Abtreibung als Wahlkampfthema Abtreibung als Wahlkampfthema: Kostet ein Richterwechsel Trump Stimmen?

Thomas Beaumont und Barbara Rodriguez, AP

6.7.2018

Die USA unter Donald Trump sind zutiefst gespalten: Das macht die Kongresswahl im November ohnehin schon superspannend. Und nun rückt mit dem Abtreibungsrecht noch ein zusätzliches heisses Thema in den Vordergrund.

Strategen bei Republikanern und Demokraten in den USA waren sich ziemlich sicher: Wirtschaft, Krankenversicherung und die Beliebtheit von Präsident Donald Trump werden die Zwischenwahlen im Herbst bestimmen. Doch jetzt hat ihnen ein Jurist ein ganz anderes Thema beschert. Anthony Kennedy hat seinen Rückzug aus dem Obersten Gerichtshof bekanntgegeben, und die Frage, wen Trump für seine Nachfolge nominiert, rückt das Abtreibungsrecht in den Fokus, das rechts und links die Gemüter erhitzt.

1973 hatte der Supreme Court ein Abtreibungsverbot in Texas für verfassungswidrig erklärt und damit das Abtreibungsrecht festgeschrieben. Doch die Diskussionen in den USA über das Thema halten bis heute an, ebenso wie die Versuche, das Recht wieder einzuschränken. Dass der Supreme Court sein Grundsatzurteil von 1973 aufrecht erhielt, ist im Wesentlichen Kennedy zu verdanken, der in mehreren folgenden Rechtsstreitigkeiten um das Abtreibungsrecht das Zünglein an der Waage war und mit seiner Stimme den Ausschlag gab.

Abtreibungsgegner wittern Morgenluft

Nach Kennedys Rücktritt hat Trump zum zweiten Mal seit Amtsantritt die Gelegenheit, einen neuen Richter für den Supreme Court zu nominieren. Das könnte die konservative Mehrheit in dem Gremium zementieren. So wittern denn Abtreibungsgegner Morgenluft, sehen eine reelle Chance, dass das Urteil von 1973 in näherer Zukunft zumindest aufgeweicht wird.

Befürworter des Abtreibungsrechts und ihre Widersacher glauben, dass dieses heisse Thema im November zusätzliche Wähler mobilisieren könnte. Und wer wie viele auf die Beine bringt, könnte wiederum über die Zusammensetzung von Abgeordnetenhaus und Senat in den nächsten zwei Jahren entscheiden.

Dabei wird der Richterposten vermutlich schon vor der Wahl am 6. November besetzt sein. Trump und seine Republikaner wollen die Sache mit Blick auf die Wahlen möglichst rasch durchziehen. Sie haben derzeit in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit - also auch im Senat, der Trumps Kandidaten bestätigen muss. Aber die mögliche Gefahr einer künftigen neuen restriktiveren Abtreibungsentscheidung könnte zu einer Art Leuchtfeuer für alle werden, die Trump ablehnen - und ohnehin danach lechzen, mit ihm abrechnen zu können.

Abtreibung könnte zentrales Wahlkampfthema werden

Einige republikanisch geführte Bundesstaaten haben zudem in der jüngsten Vergangenheit Massnahmen beschlossen, die Abtreibungen erschweren. Dort dürfte das Thema im Kongresswahlkampf noch stärker hochkochen als anderswo. Zum Beispiel in Iowa mit gleich zwei neuen heiss umstrittenen Gesetzen.

Das eine schreibt eine 72-stündige Warteperiode für Frauen vor Schwangerschaftsabbrüchen vor und wurde - zur hellen Empörung christlicher Konservativer - Ende Juni vom höchsten Gericht des Bundesstaates für rechtswidrig erklärt. Ein zweites Gesetz vom Mai ist sogar das restriktivste im ganzen Land: Es verbietet Abtreibungen, sobald ein Herzschlag festgestellt worden ist - in der Regel etwa sechs Wochen nach Schwangerschaftsbeginn. Auch dieses Gesetz ist bislang blockiert - es wird derzeit gerichtlich geprüft.

«Das Thema Abtreibung kann sehr wohl die Wähler auf nationaler Ebene antreiben, ihnen Energie verleihen», sagt Paul Harstad, ein demokratischer Meinungsforscher. «Aber Iowa ist ein Fall, wo es ganz oben stehen wird.» Tatsächlich hat es bereits in engen Wahlrennen auf staatlicher Ebene Wechselwähler mobilisiert. Umfragen zufolge könnten davon besonders Demokraten profitieren, die ihre jeweiligen republikanischen Opponenten als extrem brandmarken.

Hohe Wahlbeteiligung erwartet

Es gibt auch umgekehrte Fälle wie 2004, als eine verstärkte Wahlbeteiligung christlicher Konservativer dem damaligen Präsidenten George W. Bush zu einem knappen Sieg in Iowa verhalf - nach Radio-Werbespots zum Thema Abtreibung und Homo-Ehen in der Wahlkampf-Endephase. Aber in diesem Jahr scheinen den Demokraten zuneigende Wähler wegen Trump ohnehin schon besonders sensibilisiert zu sein. Das spiegelt sich unter anderem in der Wählerregistrierung, der Wahlbeteiligung und Siegen liberaler Demokraten bei Vorwahlen wider.

Iowa ist nicht der einzige Bundesstaat, in dem neue Entwicklungen beim Thema Abtreibung den Wahlkampf anheizen oder zumindest im Hintergrund eine Rolle spielen dürften. «Was wir von unseren Organisationen hören, ist, dass Wähler in diesen Staaten befeuert sind», sagt Ilyse Hogue von der Gruppe Naral Pro-Choice America, die sich für das Abtreibungsrecht einsetzt. Da ist zum Beispiel Indiana, wo ein Bundesberufungsgericht im April gegen ein republikanisches Gesetz von 2016 entschied, das Abtreibungen auf der Basis von Geschlecht, ethnischer Abstammung oder Behinderung des Fötus verbietet.

«Die Linke ist aufgeheizt»

Mallory Quigley von der Susan B. Anthony List, einer Gruppe von Abtreibungsgegnern, räumt ein, dass die Gegenseite besonders motiviert erscheine. Trotzdem sieht sie Grund zum Optimismus. «Die Linke ist aufgeheizt», sagt Quigley. «Aber auch die Basis auf der Rechten hat Auftrieb, fühlt sich dadurch beflügelt, dass wir einen Präsidenten haben, der eine Pro-Leben-Agenda verfolgt.» Ihre Gruppe engagiert sich nun verstärkt in den Bundesstaaten, in denen Trump 2016 gewonnen hat und wo sich demokratische Senatoren im November zur Wiederwahl stellen, unter anderem Florida und Ohio.

Eine Sorge ist, dass die von den Republikanern angestrebte Besetzung des vakanten Richterpostens im Supreme Court vor der Kongresswahl einen negativen Nebeneffekt hat: Christlich-Konservative könnten eine Stimmabgabe nicht mehr für so wichtig halten. So sieht es auch Harstad, der demokratische Meinungsforscher: «Es ist nicht sicher, aber ich glaube, dass es die Wahlbeteiligung der Evangelikalen beeinträchtigen könnte.»

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite