Lehren aus dem Genozid 800'000 Tote in 100 Tagen: 25 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda

tafi / dpa / afp

7.4.2019

Nach dem Genozid 1994 gab es «keine Hoffnung» in Ruanda. 25 Jahre nach dem Völkermord der Hutu-Mehrheit an den Tutsi hat das ostafrikanische Land eine bemerkenswerte Entwicklung gemacht.

25 Jahre nach dem Beginn des Völkermords hat Ruanda am Sonntag an die hunderttausenden Opfer erinnert. Zum Auftakt der Gedenkfeiern in der Hauptstadt Kigali entzündete Staatschef Paul Kagame eine Flamme am Völkermord-Denkmal von Gisozi.

Bei dem Massaker in Ruanda waren 1994 mindestens 800'000 Menschen getötet worden. Um an das 100 Tage währende Blutvergiessen zu erinnern, gilt in Ruanda bis zum 4. Juli Staatstrauer. In der kommenden Woche finden im ganzen Land Gedenk- und Diskussionsveranstaltungen statt.

«Nicht nur wurden Körper zerstört, sondern auch die Idee von Ruanda selbst», sagte der 61-Jährige, der massgeblich zum Ende des Genozids 1994 beigetragen hatte. «Was hier passiert ist, wird niemals wieder passieren.» Der Staatschef mahnte, dass Ruanda sich keine Selbstgefälligkeit leisten könne. «Das Leid, was wir durchlebt haben, sollte genug sein, um unseren Kampfgeist am Leben zu halten.»

Innerhalb von 100 Tagen im Jahr 1994 hatten Hutu in Ruanda ihre Nachbarn, Freunde, Fremde und sogar Ehepartner und Kinder getötet, verstümmelt und vergewaltigt. Die Opfer waren vorwiegend Tutsi, aber auch viele gemässigte Hutu.
Innerhalb von 100 Tagen im Jahr 1994 hatten Hutu in Ruanda ihre Nachbarn, Freunde, Fremde und sogar Ehepartner und Kinder getötet, verstümmelt und vergewaltigt. Die Opfer waren vorwiegend Tutsi, aber auch viele gemässigte Hutu.
Keystone

Leichen verwesten auf den Feldern

Das Land lag 1994 in Schutt und Asche. Häuser, Strassen und Brücken waren zerstört. Leichen verwesten auf Feldern und trieben in Flüssen. Zehntausende Waisenkinder lebten auf der Strasse oder in den Trümmern von Gebäuden. Es gab keinen funktionierenden Staat mehr. Hunderttausende Überlebende waren traumatisiert, Millionen Menschen auf der Flucht, Täter mussten bestraft werden. Wo beginnt man, so ein Land wieder aufzubauen? Wie beginnt man, Gerechtigkeit zu erzielen?

Ruanda wählte den Weg der sogenannten Gacaca-Gerichte: Laiengerichte, die von einfachen Bürgern in etlichen Gemeinden im ganzen Land geschaffen wurden. Als 2002 damit begonnen wurde, warteten rund 120'000 Verdächtige im Gefängnis auf ein Verfahren, zahlreiche weitere Verdächtige waren auf freiem Fuss, wie Fidèle Ndayisaba sagt.

Ruandas Präsident Paul Kagame und First Lady Jeannette Kagame entzünden gemeinsam mit EU-Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker (rechts) und dem Kommissionspräsidenten der Afrikanischen Union, Moussa Faki (links) eine ewige Flamme.
Ruandas Präsident Paul Kagame und First Lady Jeannette Kagame entzünden gemeinsam mit EU-Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker (rechts) und dem Kommissionspräsidenten der Afrikanischen Union, Moussa Faki (links) eine ewige Flamme.
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Der Chef der Nationalen Kommission für Einheit und Versöhnung (NURC) erklärt, dies habe bei weitem die Kapazitäten der Gefängnisse und Gerichte übertroffen. Die Laien-Gerichte belohnten Geständnisse von Tätern mit geringeren Strafen, etwa gemeinnütziger Arbeit. Das Ergebnis: Innerhalb von zehn Jahren wurden laut Ndayisaba 1,9 Millionen Fälle behandelt. «Gacaca wurde als Lösung ausgewählt nicht nur, um einfache Gerechtigkeit zu suchen, sondern auch, um eine Plattform für Dialog und Wahrheit zu schaffen.»

