon-on-the-Wall. Am spannendsten ist der Besuch von Vindolanda, ein römisches Fort etwas südlich des Hadrianswalls. In der Antike lebten hier bis zu 3'000 Menschen, nur ein kleiner Teil davon waren Soldaten. Heute gibt es hier ein modernes Museum mit Originalfunden von dem Gelände zu sehen.

Wo Archäologen einen Babyschuh fanden

Vindolanda ist ein Paradies für Archäologen. Seit einem halben Jahrhundert sind sie dort beschäftigt, und es gibt noch mehr als genug zu tun. In dem Museum sind zahlreiche Münzen zu sehen, ein Holzschwert für Kinder und ein hölzerner Toilettensitz, Geschirr, das in der Antike aus Frankreich importiert wurde, zudem Broschen, Ketten, Armreifen, ein goldener Ohrring und ein Babyschuh.

Zu den Top-Funden gehören Schreibtafeln, die ins Britische Museum in London gekommen sind. Offiziere tauschten damit Nachrichten aus und klagten über schlechte Strassen und schlechtes Wetter.



In der Nachbarschaft, ein Stück weiter östlich und direkt am Hadrianswall, liegt Housesteads Roman Fort, das 280 Jahre lang von römischen Soldaten genutzt wurde. Auch hier lohnt sich ein Stopp.

In Chesters Roman Fort war eine römische Reitertruppe stationiert, drei Soldaten und drei Pferde teilten sich einen Raum. Fundamente der Gebäude lassen erahnen, wie das Fort einmal ausgesehen hat – vom römischen Badehaus etwa sind noch etliche Teile erhalten.

Auf Wiedersehen sagen in Wallsend

Ganz im Osten führt der Hadrian's Wall Path dann in die Grossstadt: Als die Römer in Nordengland waren, gab es Newcastle noch nicht. Doch je grösser die Stadt wurde, umso mehr geriet das römische Kastell Segedunum in Wallsend in Vergessenheit. Inzwischen haben es die Archäologen freigelegt.

Ein Stück des Hadrianswalls ist rekonstruiert worden, direkt neben den Fundamenten des Originals. In dem Museum auf dem Gelände des Forts treffen sich viele Wanderer zum letzten Mal auf ihrer Tour.

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