Algerien Algeriens Präsident Bouteflika – Ex-Freiheitskämpfer mit vielen Rätseln

Von Elaine Ganley, AP

13.3.2019

Wie es aussieht, hält Algeriens Staatschef Bouteflika weiter an der Macht fest. Aber hat der Schwerkranke wirklich noch das Sagen? Das ist eines von vielen Rätseln, die diesen Mann umgeben – trotz seiner jahrelangen Prominenz.

Algeriens Langzeit-Präsident Abdelaziz Bouteflika ist seit seiner Zeit als Unabhängigkeitskämpfer in den 1950er und 1960er Jahren als schlauer politischer Überlebenskünstler bekannt. Und seine jüngsten ausgeklügelten Konzessionen, mit denen er die andauernden Massenproteste im Land eindämmen will, zeigen, dass er sogar auch jetzt noch nicht ans Aufgeben denkt.

Zwar hat sich der 82-Jährige bereit erklärt, nicht mehr für eine fünfte Amtszeit zu kandidieren. Aber zugleich blies er die für den 18. April in dem nordafrikanischen Land angesetzten Wahlen ab. Was Kritiker befürchten lässt, dass Bouteflika vorhat, auf unabsehbare Zeit an der Macht zu bleiben.

Nach einem Schlaganfall 2013 sitzt Boutaflika im Rollstuhl. Gesundheitlich schwer angeschlagen klammert sich der 82-Jährige an die Macht.
Nach einem Schlaganfall 2013 sitzt Boutaflika im Rollstuhl. Gesundheitlich schwer angeschlagen klammert sich der 82-Jährige an die Macht.
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Es gibt viele Rätsel um den seit einem Schlaganfall 2013 gesundheitlich schwer angeschlagenen Staatschef – trotz seiner jahrelangen Prominenz. So ist er am Sonntag nach zweiwöchigem Aufenthalt in einer Genfer Klinik zurückgekehrt, aber über seinen genauen Zustand verlautete nichts. Doch soviel war offensichtlich: Der gebrechliche Mann, der am Montag in seltenen Fernsehbildern zu sehen war, hatte wenig Ähnlichkeit mit dem feurigen Kämpfer, der er einst war.

Verhandlungen mit «Carlos, dem Schakal»

Es ist eine Vergangenheit mit vielen Facetten. Im Alter von nur 25 Jahren wurde Bouteflika Aussenminister und bot auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges politischen Schwergewichten wie dem Amerikaner Henry Kissinger die Stirn. Algerien war zu diesem Zeitpunkt ein Modell des doktrinären Sozialismus, eng verbunden mit der damaligen Sowjetunion.

1975 verhandelte Bouteflika erfolgreich mit dem als «Carlos, der Schakal» berüchtigten Terroristen über die Freilassung von Ölministern, die bei einem Wiener Treffen als Geiseln genommen und dann nach Algier geflogen worden waren. Vor allem aber: Nach einem langen äusserst blutigen Bürgerkrieg zwischen muslimischen Militanten und Algeriens Sicherheitskräften in den 1990ern half Bouteflika, das gespaltene Volk zu einen.

Seit Wochen gehen tausende von Studenten gegen Bouteflika auf die Strassen. Sie fordern Reformen im Land.
Seit Wochen gehen tausende von Studenten gegen Bouteflika auf die Strassen. Sie fordern Reformen im Land.
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Doch nach 20 Jahren als Präsident ist dieser einst charismatische Mann von Krankheit und Alter gezeichnet. Auch haben ihn Korruptionsskandale um Infrastrukturprojekte seit Längerem stark belastet. Und es gibt zunehmend Spekulationen über Bouteflikas wirkliche Machtposition, die mögliche Rolle von Generälen und Geschäftsleuten als Strippenzieher hinter den Kulissen.

Das alles und Kritik am erstarrten System insgesamt haben vor allem junge Menschen in den vergangenen Wochen zu Massenprotesten auf die Strasse getrieben. Als Konsequenz versprach Bouteflika am Montag Reformen, und die Geschicke des Landes will er in die «Hände neuer Generationen» legen. Aber wann das genau sein soll, wann die abgesagten Wahlen nachgeholt werden sollen, sagte er nicht.

