Late Night USA Amerika nicht verstehen – die Lage der Nation vor Muellers Showdown

Von Philipp Dahm

23.7.2019

Sonderermittler Robert Mueller steht heute im Fokus.
Sonderermittler Robert Mueller steht heute im Fokus.
Archivbild: Keystone

Gewiss, die Kolumne heisst «Late Night USA – Amerika verstehen». Trumps jüngste Taten werfen jedoch die Frage auf, wer noch nachvollziehen soll, was gerade in Washington geschieht – Robert Mueller jedenfalls nicht.

Es wird wohl Robert Muellers letzter öffentlicher Auftritt im Zusammenhang mit der Russland-Affäre sein: Am Mittwoch beginnt im Repräsentantenhaus um 14.30 Uhr unserer Zeit die Befragung des Sonderermittlers  – genauer gesagt im Rechtsausschuss unter dem demokratischen Vorsitzenden Jerry Nadler und im Geheimdienstausschuss, in dem Trump-Gegenspielerin Nancy Pelosi das Sagen hat.  

Fünf Stunden sind für das Frage- und Antwortspiel eingeplant, das im Fernsehen übertagen wird – Bars in Washington öffnen früher, dies in der Hoffnung, dass das Ereignis ähnliche viele Amerikaner beschäftigen wird wie einst die öffentliche Anhörung bei der Watergate-Affäre. Während die Demokraten ihre letzte Chance nutzen wollen, den Präsidenten womöglich via Amtsenthebungsverfahren zu Fall zubringen, hat der republikanische Justizminister William Barr Ermittler Mueller einen Maulkorb verpasst.

Per Brief wird Mueller am Montag ermahnt, nichts zu sagen, was über die nicht geschwärzten Teile seines Berichts hinausgeht. Sein früherer Sprecher Jim Popkin rechnet laut CNN dann auch nicht mit grossen Überraschungen: Der heutige Mueller-Marathon dürfte im Sande verlaufen. Dass es dieser Tage noch andere Themen gibt, die das Potenzial haben, die Vereinigten Staaten zu spalten, zeigen die folgende fünf Punkte.

1) A$ap, schwedische Gardinen und leere Versprechen

30. Juni 2019 in Stockholm: US-Rapper A$ap Rocky ist gerade auf Europatournee und gastiert in der schwedischen Hauptstadt, als der 30-Jährige und seine Entourage in eine Schlägerei verwickelt werden. Am 2. Juli werden A$ap und zwei seiner Freunde wegen schwerer Körperverletzung festgenommen: Der New Yorker sitzt seither in U-Haft, weil die Behörden fürchten, er könnte andernfalls das Land verlassen.

Am Freitag, den 19. Juli, schaltet sich Donald Trump ein, nachdem seine prominenten Fans Kanye West und Kim Kardashian ihn auf den Fall aufmerksam gemacht haben. Er verspricht, den «sehr talentierten Premierminister von Schweden [anzurufen], um zu sehen, was wir tun können». Am Samstag telefoniert der Republikaner dann mit Stefan Löfven.

Der 73-Jährige will dem Skandinavier gesagt haben (und teilt dies auch so mit), es bestünde keine Fluchtgefahr: Er würde sogar die Kaution für den Rapper stellen und habe eine faire Behandlung seines Landsmanns erreicht. Nicht zuletzt, weil der «afrikanisch-amerikanischen Gemeinde» das Schicksal des Mannes am Herzen liege, wie Trump es ausdrückt. Selbst seine Gattin Melania nehme Anteil an A$aps Schicksal.

Dumm nur, dass der schwedische Premier das Gespräch ganz anders darstellt: A$Ap Rocky werde keine Sonderbehandlung bekommen, betont Löfven noch am Samstag. Es sei «sicher positiv», dass Trump sich kümmere, doch er werde auch ihm beibringen, dass die Justiz des Landes unabhängig sei: «In Schweden sind vor dem Gesetz alle gleich. Das gilt auch für ausländische Besucher.»

