Wer soll das bezahlen? Am Suezkanal stauen sich 400 Millionen Dollar – pro Stunde

Von Andreas Fischer

29.3.2021

Die «Ever Given» ist wieder frei, der Verkehr im Suezkanal wird wieder aufgenommen. Die finanziell stürmischen Zeiten stehen den Eignern des Container-Riesen noch bevor. 

Von Andreas Fischer

29.3.2021

Das im Suezkanal auf Grund gelaufene Riesen-Containerschiff «Ever Given» ist nach offiziellen Angaben wieder frei. Der Kanalbetreiber SCA teilte am Montag weiter mit, dass der Verkehr in der für die globale Schifffahrt so wichtigen Wasserstrasse wieder aufgenommen werde. Ein Reuters-Reporter sah, wie sich das Schiff bewegte. Ein sogenannter Schiffstracker und das ägyptische Fernsehen zeigten, dass sich der Frachter in der Mitte des Kanals befand.

Am Morgen hatte die niederländische Bergungsfirma nach ersten Erfolgsmeldungen noch vor verfrühter Euphorie gewarnt: Der Bug der «Ever Given» liege weiterhin «wie ein Wal auf dem Strand». Nun ist der Koloss von der Grösse des Empire State Building in New York City wieder frei.

Befürchtungen, dass die Geschichte des im Suezkanal gestrandeten Containerschiffes eine unendliche wird, haben sich also nicht bestätigt. Dennoch dauert es nach der Bergung wohl noch ein paar Tage, bis sich der Schiffs-Stau am Nadelöhr des Welthandels aufgelöst hat.

Bis es soweit ist, bleibt Zeit, ein paar Fragen zu beantworten: über die Lage von 130'000 Schafen, über Verantwortlichkeiten, internationale Verstrickungen und finanziell stürmische Zeiten nach der Havarie.

Was kostet die Havarie der «Ever Given» eigentlich?

Eines der weltgrössten Frachtschiffe

Die «Ever Given» fährt nach Informationen des Schiffsradars vesselfinder.com unter der Flagge Panamas. Sie sei aus China gekommen und auf dem Weg nach Rotterdam in den Niederlanden. Sie gehört zu den grössten Containerschiffen der Welt. Der Suezkanal verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer. 2020 durchfuhren nach Angaben der Suezkanal-Behörde fast 19'000 Schiffe den Kanal. Pro Tag sind das im Schnitt gut 50 Durchfahrten. (dpa)

Pro Tag passieren normalerweise Waren im Wert von rund 10 Milliarden US-Dollar den Suezkanal. Pro Stunde schippern also 400 Millionen US-Dollar durch den Sinai. Ein erkleckliches Sümmchen, das allerdings nicht gleichzusetzen ist mit Verlusten, wie manchmal behauptet wird. Die Waren sind nicht verloren, sie kommen nur verspätet an.

Preiswert ist der Stau am Suezkanal dennoch nicht: Nach Berechnungen von Europas grösstem Versicherer Allianz kostet er zwischen 6 und 10 Milliarden US-Dollar pro Woche.



«Die Blockade hat wirtschaftlich wirklich ganz gravierende Folgen, sie wirkt sich weltweit auf die Lieferketten aus, viele Unternehmen werden dadurch in Schwierigkeit kommen», sagt auch die Transportrechtlerin Dr. Julia Hörnig von der Erasmus-Universität im niederländischen Rotterdam.

Für Ägypten selbst ist der Suezkanal eine wichtige Einnahmequelle. Dem Land entgehen während der Schliessung zwischen 12 und 14 Millionen US-Dollar pro Tag. Da die Schiffe pro Durchfahrt bezahlen, werden die Ausfälle aber kompensiert, wenn der Kanal frei ist. Verluste gibt es nur durch die Schiffe, die von ihren Reedereien bereits auf den langen Weg um das Kap der Guten Hoffnung geschickt worden sind.

Das deutsche Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht in der Havarie eine «zusätzliche Belastung» für den maritimen Handel. Sie treibe tendenziell die Preise für den Seehandel nach oben, «was sich früher oder später auch in den Produktpreisen niederschlagen dürfte».

Und täglich grüsst die «Ever Given»: Das enorme Containerschiff ist seit Tagen ein vertrauter Anblick für die Bewohnenden eines Dorfes am Suezkanal.
Und täglich grüsst die «Ever Given»: Das enorme Containerschiff ist seit Tagen ein vertrauter Anblick für die Bewohnenden eines Dorfes am Suezkanal.
KEYSTONE/AP Photo/Mohamed Elshahed

Welche Waren stecken im Stau?

