Der Angst trotzen Terrorgefahr verliert an Einfluss auf das Reiseverhalten

dpa

9.10.2018

Trotz mehrerer Bombenanschläge und Messerattacken ist die Zahl der Besucher in Jerusalem binnen eines Jahrzehnts um 47 Prozent gestiegen.
Trotz mehrerer Bombenanschläge und Messerattacken ist die Zahl der Besucher in Jerusalem binnen eines Jahrzehnts um 47 Prozent gestiegen.
Bild: iStock

Nach Terroranschlägen oder Naturkatastrophen in Ferienzentren bleiben oft die Gäste weg, Jobs geraten in Gefahr. Eine internationale Tagung zu Terrorismus und Sicherheit in Jerusalem soll nun Wege aus der Krise aufzeigen.

Barcelona, Paris, London, Nizza: Terroranschläge können Touristen fast überall auf der Welt treffen. Auch Naturkatastrophen wie der Tsunami in Indonesien oder die Waldbrände in Griechenland bedrohen Ferienparadiese.

Wie können Behörden am besten mit solchen Vorfällen umgehen, damit die Gäste nicht wegbleiben und ein ganzer Wirtschaftssektor in Gefahr gerät? Vertreter aus aller Welt, darunter Tourismus- und Sicherheitsexperten, UN-Repräsentanten und Wissenschaftler, wollen dafür bei einer internationalen Konferenz in Jerusalem eine effektive Strategie entwerfen.

Früher habe vor allem Israel mit dem Thema Terror zu kämpfen gehabt, «aber in den letzten Jahren hat sich das stark verändert», sagt Ilanit Melchior, die bei der Jerusalemer Stadtverwaltung für Tourismusfragen verantwortlich ist. Heute seien Touristenstädte auf aller Welt betroffen. Für sie wolle man gemeinsam einen «Werkzeugkasten» für einen angemessenen Umgang mit Extremsituationen entwerfen.

Terror wird nicht verschwinden

Ziel sei auch ein internationales Abkommen zwischen Touristenstädten und -organisationen, «damit es in Krisenzeiten Zusammenarbeit und Austausch geben kann». Es sei die erste Tagung dieser Art, man wolle sie künftig jedes Jahr in Jerusalem abhalten, sagt Melchior.

Gehören mittlerweile auch in europäischen Städten zum Stadtbild: Bewaffnete Carabinieri patrouillieren vor der Basilica Santa Maria Maggiore in Rom.
Gehören mittlerweile auch in europäischen Städten zum Stadtbild: Bewaffnete Carabinieri patrouillieren vor der Basilica Santa Maria Maggiore in Rom.
Bild: Keystone

Aus ihrer Sicht ist es besonders wichtig, das Thema Terror «nicht unter den Teppich zu kehren, sondern auf den Tisch zu bringen». Das Tourismusgewerbe dürfe sich nicht von Anschlägen beherrschen lassen, sondern müsse aktiv damit umzugehen. «Dieses Phänomen wird leider nicht verschwinden, die ganze Welt ist davon betroffen.»

Für das Tourismusgewerbe gehe es um sehr viel Geld und auch Arbeitsplätze. Schwerpunkte bei der Konferenz seien die richtige Kommunikation mit den Medien sowie die Image-Rettung betroffener Feriendestinationen.

Ägypten als schlechtes Beispiel

Wie Krisenmanagement nach einem Terroranschlag dem Vertrauen in ein Land noch weiter schaden kann, zeigte Ägypten in den vergangenen Jahren. Nach dem Bombenattentat auf einen russischen Ferienflieger 2015 schwiegen die Behörden weitgehend, obwohl es Hinweise auch ausländischer Geheimdienste auf einen Sprengsatz an Bord sowie ein Bekenntnis der Terrormiliz IS gegeben hatte.

Russland setzte Flüge nach Ägypten daraufhin ganz aus, andere Länder strichen die Verbindungen in den betroffenen Badeort Sharm el-Sheikh. Obwohl der Kollaps des enorm wichtigen Tourismus in dem Land damit vorgezeichnet war, scheute die Regierung klare Aussagen und zog sich auf ein vermeintlich bewährtes Mittel zurück: Verschleppen der Ermittlungen.

Immer wieder betonten Regierungsvertreter, man wolle die Untersuchung abwarten – ein abschliessender Bericht liegt bis heute nicht vor. Erst vier Monate nach dem Anschlag sprach Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi erstmals von Terror. Der Tourismus im Land war zu diesem Zeitpunkt schon längst auf Talfahrt.

