Zooleiter zur Berliner Löwenjagd «Je länger das Tier unterwegs ist, desto unberechenbarer wird es»

Stefan Michel

20.7.2023

Die entlaufene Löwin in Berlin stammt nach Stand der Ermittlungen weder aus einem Zoo, noch aus einem Zirkus, noch aus einer Tierschutzeinrichtung. Bleibt nur eine illegale Tierhaltung. 
Die entlaufene Löwin in Berlin stammt nach Stand der Ermittlungen weder aus einem Zoo, noch aus einem Zirkus, noch aus einer Tierschutzeinrichtung. Bleibt nur eine illegale Tierhaltung. 
imago images/blickwinkel

Am Rand von Berlin streift offenbar eine Löwin durch die Wälder. Marc Zihlmann, Zooleiter des Sikyparks in Crémines BE, erklärt, warum afrikanische Grossraubkatzen in Mitteleuropa häufiger werden.

Stefan Michel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Marc Zihlmann ist Zooleiter des Sikyparks in Crémines BE. Dieser nimmt immer wieder Grosskatzen auf, die illegal gehalten wurden.
  • Grossraubkatzen, die aus der Gefangenschaft ausbrechen, sind verunsichert und verängstigt. Sie sind aber nicht aggressiv.
  • Wer einem Löwen oder einer anderen Grosskatze begegnet, muss sich gross machen, laut sein und sich langsam entfernen. Auf keinen Fall darf man davonrennen. Das löst den Jagdtrieb aus.
  • Marc Zihlmann vom Sikypark sagt, dass der illegale Handel mit Grossraubkatzen floriere und dass viele Tiere durch die Schweiz geschmuggelt werden.

Gehen wir davon aus, dass in Berlin tatsächlich eine Löwin unterwegs ist. Was können Sie über ihren Zustand sagen?

Je länger ein solches Tier ausserhalb seiner Anlage, seinem gewohnten Umfeld, ist, desto verunsicherter und verängstigter ist es. Es wird damit auch unberechenbarer.

Welches Verhalten erwarten Sie in der aktuellen Situation?

Das Tier ist sicher nicht auf Konfrontation aus. Es ist verängstigt, will seine Ruhe, sucht Schutz und einen Platz, von dem aus es die Umgebung beobachten kann.

Wie könnte es auf Menschen reagieren?

Es kann zu Scheinangriffen kommen. Es will damit sagen: «Komm mir nicht zu nah!» Ich gehe davon aus, dass die Löwin privat bei Menschen gelebt hat. Deshalb könnte sie Menschen als Nahrungsgeber kennen und die Nähe suchen.

Wie wirkt sich der Hunger auf das Verhalten aus?

Löwen und andere Grossraubkatzen halten es lang ohne Nahrung aus. Aber es gibt Situationen, die den natürlichen Jagdtrieb auslösen. Es kann auch sein, dass es Haustiere als Beute ansieht. 

Was für Situationen können den Jagdtrieb auslösen?

Wenn Menschen vor dem Tier wegrennen. Das sollten sie auf keinen Fall tun, das wäre fatal. 

Marc Zihlmann, Sikypark
Sikypark

Marc Zihlmann ist Zooleiter im Sikypark. Dieser Tierpark in der Berner Gemeinde Crémines nimmt Schweizer und exotische Tiere auf, die gerettet werden müssen. Sei es, weil in einem Zoo kein Platz mehr für sie ist, ein Zirkus keine Tiere mehr halten will, oder die Tiere illegal gehalten wurden.

Was sollen sie stattdessen tun?

Sie sollten sich gross machen, laut sein, das Tier verwirren, damit es einen Scheinangriff abbricht, falls es diesen schon gestartet hat. Und sich langsam vom Tier entfernen.

Sie gehen davon aus, dass die Grosskatze privat gehalten wurde. Wie verbreitet ist das?

Der illegale Handel mit exotischen Raubkatzen floriert – auch dank des Internets und speziell den sozialen Medien wird das immer einfacher. Die Tiere werden meistens als Jungen importiert, die Schweiz ist oft Transitland. Darum gibt es auch immer öfter solche Vorfälle, wie der Leopard, der in Frankreich über die Dächer spaziert ist oder der Weisse Löwenwelpe, der in Deutschland entdeckt wurde. 

Der Sikypark, in dem Sie arbeiten, nimmt solche Tiere auf. Wie oft kommt das vor?

Wir erhalten regelmässig Anfragen – auch aus dem Ausland. In Deutschland scheint es besonders viele illegal gehaltene Grosskatzen zu geben. Aus der Schweiz erhalten wir eher die kleineren Leoparden, Servale oder Karakale. Aktuell haben wir drei Löwen, sechs Tiger und drei Kleinraubkatzen.