Ein Evakuierter berichtet «Es regnete so laut, dass wir den Bergsturz nebenan nicht hörten»

Jenny Keller

2.7.2024 - 18:30

Davide Botta wird am 30. Juni 2024 mit anderen Eingeschlossenen aus Piano di Peccia evakuiert.
Davide Botta wird am 30. Juni 2024 mit anderen Eingeschlossenen aus Piano di Peccia evakuiert.
Privat: Davide Botta

Davide Botta, 30, erzählt von den bangen Stunden, als er und rund 200 weitere Personen nach heftigen Unwettern im Maggiatal per Helikopter aus dem eingeschlossenen Piano di Peccia evakuiert werden müssen.

Keystone-SDA, Jenny Keller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Davide Botta war bei einem Fussballturnier im Tessiner Weiler Piano di Peccia.
  • Im Festzelt wussten die Besucherinnen und Besucher zu dem Zeitpunkt nicht, dass ein Murgang und eine Schlammlawine sie von der Aussenwelt abgeschnittenen hatte.
  • Die isolierten Personen wurden von Super Pumas der Armee ausgeflogen.

Es sollte ein gemütliches Fussballturnier im kleinen Tessiner Weiler Piano di Peccia in der Gemeinde Lavizzara im hinteren Maggiatal werden. «Es ist ein überschaubares Gebiet, 30 oder 40 Häuser, 1000 Meter über Meer», erzählt Davide Botta, der den Anlass mit zwei Brüdern und Kollegen besucht hatte.

Was er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: Das sportliche und gesellige Wochenende würde für ihn und die anderen Besucherinnen und Besucher des Events am Sonntagabend in einer Evakuierung mit dem Militärhelikopter enden.

Davide Botta ist Elektroingenieur aus Avegno und lebt heute in Sissach BL. Der Freizeitfussballer erzählt: «Nach dem traditionellen Fussballturnier am Samstagnachmittag schauten wir den Match Schweiz gegen Italien. Die Stimmung war ausgelassen.» Es regnete zwar, aber die Feiernden fanden Schutz im Festzelt.

Stromausfall um Mitternacht

Draussen verschärfte sich unterdessen die Situation. «Vor Mitternacht wurde der Regen immer stärker. Und dann fiel plötzlich der Strom aus», berichtet Botta. Die Organisator*innen des Anlasses informierten die Feuerwehr. Diese riet den etwa 200 anwesenden Personen, das Zelt nicht mehr zu verlassen.

Botta beschreibt die Stimmung im Zelt als ruhig, aber angespannt. «Es gab keine Musik mehr und kein Licht. Die Organisatoren verteilten Wasser und Cola.»

Keine Verbindung zur Aussenwelt

Die Leute im dunklen Festzelt wussten zu dem Zeitpunkt nicht, dass ein Murgang und eine Schlammlawine sie von der Aussenwelt abgeschnittenen hatte, der Weg zurück ins Dorfzentrum versperrt war: «Es regnete so extrem laut, dass wir nicht hörten, wie in unmittelbarer Nähe Teile des Berges herabstürzten.»

Wahrscheinlich war es besser, dass sie die Schlammlawine, den Murgang und die damit einhergehende Zerstörung nicht bemerkten. «Wir wussten nicht, wie schlimm es war.» Da es keinen Handyempfang gab, sorgten sie sich höchstens um ihre Angehörigen und Freund*innen. «Wir konnten unsere Familien nicht informieren, dass wir feststecken.»

Davide Botta schlief in dieser Nacht nicht. Andere liessen sich auf dem kalten Boden des Festzelts nieder oder schliefen auf Tischen und Bänken. Viele froren in ihren feuchten Kleidern und versuchten, sich mit Plastikdecken oder Alufolie zu wärmen.

Die Rega erreicht die Eingeschlossenen

Gegen 5 Uhr morgens, als es endlich hell wurde, zeigte sich langsam das Ausmass der Zerstörung. «Wir sahen den schlimmen Hagel und die Zerstörung unmittelbar um das Festzelt herum. Ein hinter dem Festzelt parkierter Van wurde fast von einem Murgang in die Tiefe gerissen. Ich war beeindruckt. Wir hörten Gerüchte über die zerstörte Brücke in Cevio. Aber niemand hatte offizielle Informationen.»

Um 5.30 Uhr erreicht ein Rega-Helikopter die Eingeschlossenen. Nachdem die Mediziner*innen feststellten, dass alle gesund und gut versorgt waren, flogen sie ohne Passagiere weiter an Orte, wo sie dringender gebraucht wurden. «Wir hatten genug zu essen und zu trinken, da der Anlass offiziell bis Sonntag hätte dauern sollen», erklärt Botta.

Warten auf Evakuierung

Das OK vom Turnier machte sowieso einen super Job, findet Botta. «Alle paar Stunden informierten sie uns über Neuigkeiten.» Und so bewahrten die vom Unwetter Eingeschlossenen trotz der herausfordernden Situation Ruhe.

Gegen 13 Uhr landeten Polizisten mit einem Helikopter auf dem Fussballplatz. «Sie informierten uns, dass wir am späteren Nachmittag mit Super Pumas evakuiert werden würden.» Viele feierten, als die Nachricht kam – aus Erleichterung und vielleicht auch in Vorfreude auf den unverhofften, wenn auch tragischen, Helikopterflug.

Die Evakuierung verlief reibungslos und ohne Gedränge. «Es war beeindruckend, wie gross diese Militär-Maschinen sind. Wir waren je 16 Passagiere, plus zwei Piloten und zwei Besatzungsmitglieder.»

Landung nach 15 Minuten

Und dann sah Botta das ganze Tal von oben: «Es war atemberaubend, das Bavona-Tal zu überfliegen, wo es einen noch grösseren Murgang gab. Ich sah auch die zerstörte Brücke im Cevio-Tal.»

Nach 15 Minuten landete der Helikopter in Aurigeno, TI. Bottas Vater holte ihn und seine Brüder ab: «Was macht ihr denn für Sachen?», fragte er, erleichtert über das Wiedersehen mit seinen Söhnen.

Das Erlebnis hat Botta nachhaltig beeindruckt, sagt er. «Aber nicht abgeschreckt. Ich werde vielleicht ab jetzt das Wetter und damit einhergehende Gefahren genauer beobachten.»

Ob er bald wieder ins Tal zurückkehrt? Das weiss Davide Botta nicht. Aber: «Das Auto meines Vaters steht noch auf dem Festgelände.» Auch am Dienstagabend ist weiterhin unklar, wann die hinteren Täler der Maggia wieder mit dem Auto erreichbar sind. Zurzeit prüfen die Behörden, ob die heil gebliebene Fussgängerbrücke in Cevio provisorisch mit Autos befahren werden kann.