EuropaAffront gegen die EU: Moskau weist wegen Nawalny Diplomaten aus
SDA
5.2.2021 - 18:55
Der Streit zwischen der EU und Russland über die Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny spitzt sich dramatisch zu. Das Aussenministerium in Moskau wies am Freitag Diplomaten aus Deutschland, Polen und Schweden aus, weil sie an Protesten gegen die Inhaftierung Nawalnys teilgenommen hätten. Die Regierungen in Berlin und Warschau kritisierten den Schritt scharf und drohten umgehend mit Gegenmassnahmen. Die Ausweisungen wurden ausgerechnet während eines Besuchs des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell in Moskau bekannt, der beim russischen Aussenminister Sergej Lawrow mit seiner Forderung nach einer Freilassung Nawalnys abblitzte. Neue EU-Sanktionen gegen Russland gelten nun als sicher.
Die drei EU-Diplomaten wurden vom russischen Aussenministerium am Freitag «zu unerwünschten Personen» erklärt. Dazu seien die Botschafter der drei Länder einbestellt worden und ihnen seien Protestnoten überreicht worden. Die Diplomaten sollen an nicht genehmigten Protesten am 23. Januar teilgenommen haben, bei denen Tausende Demonstranten festgenommen wurden. Dies sei unvereinbar mit dem diplomatischen Status sei, hiess es zur Begründung der Ausweisung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte das Vorgehen der russischen Regierung ungerechtfertigt. Es sei «eine weitere Facette in dem, was ziemlich fernab von Rechtsstaatlichkeit im Augenblick gerade in Russland zu beobachten ist», sagte sie. Aussenminister Heiko Maas sagte, die Ausweisung beschädige das Verhältnis Russlands zu Europa weiter. «Sollte die Russische Föderation diesen Schritt nicht überdenken, wird er nicht unbeantwortet bleiben.»
Der betroffene deutsche Diplomat sei seiner im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vorgesehenen Aufgabe nachgekommen, sich mit rechtmässigen Mitteln über die Entwicklung vor Ort zu informieren, betonte Maas. Der russische Botschafter Sergej Netschajew wurde ins Auswärtige Amt in Berlin einbestellt, um ihm die deutsche Haltung klarzumachen. Auch Polen bestellte den russischen Botschafter in Warschau ein. Das schwedische Aussenministerium liess Moskau wissen, dass es das Vorgehen für völlig unbegründet erachte.
Borrell erfuhr von der geplanten Ausweisung der Diplomaten während seines Treffens mit Lawrow – was man durchaus als Affront werten kann. Er habe das Vorgehen scharf verurteilt, erklärte der EU-Aussenbeauftragte später. «Diese Entscheidung sollte überdacht werden.»
Auch sonst verlief der Moskau-Besuch Borrells erfolglos. Bei einer Pressekonferenz mit Lawrow konnte er keinerlei konkrete Fortschritte in Sachen Nawalny verkünden. Die Konsequenz dürften neue Sanktionen sein. Offen ist allerdings noch, wie weitgehend sie sein werden. Eine Option ist, erstmals ein neues, im vergangenen Jahr geschaffenes EU-Sanktionsinstrument zu nutzen. Dieses ermöglicht es, in der EU vorhandene Vermögenswerte von Akteuren einzufrieren, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen oder davon profitieren. Zudem würden unter anderem EU-Einreiseverbote verhängt.
Eine andere Option ist es, weitere Personen über das EU-Sanktionsinstrument zur Ahndung von Verstössen gegen das Chemiewaffenverbot zu belangen. Wegen des Anschlags auf Nawalny hatte die EU bereits 2020 Einreise- und Vermögenssperren gegen mutmassliche Verantwortliche aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin verhängt.
Borrell erinnerte bei der Pressekonferenz daran, dass die EU für Russland der wichtigste Handelspartner und die grösste Quelle für ausländische Direktinvestitionen ist. Dies kann, muss aber nicht als Drohung mit einer Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen verstanden werden – zumal auch europäische Unternehmen unter neuen Sanktionen leiden würden.
Die EU will nun am 22. Februar bei einem Aussenministertreffen mögliche weitere Massnahmen erörtern. Danach werden sich dann im März die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen im März mit den Beziehungen zu Russland beschäftigen.
Merkel machte nach Gesprächen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron deutlich, dass sie den Fall Nawalny nicht mit dem Streit über die Gaspipeline Nord Stream 2 verknüpfen will. Sie zeigte sich zwar offen für weitere personenbezogenen Sanktionen gegen Russland. «Die Haltung zu Nord Stream 2 ist davon erst einmal unberührt», betonte sie aber auch.
Macron pochte auf eine enge Absprache zwischen Deutschland und Frankreich bei Nord Stream 2. «Ich glaube, dass zu diesem Projekt, das fast abgeschlossen ist, nichts ohne eine enge deutsch-französische Koordinierung angekündigt werden kann», sagte er.
Die Pipeline zwischen Russland und Deutschland ist fast fertiggebaut. Frankreich steht dem Projekt wie viele andere europäische Staaten kritisch gegenüber. Die USA bekämpfen es mit Sanktionen, weil sie eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen befürchten.
Nawalny war am Dienstag zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er aus Sicht der Richterin mehrfach gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren von 2014 verstossen haben soll. Ihm werden aber ein mehrmonatiger Hausarrest und Haftzeiten angerechnet, so dass seine Anwälte von zwei Jahren und acht Monaten im Straflager ausgehen. Auf den prominentesten Oppositionellen Russlands war im August in Russland ein Giftanschlag verübt worden, von dem er sich anschliessend in Deutschland erholt hat. Im Januar wurde er bei der Rückkehr nach Russland festgenommen.
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