Wahl in Kanada «Superstar» Justin Trudeau droht der Machtverlust

AP

20.10.2019

Die Erwartungen an Justin Trudeau waren hoch. Gerade wegen der Entwicklungen in den USA galt er international als neue Leitfigur der Liberalen. Nach vier Jahren im Amt ist das vielleicht grösste Problem des kanadischen Ministerpräsidenten daher die Ernüchterung.

Die Partys der Kanadier in Davos wurden lange belächelt. Im Programm des Weltwirtschaftsforums seien sie meist die «verschlafenste» Veranstaltung überhaupt gewesen, sagt der Aussenpolitik-Experte Ian Bremmer. Doch dann hiess Anfang 2016 der Gastgeber zum ersten Mal Justin Trudeau. «Es war verrückt. Jeder wollte dort sein. Er war in dem Jahr der Superstar auf der globalen Bühne. Allein die Vorstellung, dass ein kanadischer Ministerpräsident eine solche Strahlkraft haben könnte, war verrückt.»

Inzwischen hat sich die Aufregung um Trudeau laut Bremmer gelegt. «Er gilt noch immer als einer der Guten», sagt der Leiter des in New York ansässigen Beratungsunternehmens Eurasia Group. «Aber ganz ehrlich, sein Stern ist verblasst.» Auch im eigenen Land hat der politische Shootingstar von damals klar an Beliebtheit eingebüsst: Umfragen zufolge könnte er bei der Parlamentswahl am morgigen Montag seine Mehrheit verlieren.

Fehler und kleine Skandale

Dass Trudeau um sein Amt fürchten muss, hat verschiedene Gründe. Zum einen dürften es gerade die hohen Erwartungen sein, die er realistischerweise kaum erfüllen konnte. Zum anderen hat sich der 47-Jährige zuletzt eine Reihe von Fehlern und kleinen Skandalen geleistet, die seinem Ruf geschadet haben.

Im September tauchten alte Fotos auf, die ihn mit dunkel geschminktem Gesicht zeigten. Das sogenannte Blackfacing wurde Trudeau als rassistisch ausgelegt. Noch gravierender aber war ein handfester Wirtschaftsskandal: Um Ermittlungen gegen ein Unternehmen aus der Provinz Quebec zu verhindern, soll er in unzulässiger Weise Druck auf seine ehemalige Justizministerin ausgeübt haben. Trudeau beteuert, sich nur um die auf dem Spiel stehenden Jobs bemüht zu haben.

«Ich denke nicht, dass sich alle von ihm abgewendet haben. Aber er ist eben nicht die ganz grosse Nummer, die Leitfigur, wenn man so will, die sich die Leute gewünscht und die sie erwartet haben», sagt Robert Bothwell, Professor für kanadische Geschichte und internationale Beziehungen an der University of Toronto.

Trudeaus grösster Herausforderer ist der Konservative Andrew Scheer. Der 40-jährige Berufspolitiker wird selbst von Mitgliedern seiner eigenen Partei bisweilen als farblos beschrieben. Bei manchen Wählern, die den Starkult um den Amtsinhaber womöglich leid sind, könnte Scheer aber gerade damit gut ankommen. Inhaltlich hat er unter anderem eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben um 25 Prozent sowie eine Abschaffung der kanadischen CO2-Steuer versprochen. Auch Scheer stand zuletzt aber in der Kritik, weil er im Hinblick auf seinen Lebenslauf sowie auf seine zweite, amerikanische Staatsbürgerschaft nicht ganz ehrlich gewesen sein soll.

Trudeau profitierte gerade zu Beginn seiner Amtszeit auch vom Ruf seines verstorbenen Vaters. Pierre Trudeau war 1968 zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Vier Jahre später sah es auch für ihn zunächst knapp aus, doch am Ende stand er fast 16 Jahre an der Spitze der kanadischen Regierung. Und wie kaum ein anderer steht Pierre Trudeau bis heute für die liberale Ausrichtung des Landes, nicht zuletzt in der Einwanderungspolitik.

Der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau bei einer Wahlkampofveranstaltung in Milton, Ontario.
Der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau bei einer Wahlkampofveranstaltung in Milton, Ontario.
Bild: Sean Kilpatrick/The Canadian Press/dpa

Als der Sohn 2015 die Macht übernahm, lenkte er Kanada nach zehn Jahren unter konservativer Führung in vielen Bereichen wieder zurück in die einst vom Vater eingeschlagene Richtung. Als ein Jahr später dann in den USA der Populist Donald Trump die Wahl gewann, blickten viele liberale Amerikaner geradezu sehnsüchtig gen Norden. Das US-Magazin «Rolling Stone» widmete Trudeau eine Cover-Story — unter dem Titel: «Warum kann er nicht unser Präsident sein?»

Unterstützung von Obama

Angesichts des Umfragetiefs so kurz vor der Wahl stellte sich kürzlich auch Barack Obama demonstrativ an die Seite des Kanadiers. Der ehemalige US-Präsident beschrieb Trudeau als einen fleissigen und effektiven Politiker, der auch komplexe Herausforderungen wie den Klimawandel anpacke. «Die Welt braucht gerade jetzt seine progressive Führung», schrieb Obama auf Twitter.

Ähnlich wie der Ex-US-Präsident setzt Trudeau sich für die Gleichstellung der Geschlechter und Integration ein. Sein Kabinett besteht etwa zur Hälfte aus Frauen, mehrere Minister haben einen Migrationshintergrund. Während die USA und andere westliche Länder ihre Einwanderungsgesetze verschärften, blieb der Kanadier konsequent bei seiner Politik der offenen Grenzen.

Internationale Beachtung fand im vergangenen Jahr auch die landesweite Legalisierung von Cannabis. In der Umweltpolitik bemühte sich Trudeau um eine Balance mit wirtschaftlichen Interessen — was ihm von beiden Seiten mehr Kritik als Lob einbrachte. So führte er zwar die CO2-Steuer ein, trieb aber auch ein umstrittenes Pipeline-Projekt voran, um Erdöl aus der Provinz Alberta besser auf den internationalen Märkten verkaufen zu können.

Trumps Gegenpol

Als grosse Leistung wird ihm allgemein angerechnet, ein neues Freihandelsabkommen mit Washington ausgehandelt zu haben, nachdem Trump mit einer kompletten Aufkündigung gedroht hatte. «Als Trudeau wirklich unter Druck gesetzt wurde, von dem launischsten und unberechenbarsten amerikanischen Präsidenten der Geschichte, hat er sich im Sinne der kanadischen Bürger ziemlich gut geschlagen», sagt der Experte Bremmer.

Eine allzu offene Kritik am Weissen Haus hatte Trudeau lange vermieden. In den vergangenen Wochen präsentierte er sich jedoch zunehmend als eine Art Gegenpol zu Trump — als der einzige Kandidat, der es mit dem US-Präsidenten und den «Kräften des Populismus und des Chaos in aller Welt» aufnehmen könne. Ob die kanadischen Wähler ihm das tatsächlich zutrauen, wird sich am Montag zeigen.


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