Nationalismus auf dem Vormarsch 100 Jahre nach Kriegsende – droht ein Dritter Weltkrieg?

dpa

11.11.2018

Frankreichs Präsident will mit dem Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs auch ein Signal gegen Nationalismus setzen. Doch manche der Ehrengäste machten eine Politik, die einen Dritten Weltkrieg auslösen könnte.

Es sind Bilder und Gesten, die für ein «Nie wieder», für ein «Wir haben es gelernt» stehen sollen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Hand in Hand, Schulter an Schulter mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron auf einer Waldlichtung bei Compiègne 80 Kilometer nördlich von Paris. An dem Ort, an dem vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg mit einem Waffenstillstand, der einer Kapitulation Deutschlands gleichkam, beendet wurde.

Einen Tag später schreiten sie dann – im Regen – gemeinsam mit rund 70 anderen Staats- und Regierungschefs zum Pariser Triumphbogen. Dort liegt einer der mehr als neun Millionen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs begraben. US-Präsident Donald Trump ist dabei, der russische Staatschef Wladimir Putin und auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Gemeinsam verfolgen sie ein rund einstündiges, bewegendes Programm, das an das unfassbare, durch Grossmachtstreben und extremen Nationalismus ausgelöste Grauen des Krieges erinnert.

Die Staatsgäste nehmen an einer Gedenkveranstaltung am Triumphbogen teil.
Die Staatsgäste nehmen an einer Gedenkveranstaltung am Triumphbogen teil.
Bild: Francois Mori/AP

Hunderttausende Tote mahnen

Doch haben die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg für Politiker wie Trump, Putin oder Erdogan überhaupt irgendeine Bedeutung? Mit Wladimir Putin sitzt da jemand bei der Zeremonie, der den syrischen Machthaber Baschar al-Assad und die Separatisten in der Ukraine unterstützt. Mehr als 400'000 Tote und Millionen Vertriebene: Das ist die bisherige Bilanz des Bürgerkriegs in Syrien. Mehr als 10'000 Menschen kamen bereits im Krieg in der Ostukraine um.

Da ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, unter dem die Türkei eklatante Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit verzeichnet. Und da ist nicht zuletzt auch Donald Trump. Ein Präsident, der sich selbst stolz als Nationalist bezeichnet und per Twitter-Nachricht mit seinem Startknopf für Atomwaffen prahlt. Der auf Konfrontationskurs zu den europäischen Verbündeten geht und mit dem INF-Vertrag eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen der letzten Jahrzehnte aufkündigen will.

Trump vs. Europa

«Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir ein Amerika, das der Idee eines vereinten Europas nicht wohlgesonnen ist», kommentierte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Wochenende verbittert. Trump habe sich dafür entschieden, die Welt zu spalten: auf der einen Seite Amerika und auf der anderen Seite lauter geschwächte Einzelstaaten.

Der Pole Tusk spielt damit wohl auch darauf an, dass Trump gleich zum Start seines Besuches erst einmal provoziert hatte. Er empfinde es als kränkend, dass Macron eine europäische Armee aufbauen wolle, liess er per Twitter wissen. Europa solle doch vielleicht erst einmal «seinen gerechten Anteil an der Nato» bezahlen.

Dass es etwas widersprüchlich wirkt, mehr europäisches Engagement im Bereich der Verteidigung zu fordern und gleichzeitig eine europäische Armee abzulehnen, stört Trump dabei offensichtlich nicht. Manch einer in Europa ist auch überzeugt, dass der Republikaner mit seinen Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben vor allem der US-amerikanischen Rüstungsindustrie zu neuen Milliardenaufträgen verhelfen will.

«Willkommen Kriegsverbrecher»

Doch grosse politische Diskussionen gibt es am Wochenende nicht. Öffentlichkeitswirksame Kritik an den zweitägigen Feiern kommt lediglich von der Frauen-Aktivistengruppe Femen. Drei Mitglieder laufen am Samstag mit nackten Oberkörpern über den Platz vor dem Triumphbogen und zeigen Plakate mit Aufschriften wie «Willkommen Kriegsverbrecher». Einen Tag später gelingt es ihnen sogar kurzzeitig, den Konvoi von US-Präsident Trump zu stören. Die Veranstaltung sei eine riesige Heuchelei, kritisierte die Organisation. Unter den Gäste seien solche, die für eine Politik verantwortlich seien, die die Welt in den Dritten Weltkrieg stürzen könnte.

Ob Frankreichs Präsident Macron an solche Art von Kritik gedacht hat, als er die riesige Gedenkzeremonie organisierten liess? Wenn ja, gibt es zwei mögliche Erklärungen, warum er es trotzdem tat. Entweder ging es ihm darum zu zeigen, dass er es schafft, die mächtigsten Politiker der Welt bei einer einzigartigen Zeremonie um sich zu versammeln. Oder er hat die Hoffnung, dass Gedenkveranstaltungen wie die am Wochenende am Ende doch etwas in den Köpfen bewegen können. Es wäre vermutlich eine fromme Hoffnung.

Zu fragen bleibt auch, ob denn zumindest die Europäer ihre Lektionen aus dem Ersten Weltkrieg gelernt haben. Dagegen sprechen das Erstarken nationalistischer und populistischer Kräfte in Ländern wie Polen und Ungarn, die britischen Pläne für einen EU-Austritt und vielleicht sogar auch der aktuelle Kurs der deutschen Bundeskanzlerin und Macrons.

Deutsche Sorgen

Projekte wie die von Macron angestrebte Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion kommen wegen deutscher Sorgen vor einer Vergemeinschaftung von Schulden nicht voran. Und selbst in der Verteidigungspolitik haben Deutschland und Frankreich sehr unterschiedliche Vorstellungen. So will Frankreich ausserhalb des EU-Rahmens eine kleine schlagkräftige Interventionstruppe für Einsätze zum Beispiel in Afrika einrichten. Deutschland hingegen möchte ein solches Vorhaben nur als Projekt der Europäischen Union akzeptieren.

Macron rief seine Gäste am Sonntag eindringlich dazu auf, nicht einzig und allein an die Interessen des eigenen Landes zu denken. Nationalismus sei das genaue Gegenteil von Patriotismus, sagte er. «Lasst uns unsere Hoffnungen zusammennehmen anstatt uns unsere Ängste entgegenzuhalten.»

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