Amnesty-Statistik Zahl der Hinrichtungen steigt um 20 Prozent

Von Jörg Blank, dpa

23.5.2022 - 23:55

Protest gegen die Todesstrafe in Singapur: Im Stadtstaat gab es 2021 keine Hinrichtungen.
Protest gegen die Todesstrafe in Singapur: Im Stadtstaat gab es 2021 keine Hinrichtungen.
Keystone

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verzeichnet für das vergangene Jahr eine besorgniserregende Zunahme von Hinrichtungen und Todesurteilen. Ein Land steht besonders im Fokus.

23.5.2022 - 23:55

Die Zahl der weltweit dokumentierten Hinrichtungen ist im Jahr 2021 um rund 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen – ein Grund dafür sind auch Lockerungen von Corona-Beschränkungen. Nach den am Dienstag veröffentlichten Jahreszahlen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurde die Todesstrafe in 18 Ländern mindestens 579 Mal vollstreckt.

Der Anstieg war demnach in erster Linie auf den Iran zurückzuführen. Dort stieg die Zahl der Hinrichtungen von mindestens 246 im Jahr 2020 auf mindestens 314 im Jahr 2021 – ein Anstieg von 28 Prozent. Die Zahl der erfassten Todesurteile wuchs im Vergleich zum Vorjahr sogar um fast 40 Prozent auf mindestens 2052 in 56 Ländern.

Die Länder mit den höchsten bekannt gewordenen Hinrichtungszahlen sind nach Amnesty-Angaben China, Iran, Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien. In der Statistik sind Tausende von Todesurteilen nicht berücksichtigt, von denen Amnesty International annimmt, dass sie in China verhängt und vollstreckt wurden.

China mit den meisten Hinrichtungen

China blieb demnach das Land, in dem weltweit die meisten Hinrichtungen stattgefunden haben. Sowohl die Geheimhaltung in Nordkorea und Vietnam als auch der beschränkte Zugang zu Informationen in anderen Ländern hätten eine vollständige Beurteilung der globalen Entwicklung weiterhin behindert. Unter den 579 Personen, von denen bekannt ist, dass sie 2021 hingerichtet wurden, waren 24 Frauen (4 Prozent) – 8 in Ägypten, 14 im Iran und je eine Frau in Saudi-Arabien und den USA.

Protest gegen die Todesstrafe in Arizona: 2021 wurden zwei Personen hingerichtet.
Protest gegen die Todesstrafe in Arizona: 2021 wurden zwei Personen hingerichtet.
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Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus Beeko, kritisierte, für den Anstieg der Zahl von Hinrichtungen sei weiterhin die kleine Gruppe unbelehrbarer Staaten verantwortlich, «die an diesen grausamen und unmenschlichen Tötungen festhält, unter anderem Iran und Saudi-Arabien, die staatliche Exekutionen im letzten Jahr stark ausgeweitet haben».

Auch in den ersten Monaten des Jahres 2022 habe sich dieser Trend fortgesetzt. So habe Saudi-Arabien im März an einem einzigen Tag 81 Menschen hinrichten lassen. Die Zahl der Hinrichtungen im Iran war die höchste nach 2017. 132 Menschen wurden wegen Drogendelikten hingerichtet – das entspricht 42 Prozent der Exekutionen und einem Anstieg auf das beinahe Fünffache im Vergleich zu den 23 Exekutionen, die es 2020 aus diesem Grund gegeben hatte, schreibt Amnesty.

Mehr Tötungen seit Pandemie-Ende

In Iran sei die Todesstrafe zudem unverhältnismässig häufig gegen Angehörige ethnischer Minderheiten wegen vager Anklagen wie «Feindschaft zu Gott» und als Mittel zur politischen Unterdrückung eingesetzt worden, schreibt Amnesty.

Als ein Grund für die signifikant höheren Zahlen von Hinrichtungen in einigen Ländern wird von Amnesty genannt, dass Einschränkungen wegen der Covid 19-Pandemie vollständig oder teilweise aufgehoben wurden und alternative Abläufe eingeführt worden seien. Zu diesen Ländern zählten Bangladesch, Indien und Pakistan. Aus Singapur sei dagegen zum zweiten Mal in Folge ein hinrichtungsfreies Jahr gemeldet worden.

Trotz Rückschlägen zeigten positive Entwicklungen, dass der Trend nach wie vor in Richtung Abschaffung der Strafe gehe, berichtet Amnesty International. Obwohl die Zahl der Hinrichtungen insgesamt anstieg, sei die globale Gesamtzahl auf einem historisch betrachtet niedrigen Niveau geblieben.

Indien, Taiwan und Katar ohne Hinrichtungen

Aus Indien, Katar und Taiwan – alles Länder, die im Vorjahr noch Menschen hingerichtet hatten, seien keine Exekutionen bekannt. Nach einer mehrjährigen Unterbrechung hätten dagegen drei Länder die Hinrichtungen wieder aufgenommen: In Belarus und Japan gab es die ersten Hinrichtungen seit 2019, in den Vereinigten Arabischen Emiraten die ersten seit 2017.

In den USA wurden in Mississippi und Oklahoma zum ersten Mal seit 2012 beziehungsweise 2015 wieder Menschen exekutiert. Die US-Regierung hatte im Juli ein vorübergehendes Moratorium für Hinrichtungen auf Bundesebene verhängt. 2021 markierte die niedrigste Hinrichtungszahl in den USA seit 1988.

Deutliche Anstiege der Zahl der Hinrichtungen seien in Somalia (von mindestens 11 im Jahr 2020 auf mindestens 21 im Jahr 2021), in Südsudan (von mindestens zwei im Jahr 2020 auf mindestens neun im Jahr 2021) und in Jemen (von mindestens fünf im Jahr 2020 auf mindestens 14 im Jahr 2021) verzeichnet worden, schreibt Amnesty.

Syrien rückt auf Platz 5 vor

Einen Rückgang der Zahl der Hinrichtungen um 22 Prozent (mindestens 83) beobachtete Amnesty International in Ägypten. Noch 2020 hatte sich in dem Land die Zahl der Exekutionen auf mindestens 107 verdreifacht. Zugleich schreibt Amnesty, die Todesstrafe sei in Ägypten 2021 weiterhin extensiv angewendet worden. Dies sei auch auf der Basis von durch Folter erpressten Aussagen sowie durch Massenhinrichtungen geschehen. 

Im Irak ging die Zahl um 62 Prozent zurück, von mindestens 45 im Jahr 2020 auf mindestens 17 im Jahr 2021. In den USA sank die Zahl um 35 Prozent, sie betrug 17 im Jahr 2020 und 11 im Jahr 2021.

In Saudi-Arabien hat sich die Zahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen nach Angaben der Organisation von 27 auf 65 mehr als verdoppelt. Syrien exekutierte bei einer Massenhinrichtung im Oktober 2021 24 Menschen. Damit rückte der Staat an die fünfte Stelle weltweit, was die Hinrichtungszahl im Land anging.

Ein alarmierender Anstieg bei der Anwendung der Todesstrafe unter Kriegsrecht verzeichnet Amnesty in Myanmar. Fast 90 Menschen seien willkürlich zum Tode verurteilt worden, mehrere in Abwesenheit. Dies werde allgemein als Massnahme gegen politische Gegner und Protestierende angesehen.

Von Jörg Blank, dpa