Die Kaution kennt man in Schweden zudem nur aus US-Filmen: Es darf also bezweifelt werden, dass Trump Löfven wirklich angeboten hat, den Amerikaner freizukaufen. «Und wie verrückt ist es eigentlich, dass Kim und Kanye einen direkten Draht zum Präsidenten haben», feixt der Moderator von «Jimmy Kimmel Life». «Das ist, als hätte Lionel Richie George W. Bush angerufen, um ihm zu sagen, er solle sich aus dem Irak raushalten.»

Tatsächlich ist Trumps Engegement durchschaubar, findet Kimmel. «Seht: Ich bin kein Rassist, ich helfe A$ap Rocky!» Wer ab Minute 2:50 sieht, was der Mann im Weissen Haus noch über das Thema zu sagen hat, wird mit komischen Zitaten des Präsidenten und Kimmels süffisanten Kommentaren belohnt.

2) De facto steht Trump über dem Gesetz

Kein Wunder, dass Trump meint, Einfluss auf die schwedische Justiz nehmen zu können. Der US-Präsident selbst steht in Tat und Wahrheit nämlich über dem Gesetz. Das ist spätestens seit Robert Muellers erstem Auftritt klar.

Der 74-jährige FBI-Experte erklärte damals in die TV-Kameras, er könnte gegen den Amtsinhaber nicht ermitteln, weil schlicht die gesetzliche Grundlage fehle. Es geht aber auch noch sehr viel schräger, wie die Debatte um Trumps «Zurück in Eure Heimat»-Tweets Anfang der Woche gezeigt hat.

Als die Demokraten das Traktat über ihre vier Kolleginen als rassistisch brandmarken wollen, kramen die Republikaner uralte Regeln aus dem Zauberhut, die Politikern verbieten, den Präsidenten oder seine Handlungen im Kongress «rassistisch» zu nennen. Natürlich stammt diese Regel aus einer Zeit, in der es noch Sklavenhalter gab.

«Das ist Wahnsinn! Das Repräsentantenhaus könnte Trump noch nicht mal einen Rassisten nennen, wenn er mit einem Blackface in die Hauptstadt kommt und ‹My Niggers› sagt. Vielleicht wird das seine nächste Rede zur Lage der Nation, wenn er es rausfindet», lästert «Daily Show»-Frontmann Trevor Noah ab Minute 1:31 in dem sehenswerten Segment.

3) Vermischung von Amt und Business

Lassen wir Late-Night-Talker Seth Meyers hier übernehmen, der ab Minute 7:28 den «Kern des Trumpismus» zusammenfasst: «Er verheiratet Rassismus mit korrupter [Herrschaft des Geldes]. Sein Kabinett wird von Skandalen erschüttert, während er Steuererleichterungen für Reiche und Konzerne durchdrückt, Umweltvorschriften aufweicht und den Konsumentenschutz ausweidet. Und natürlich profitiert er selbst von der Präsidentschaft.»

Der folgende Einspieler erinnert daran, wie sich ein saudischer Geschäftsmann ganze 500 Zimmer in einem von Trumps Hotel mietete – Kostenpunkt 270'000 Dollar. Oder wie sich Manager der Deutschen Telekom für 52 Tage beim Hotel-Präsidenten einquartierten, um im Weissen Haus für gut Wetter zu sorgen. Und zuletzt wurde Ende Juni öffentlich, dass auch die Personenschützer vom Secret Service zahlen müssen, um ihrem Protagonisten nahe zu sein.

125'000 muss der Steuerzahler für deren Übernachtungen im Trump-Gastgewerbe löhnen. Hinzu kommen Unterbringung inklusive Flüge ins Mar-a-Lago und zu anderen Golfplätzen, deren Kosten sich laut CNN auf 102 Millionen Dollar belaufen – ohne dass dabei die Gebaren von Trumps Kindern oder seinem Schwiegersohn Jared Kushner unter die Lupe genommen worden sind.