Heute sind die Gäste wieder zurück in dem nordafrikanischen Land. Von den Zahlen aus 2010, bevor es also zu denTurbulenzen wegen der Arabischen Aufstände kam, ist man aber noch Welten entfernt. Experten attestieren den Feriengebieten in Ägypten zwar eine relativ gute Sicherheitslage, das Land leide allerdings unter einem Glaubwürdigkeitsproblem.

Verschmähtes Ferienparadies: Verlassene Hotels in Tuensien

Bewaffnete Polizisten und Sicherheitschecks

Auch Tunesien wurde im März 2015 von mehreren Terroranschlägen auf Touristen hart getroffen: An einem Badestrand in Sousse erschoss ein Terrorist 39 Menschen, in dem für seine Mosaiken berühmten Bardo-Museum in der Hauptstadt Tunis wurden 24 Menschen getötet.

Viele der Getöteten stammten aus Grossbritannien, das Königreich sprach eine Reisewarnung aus – und die Zahl der europäischen Touristen halbierte sich im gleichen Jahr auf 1,3 Millionen Besucher. Zahlreiche Hotels mussten in der folgenden Saison schliessen.

Schock und Betroffenheit in Barcelona nach einem Attentat im August 2017 auf den Ramblas.
Schock und Betroffenheit in Barcelona nach einem Attentat im August 2017 auf den Ramblas.
Bild: Keystone

Inzwischen erholt sich der Tourismus in Tunesien wieder und schon Ende August waren mehr europäische Touristen gekommen als im gesamten vorangegangenen Jahr. Dies gelang auch deswegen, weil das Land offen mit dem Problem umging und mit europäischer Unterstützung die Sicherheitsmassnahmen deutlich erhöhte, sagen Experten.

Mit Maschinengewehren patrouillierende Polizisten und Soldaten gehören in den Touristenhochburgen am Mittelmeer inzwischen zum Alltag, Hotels können in der Regel nur nach einem Sicherheitscheck betreten werden.

Auch in Frankreich hatten die Terroranschläge von Paris und Nizza das Tourismus-Geschäft 2016 erheblich belastet. Die Zahl der Besucher in Paris war etwa um knapp fünf Prozent geschrumpft. Seit vergangenem Jahr geht der Trend jedoch wieder nach oben.

Israel als Vorbild

Als Beispiel für ein souveränes Umgehen mit einer Gefahrensituation gilt das Verhalten des Münchner Polizeisprechers Marcus da Gloria Martins bei einem Amoklauf im Juli 2016. Er stand Medien sofort Rede und Antwort und wirkte dabei ruhig und besonnen. Seine Kollegen twitterten in vier Sprachen.

Auch die Stadt Jerusalem habe in den letzten Jahren gelernt, mit Attacken umzugehen, sagt Melchior. Trotz mehrerer Bombenanschläge und Messerattacken sei die Zahl der Besucher in der «goldenen Stadt» binnen eines Jahrzehnts um 47 Prozent gestiegen, sagt Melchior.

3,6 Millionen Touristen, eine Rekordzahl, haben 2017 Israel besucht. Das sind 25 Prozent mehr als im Vorjahr – obwohl die Sicherheitslage in dem Land oft angespannt ist.

Wrackteile der Metrojet-Maschine bei Sharm el-Sheikh: Beim Absturz der russischen Maschine im Jahr 2015 kamen alle 224 Insassen ums Leben. 
Wrackteile der Metrojet-Maschine bei Sharm el-Sheikh: Beim Absturz der russischen Maschine im Jahr 2015 kamen alle 224 Insassen ums Leben. 
Bild: Keystone

Kurz vor einem Marathon in Jerusalem explodierte im März 2011 ein Sprengsatz neben einem Bus. Eine schottische Studentin wurde getötet, Dutzende weitere Menschen wurden verletzt. «Trotzdem haben wir den Marathon nicht abgesagt – und der Bürgermeister ist selbst mitgelaufen, um ein Zeichen zu setzen», sagt Melchior.

Es sei wichtig, Touristen ein Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit zu vermitteln. «Niemand kann versprechen, dass es keinen Anschlag geben wird, aber man kann richtig damit umgehen, wenn es passiert.» Durch strenge Sicherheitsvorkehrungen in Israel hätten Touristen sich früher häufig gestört gefühlt. «Heute verstehen sie, dass es sie schützt.»

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite