Piemont im Herbst Wie ein «süsser Fusel» eine arme Region reich machte

29.9.2019

Mittelalterliche Dörfer, edle Trüffel und Top-Weingüter locken jedes Jahr anspruchsvolle Touristen und Gourmets ins Piemont. Dabei war die Region in Norditalien, berühmt wegen ihres Weins Barolo, früher bitterarm.

Sanft geschwungene Weinberge, auf Hügeln thronende Burgen und schneebedeckte Alpengipfel am Horizont – rund um die Gemeinde Barolo wirkt das Piemont in Norditalien wie ein Paradies auf Erden. Vor allem im Herbst pilgern Geniesser wegen der Alba-Trüffel und Barolo-Weine in die Region südlich von Turin.

Vor gar nicht allzu langer Zeit war das heutige Urlaubsparadies eher eine triste Gegend. «Unsere Gegend war noch bis vor einigen Jahrzehnten bitter arm», erzählt Massimo Camia. Er ist wenige Kilometer von Barolo entfernt geboren und heute ein Sterne-Koch. Rund um Barolo gibt es 14 Sternerestaurants. Das Antica Corona Reale in Cervere hat sogar zwei, das Piazza Duomo in Alba gar drei Sterne. Gourmets kommen inzwischen allein wegen dieser Sternerestaurants.

Wein brauchte Nachhilfe

Camia aber ist realistisch genug, um den Aufschwung nicht seiner eigenen Zunft zuzuschreiben. «Ohne die Winzer und ihren Barolo gäbe es das alles hier nicht», betont er. Der Wein hat den Wohlstand gebracht, auch wenn er dafür Nachhilfe aus Frankreich benötigte.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts war der aus Nebbiolo-Trauben gekelterte Barolo ein süsser Fusel. Der aus Frankreich stammenden Marchesa Giulia Falletti di Barolo muss er den Magen umgedreht haben. 1850 berief die Markgräfin deshalb den französischen Kellermeister Louis Oudart in ihr Schloss, das heute mitten im Gassengewirr von Barolo mit Weinläden, Bars und Restaurants ein Weinmuseum beherbergt.

Kellermeister Oudart kelterte aus den Nebbiolo-Reben trockene und hochwertige Rotweine, die auch Graf Camillo Benso di Cavour überzeugten. Der war nicht nur Weingutsverwalter in Grinzane Cavour, sondern auch der erste Ministerpräsident Italiens.

Radtouren durch Weinberge

Seine Burg in Grinzane Cavour ist neben Weinorten wie La Morra, Serralunga und Monforte eines der Etappenziele der Radtouren von Insite Tours. Solche Touren können sich durchaus lohnen, denn Guides wie Keoma Chiavassa führen die Teilnehmer nicht nur über die Weinberge, Haselnuss-Plantagen und verwinkelte Dorfgassen. Sie erzählen dabei auch Geschichten über die Region.

Geschichten über Wein erzählen die Narratori del Vino. Diese Erzähler sind Sommeliers, Reiseführer und Historiker in Personalunion. In Alba kann man sie buchen. Sie unterhalten kurzweilig mit der Geschichte der Region, die als einzige in Italien allein wegen ihrer Weinkultur zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde.

Strenge Vorschriften sichern heute die Qualität

Die Weingeschichte beginnt so richtig mit Cavour und seinem guten Draht zum Königshaus Savoyen, wo der Barolo bald zum Lieblingswein am Turiner Hof wurde. Der Boom aber währte nur kurz wegen der Weltkriege, der Reblaus-Plage und des Methanol-Weinpansch-Skandals.

In den 1980er-Jahren wurden viele mittelmässige Barolos verscherbelt. Auch die Nebbiolo-Parzellen waren nicht viel wert, bis eine neue Generation von Winzern harmonischere Weine ausbaute. Moderne Kellertechnik, der Einsatz von kleinen Barrique-Fässern und eine Reduzierung der Erntemengen brachten den Barolo zurück an die Spitze.

Barolo muss lange lagern

Ein Barolo darf nur aus Nebbiolo-Trauben bestehen, die in Barolo sowie zehn umliegenden Orten angebaut und dort gekeltert wurden. Mindestens 18 Monate muss er im Holzfass lagern und weitere 20 in der Flasche. Für die Riserva-Qualität sind es sogar weitere 44 Monate.

Dank relativ viel Gerbstoff und Säure sind Barolos sehr lagerfähig. Erst nach zehn bis 20 Jahren entfalten sie ihren komplexen und eleganten Charakter. Der Einstiegspreis liegt bei rund 27 Franken pro Flasche, für einen erstklassigen Barolo Riserva aber zahlen Kenner inzwischen einige hundert Franken. «Vor allem für Barolos der Einzellage Cannubi», erzählt Sternekoch Camia.