«Die Präsidentschaft hat Trump also nicht nur ermöglicht, straffrei Verbrechen zu begehen, sondern auch, sich persönlich zu bereichern. [Seine] Basis feiert seinen offenen Rassismus, während er die Regierung ausplündert, Gefälligkeiten verteilt und seinen reichen Freunden die Steuerlast nimmt. Wer weiss, ob er sich für diese Verbrechen jemals verantworten muss?»

4) Trump traut sich was bei der Braut

PJ Mongelli und Nicole Marie Mongelli sind verliebt – und seit 2017 auch verlobt. Den Antrag machen sie dort, wo sie am vergangenen Samstagabend auch Hochzeit feiern: im Trump National Golf Club Bedminster in New Jersey.

Da sich das Duo für seine Trauung diesen Ort ausgesucht hat, verwundert es nicht, dass die beiden Fans des Präsidenten sind und mehrfach um seine Anwesenheit gebeten haben, berichtet «Fox». Und dann kommt er doch tatsächlich auch: Das Quieken und Kreischen der Hochzeitsgesellschaft erweckt den Eindruck, als sei gerade Justin Bieber hereingekommen. Die Menge geht schliesslich in den bewährten «USA-USA»-Chor über.

Patriotisches Glück: Trump mit den frischgebackenen Eheleuten.
Patriotisches Glück: Trump mit den frischgebackenen Eheleuten.
Screenshot: YouTube

Trumps rechte Hand dringt beim Umarmen der Braut beinahe in einen Bereich vor, in dem keine Männerhand – ausser der des Bräutigams – sein sollte. Der Präsident als Popstar der national Beseelten, der mit ausgestrecktem Arm in die Menge zeigt. Eine feine Hochzeitsgesellschaft hat sich da eingefunden – aber wer kommt bei dieser amerikanischen Gesellschaftsgemengelage eigentlich noch hinterher? 

5) Was (und wer) ist amerikanisch? Was nicht?

Der Wahlkampf 2020 ist eröffnet – und Trump setzt auf Nationalismus als Joker. Was dabei national ist, was patriotisch und was und vor allem wer antiamerikanisch ist, will der 73-Jährige allein definieren.

Über Trumps Tweets über die politischen Gegnerinnen wurde bereits viel geschrieben, und der Verfasser der beleidigenden Zeilen betont seither auffallend oft, wie wichtig ihm die «african american community» sei und das man man ja «eine Nation» sei. Das hindert ihn aber dennoch nicht daran, den Demokratinnen abzusprechen, dass sie ihr Land lieben.

Oder er erzählt, er sei nicht glücklich über die «Send her back»-Rufe bei seinem Wahlkampfauftritt in North Carolina – nur um im nächsten Tweet den Rassismus der Menge wieder als «gewaltigen Enthusiasmus» zu verklären.

Dabei ist die Unsicherheit gewollt: Sie ist der entscheidende Faktor, der Trump das politische Überleben sichern soll. Zum Beispiel in der Aussenpolitik: Einstige Feinde wie Russland und Nordkorea sind plötzlich Freunde, während die Nato als ein Auslaufmodell behandelt wird.

Gerade hat sich der New Yorker auch noch zu Afghanistan geäussert: «Ich hätte Afghanistan in einer Woche gewonnen, aber ich wollte nicht zehn Millionen Menschen töten. Ich hätte Afghanistan vom Gesicht der Erde tilgen können.» 

In der Innenpolitik dasselbe widersprüchliche Bild: Die liberale Marktwirtschaft wird durch Protektionismus ersetzt. Das Einwanderungsland schickt sich an, Migration zum Wahlkampfthema zuzuspitzen – «The land of the free» droht so, zur Randnotiz der US-Geschichte zu verkommen. 

Fazit: Es ist dieser Tage nicht mehr so einfach, Amerika zu verstehen – Late-Night-Kolumne hin oder her. Und das wird auch Robert Mueller heute nicht ändern.

Late Night USA – Amerika verstehen



50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten die wohl beste Navigationshilfe: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

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