In der früheren deutschen und belgischen Kolonie Ruanda hatten Angehörige der Volksgruppe der Hutu 1994 innerhalb von drei Monaten mindestens 800'000 Menschen getötet. Die meisten Opfer waren Angehörige der Minderheit der Tutsi, aber auch viele gemässigte Hutu wurden getötet. Viele der Täter waren Staatsbedienstete, etwa aus Armee oder Polizei.

In Gisozi, wo mehr als 250'000 Opfer begraben sind, hält eine Gedenkstätte die Erinnerungen an die damaligen Gräueltaten wach. Staatschef Kagame entzündete dort am Sonntag gemeinsam mit seiner Frau Jeannette, dem Kommissionspräsidenten der Afrikanischen Union, Moussa Faki Mahamat, sowie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker eine Flamme zu Ehren der Opfer.

Nach dem Völkermord von 1994 mussten Überlebende und Täter lernen, zusammenzuleben.
Nach dem Völkermord von 1994 mussten Überlebende und Täter lernen, zusammenzuleben.
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Präsident Kagame ist nicht unumstritten

Kagame hatte am 4. Juli 1994 mit seiner damaligen Rebellengruppe FPR die Regierung aus Hutu-Extremisten gestürzt und damit den Völkermord beendet. Seitdem dominiert er die Politik in Ruanda. Er war Vizepräsident und Verteidigungsminister, bevor er 2000 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde. Kagame wird das rasante Wirtschaftswachstum Ruandas zugute gehalten. Für seine Gegner ist der Präsident hingegen ein Autokrat, der seine politischen Gegner systematisch unterdrückt.

An der Gedenkfeier am Sonntag nahmen einige afrikanische Politiker wie die Präsidenten der Republik Kongo und des Tschad, Denis Sassou Nguesso und Idriss Déby, sowie der äthiopische Regierungschef Abiy Ahmed teil. Aus Belgien reiste Ministerpräsident Charles Michel an.

Es ist erst 25 Jahre her. Doch der absolute Horror des Völkermordes ist heute kaum mehr vorstellbar. Viele der Wunden sind inzwischen verheilt.
Es ist erst 25 Jahre her. Doch der absolute Horror des Völkermordes ist heute kaum mehr vorstellbar. Viele der Wunden sind inzwischen verheilt.
Keystone

Frankreich in der Kritik

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron liess sich bei dem Gedenken in Kigali durch den Abgeordneten Hervé Berville vertreten, einen Angehörigen der Tutsi–Minderheit, der 1994 als Waisenkind aus Ruanda gerettet worden war. Der heute 29–Jährige wurde zu Beginn des Genozids mit seinem Bruder nach Frankreich gebracht, wo er in einer Adoptivfamilie aufwuchs.

Macron bekundete am Sonntag seine «Solidarität mit dem ruandischen Volk» und sein Mitgefühl mit den Hinterbliebenen. Er kündigte an, den 7. April in Frankreich zu einem «Gedenktag» in Erinnerung an die Opfer des Genozids zu machen.

Ruanda hat Frankreich immer wieder vorgeworfen, sich durch seine Unterstützung der damaligen ruandischen Regierung an dem Völkermord mitschuldig gemacht zu haben. Französische UN-Truppen hätten zudem einigen Tätern bei der Flucht geholfen. Paris wies bisher jegliche Mitverantwortung an dem Blutbad zurück. Macron rief am Montag eine Historiker-Kommission ins Leben, um Frankreichs Rolle in dem Land in dieser Zeit zu untersuchen.

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