Alles möglich von Turnschuhen bis Rohöl. Während man mit dem Kauf von neuem Schuhwerk notfalls ein paar Tage warten kann, sieht es beim Öl etwas anders aus. In Syrien wurde der Verkauf von Treibstoff aufgrund ausbleibender Öllieferungen bereits rationiert. Bei Chips und Halbleitern werden Engpässe erwartet, wodurch sich mittelfristig die Lieferfristen für elektronische Geräte, aber auch Autos und E-Bikes verlängern werden.

Besonders prekär ist die Lage aber für Tiere, die mit den Schiffen transportiert werden. Wegen der Blockade des Suez-Kanals stecken derzeit auch elf rumänische Frachter mit lebenden Tieren an Bord fest, meldet die Nachrichtenagentur AFP. Dabei handele es sich um 130'000 Schafe. Die Transportfirmen hätten zwar versichert, «dass es ausreichend Nahrung und Wasser an Bord für die kommenden Tage gibt». Doch Tierschützer bezeichnen die Situation als «sehr bedrohlich» und befürchten eine «maritime Katastrophe für lebende Tiere in noch nie dagewesenem Ausmass».

Wer kommt für die Schäden auf?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Zunächst einmal: Die «Ever Given» ist nicht nur eines der grössten Containerschiffe der Welt, sondern auch ein multinationaler Seelenverkäufer. Ein kurzer Überblick: Werft und Eigner sind japanisch, die Charterfirma kommt aus Taiwan, die technische Betreiberfirma sitzt in Deutschland. Das Schiff fährt unter der Flagge Panamas, die Ladung stammt aus China. Die Versicherungsgesellschaft ist britisch. Die Crew schliesslich kommt aus Indien. Nicht zu vergessen: die ägyptischen Kanal-Lotsen und die niederländischen Bergungsspezialisten.

«Für die Bergung sind der Kapitän und die ägyptische Suezkanal-Behörde administrativ zuständig, der Schiffseigner rechtlich verantwortlich», erläutert Rechtsexpertin Julia Hörnig. Dafür komme die «Hull & Machinery»-Versicherung auf, eine Art Kaskoversicherung.



«Üblicherweise haben der Reeder und der Charterer auch eine sogenannte P&I-Versicherung für das Schiff, also ‹Protection and Indemnity›, eine Haftpflichtversicherung. Sie haftet für Schäden, die das Schiff verursacht», so Hörning. Etwa am Suezkanal selbst. Ob diese Versicherung auch für entgangene Durchfahrtsgelder aufkommt, sei allerdings fraglich.

Ebenso ungeklärt seien allfällige Regressfragen, etwa bei verspäteter Lieferung. Insbesondere bei verderblicher Ware «sind Regresse gegen den Transporteur, mit dem der Vertrag besteht, denkbar». Hörnig schätzt, dass «um die zehntausend Parteien» auf der «Ever Given» involviert sind, die sich in die 20'000 Standardcontainer eingemietet haben.

Ob man von Eigner und Charterer der «Ever Given» «gesamtschuldnerisch Schadenersatz» für Ausfälle durch den Schiffsstau verlangen kann, sei schwer abzusehen. Das werden Gerichte in den kommenden Monaten klären müssen.

Und wann «rollt» der Verkehr wieder?

Ab dem Zeitpunkt der vollständigen Bergung der «Ever Given» solle der Kanal sofort wieder «24 Stunden am Tag funktionieren», versprach Osama Rabie, Chef der ägyptischen Kanalbehörde (SCA), am Montag im ägyptischen Fernsehen. Er gehe davon aus, dass es rund dreieinhalb Tage dauere, bis alle wartenden Schiffe den Kanal passiert haben.

Laut Kanalbehörde stauen sich rund 370 Schiffe vor dem Nord- und Südeingang des Suezkanals, der Finanznachrichtendienst Bloomberg berichtet gar von 450 Schiffen. Normalerweise passieren etwa 50 Schiffe jeden Tag den Kanal. Um den Stau in der von Rabie angekündigten Zeit aufzulösen, müsste sich die Durchfahrtstaktung Stand heute ungefähr verdoppeln.

Transparenz: Bei der ersten Veröffentlichung des Artikels blockierte die «Ever Given» noch den Suezkanal. Mittlerweile ist das Schiff nach offiziellen Angaben geborgen worden, und der Kanal kann wieder befahren werden. Wir haben die entsprechenden Textstellen angepasst.
Mit Material von Keystone-SDA und AFP.