Ein Stück Land ist heute teuer

«Ein Hektar dort kostet zehn bis 16 Millionen Franken», verrät Marcella Bergese. Die junge Weinkennerin arbeitet bei Damilano, das mehr Cannubi-Weine als jedes andere Weingut produziert. Zu den weiteren Cannubi-Produzenten gehören auch Verwandte des ehemaligen Ferrari- und Fiat-Chefs Luca di Montezemolo.

Bergese weiss alles über Barolo. Ihre Mutter war schliesslich Sommeliere in der Antica Corona Reale. Das Restaurant in Cervere ist ein Gourmettempel, auch wenn man dort ganz leger im Garten speist. Selbst an einem Wochentag ist es mittags schon gut gefüllt. Vielleicht heute auch, weil Paolo Conte am Abend im Amphitheater des Ortes ein Heimspiel gibt.

Liedermacher ist eng mit seiner Heimat verbunden

Der Liedermacher aus Asti hat seine Heimat nie verlassen, sie gibt dem 82-Jährigen Kraft und Inspiration. «In einigen meiner Lieder gehe ich dem Geheimnis der Landschaft und der Menschen, die darin leben, auf den Grund», sagt Conte. «In ‹Genova per noi› zum Beispiel geht es um dieses Verhältnis zwischen den Menschen vom Land im Piemont und denen am Meer in Ligurien.»

Die Texte des Musikers sind wie Gedichte und eine Hommage an seine Heimat. Neben Turin, die für ihn «eine der schönsten Städte Italiens ist», empfiehlt er jedem Urlauber das Hinterland von Asti. «Der Duft des Heus dort vermittelt mir einen Eindruck von der Weite und dem Geheimnis der Landschaft», schwärmt Conte.

Starköche setzen auf regionale Zutaten

Was Contes geliebtes Land hervorbringt, landet im Idealfall auf einem Teller in der Antica Corona Reale. «Ein glanzvoller Höhepunkt der piemontesischen Küche», lobt der Guide Michelin das Zweisternerestaurant. Hausherr dort ist Gian Piero Vivalda. Mit seinem Chefkoch Davide Ostorero arbeitet er mit Zutaten aus dem eigenen Garten oder von Bauern und Fischern aus der Nachbarschaft.

«Seit mehr als 200 Jahren ist das hier schon ein Gasthaus», erzählt Vivalda. Sogar der italienische König habe dort regelmässig gegessen. «Daher auch der Name ‹Antike Königskrone›», erzählt der Koch.

Der Wein mag die Region berühmt gemacht haben. Nun aber tragen Spitzenrestaurants wie das von Vivalda, Trattorien wie die Osteria Veglio oder Dai Bercau sowie viele aussergewöhnliche Hotels das ihre dazu bei, die Weinregion zwischen Asti und Barolo aus dem Schatten der Toskana herauszuführen.

Alte Schlösser werden neu genutzt

Dabei hilft die Geschichte, den Tourismus von heute zu entwickeln. Denn selbst manche alten Castellos sind inzwischen Hotels, wie zum Beispiel das Relais & Chateau Castello di Guarene. 2014 wurde das Schloss der Grafen von Roero aus dem 18. Jahrhundert ein Hotel. «Wegen strenger Denkmalschutzauflagen wurde kaum etwas verändert», erzählt Hoteldirektorin Rita Pili. Einige Säle wirken deshalb eher wie ein Museum. Die Suiten sind mit antiken Möbeln ausgestattet.

Das Castello di Guarene thront zwar hoch auf einem Berg, ist in dieser Region der kurzen Wege aber dennoch mittendrin. Die besten Barolos, Barberas und Barbarescos wachsen in einem Umkreis von 50 Kilometern rechts und links des Tanaro-Flusses.

Entsprechend nah liegen die schönsten Weinorte beieinander. Da kann man vom Castello Guarene mal schnell zum Essen ins Ristorante Guido da Costigliole auf der anderen Talseite fahren. Das ist nicht nur im Herbst ein Abstecher wert, zur Hochsaison der weissen Alba-Trüffel.

Das Weltkulturerbe

2014 erklärte die UNESCO die Region Langhe Roero aufgrund ihrer Weingeschichte zum Weltkulturerbe. In der Weingegend südwestlich von Asti und Alba entstehen Weltklasse-Rotweine – darunter der edle Barolo sowie Barbaresco und Barbera und der Weisswein Arneis. Der Wein, zahlreiche Spitzenrestaurants sowie der berühmte weisse Alba-Trüffel machen das Gebiet zu einem Reiseziel für Geniesser.

Die Anreise

Das Barolo Weinbaugebiet in Langhe Roero liegt eine Autostunde südlich der piemontesischen Hauptstadt Turin. Nach Alba sind es 20, nach Asti 40 Minuten. Die nächsten Flughäfen liegen in Turin und Mailand.

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