Politische Karriere begann als Tourismusminister

Bouteflika wurde am 2. März 1937 in der marokkanischen Grenzstadt Oujda geboren. In den 1950ern schloss er sich der Befreiungsbewegung an und kämpfte im Krieg um die Unabhängigkeit von Frankreich an vorderer Front. 1961 schlich er sich in Frankreich ein, um dort inhaftierte Führer der Befreiungsbewegung zu kontaktieren.

Seine politische Karriere begann er als Tourismusminister, bevor er dann zum Chef des Aussenamts aufstieg. Er wurde eine prominente Stimme für die Belange der Entwicklungsländer und war in den Vereinten Nationen aktiv, so 1974 Präsident der UN-Generalversammlung.

Staatschef ist Bouteflika seit 1999. Er kam nach der dunkelsten Periode des Landes an die Macht - Jahren des Aufstandes, der entfesselt wurde, als das Militär 1992 Algeriens erste Vielparteien-Parlamentswahlen absagte. Etwa 200 000 Menschen starben, das Land stand am Abgrund, zerrissen von Tod und Misstrauen.

Bouteflika gelang es, Stabilität zurückzubringen. Er stellte einen Friedensplan mit einer Amnestie für Teile der radikalen Islamisten und das Ansehen der Streitkräfte wieder her, die unter anderem für das Verschwinden Tausender Menschen verantwortlich gemacht worden waren. 2005 unternahm er einen neuen kühnen Vorstoss zur Versöhnung im Land, der darauf basierte, muslimische Radikale zur Niederlegung ihrer Waffen zu überreden.

Aber wurde der islamistische Aufstand einst eingedämmt, sahen Bouteflika und die Streitkräfte später zu, wie er zu einer saharaweiten Extremistenbewegung mit Verbindung zu Schmuggel, Entführungen und zur Terrororganisation Al-Kaida metastasierte. Auch verfehlte es Bouteflika, eine Wirtschaft mit einem ausreichenden Jobangebot für Algeriens wachsenden Bevölkerungsanteil von jungen Leuten zu schaffen. Dabei ist das Land reich an Gas und Öl.

Spekulationen um seine Gesundheit seit 2005

Und als im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 Diktatoren stürzten, prallten verbreitete Rufe in der Region nach Wandel an ihm ab. Aber mit Hilfe von raschen Lohn-und Subventionserhöhungen und wachsamen Sicherheitskräften sowie dank einer gespaltenen Opposition blieb er an der Macht.

Spekulationen über seine Gesundheit gibt es seit 2005, als Bouteflika angeblich wegen eines blutenden Magengeschwürs ein Militärkrankenhaus in Paris aufsuchte. Zahlreiche weitere Klinikaufenthalte folgten, möglichst unauffällig. Im April 2013 kam es zu einem Schlaganfall.

Ganze Bereiche seines Lebens sind geheim gehalten worden. So weiss man nicht sicher, ob er jemals geheiratet hat und wenn ja, ob eine Algerierin, wie es die Verfassung des Landes für Staatsoberhäupter vorschreibt. Es gibt Berichte über eine heimliche Hochzeit 1990 mit der Tochter eines Diplomaten.

Die Brüder des Präsidenten. Said (rechts) und Nacer Bouteflika. Vor allem dem 61-jährige Said wird nachgesagt, dass er grossen Einfluss auf den Präsidentenapparat hat.
Die Brüder des Präsidenten. Said (rechts) und Nacer Bouteflika. Vor allem dem 61-jährige Said wird nachgesagt, dass er grossen Einfluss auf den Präsidentenapparat hat.
Keystone

Und inwieweit ist er politisch wirklich noch am Ruder? Vermutungen gehen dahin, dass der 61-jährige Saïd Bouteflika, sein Bruder und Berater, enormen Einfluss auf den Präsidentenapparat hat. Kritikern zufolge steht er im Zentrum eines Zirkels von Geschäftsleuten, die während Bouteflikas Herrschaft reich wurden.

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