Deutschland Atombombenopfer appellieren an G7: Kein Frieden mit Nuklearwaffen

SDA

18.5.2023 - 05:36

Die Skyline von Hiroshima, Stadt des ersten Atombombenabwurfs im Süden von Japan. Ab Freitag treffen sich dort die Regierungschefs der G7-Staaten zu einem Gipfeltreffen. Foto: Michael Kappeler/dpa
Die Skyline von Hiroshima, Stadt des ersten Atombombenabwurfs im Süden von Japan. Ab Freitag treffen sich dort die Regierungschefs der G7-Staaten zu einem Gipfeltreffen. Foto: Michael Kappeler/dpa
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Den gespenstischen Anblick inmitten glühend heisser Trümmer wird Kunihiko Iida nie vergessen.

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«Bei Menschen, deren Körper vor ihren Häusern der Atombombe ausgesetzt waren, ist die Kleidung verbrannt und die Haut, die sich ablöste, ist auch weg», erinnert sich der 80-Jährige an jenen Morgen des 6. August 1945, als der US-Bomber «Enola Gay» eine Atombombe auf Hiroshima abwarf. Inmitten verkohlter Leichen irren Menschen, die nicht auf einen Schlag ums Leben kamen, durch das Inferno. «Wenn man die Arme senkt, kleben die Arme und der Bauch aneinander. So müssen sie wie Gespenster gehen, um überhaupt noch laufen zu können», schildert Iida die grauenvolle Szene. «Am nächsten Tag waren die meisten von ihnen bereits tot».

Bei dem Gipfel der sieben grossen Wirtschaftsmächte (G7) in Hiroshima gedenken Kanzler Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden und die anderen Staats- und Regierungschefs am Freitag der Hunderttausenden Toten des ersten Atomschlags in der Weltgeschichte. Nach einem Besuch im Friedensmuseum legen sie am Mahnmal Kränze nieder, machen dort ihr traditionelles «Familienfoto», pflanzen Bäume. Mit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und den kaum verhohlenen Drohungen von Präsident Wladimir Putin mit einem möglichen Atomwaffeneinsatz gewinnt dieser Ort des Schreckens eine ganz aktuelle Brisanz.

Wie durch ein Wunder wurde der damals dreijährige Iida aus den Trümmern gerettet. «Das Trauma, lebendig begraben zu sein, hat mich bis heute nicht losgelassen, obwohl ich schon über 80 Jahre alt bin», erzählt Iida der Deutschen Presse-Agentur in Hiroshima. Sein Vater war in der Schlacht um Okinawa gefallen, als er zwei Jahre alt war. Nach dem Abwurf der Atombombe trug ihn seine erst 25 Jahre alte Mutter zusammen mit seiner vier Jahre alten Schwester mit letzter Kraft auf dem Rücken ins Umland. Mutter und Schwester verloren ihre Haare, dann starben sie. Die Grossmutter hielt Iida mit Süsskartoffeln und Schnecken am Leben. Dann starb auch sie. Iida wurde zum Waisen.

Der Japaner wird nicht müde, den nachfolgenden Generationen über das Grauen von damals zu berichten, damit es nie wieder zum Krieg kommen möge. Doch zum ersten Mal in all den vergangenen Jahrzehnten beschleicht ihn wie auch andere Menschen in Hiroshima angesichts des Ukraine-Krieges und den Drohungen mit Atomwaffen die Furcht, dass es dazu eines Tages wieder kommen könnte.

An Kanzler Scholz und seine G7-Kollegen hat Iida einen Wunsch: «Zunächst möchte ich, dass sie in Hiroshima die wahre Tragödie des Atombombenabwurfs sehen. Und dann einen Kurs zur Schaffung von Frieden entscheiden», sagt er. «Wenn sie die wahre Tragödie des Atombombenabwurfs sehen, werden sie natürlich verstehen, dass es keinen Frieden gibt ohne die Abschaffung der Atomwaffen, denn die gegenwärtigen Atombomben sind mehr als zehnmal verheerender.»

Doch die Wirkung der Augenzeugenberichte und Appelle der «Hibakusha» (Bombardierte) genannten Überlebenden wie Iida lässt langsam nach. Viele von ihnen ahnen, dass sie die Abschaffung der Atomwaffen wohl der nächsten Generation werden überlassen müssen. Jüngeren Menschen wie Miho Tanaka. Die Japanerin vertritt eine kleine Gruppe junger Landsleute, die sich für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen und zu diesem Zweck Parlamentariern ihres Landes zur Rede stellen.

Doch leider mache sich Japans jüngere Generation «nicht wirklich» Gedanken über die Nuklearproblematik und die Weltlage, sagt Tanaka und beklagt politische Apathie. «Sie haben nicht das Gefühl, dass es etwas mit ihrer Situation, ihren Problemen zu tun hat». Viele Bewohner Hiroshima beschäftige mehr die Einschränkungen ihres Alltags während des G7-Gipfels wie Strassensperren als der Gipfel selbst, beklagt die Journalistin und Anti-Atomaktivistin Sonoko Miyazaki.

«Ich würde es begrüssen, wenn die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Staaten, einschliesslich derjenigen, die über Kernwaffen verfügen, in Hiroshima einzeln zusammentreffen könnten, um konkret zu erörtern, welche konkreten Schritte zur Abschaffung von Kernwaffen unternommen werden sollten», so Miyazaki, deren Grosseltern 1945 Opfer des Atombombenabwurfs wurden.

Ihre Mitstreiterin Tanaka hofft, «dass der G7-Gipfel den Staats- und Regierungschefs die Gelegenheit bietet, darüber nachzudenken, wie verheerend die Atomwaffen für uns sind». Für den heute 80-Jährigen Iida ist der Schrecken heute immer noch nicht vorbei. Er leidet weiter unter den physischen und psychischen Folgen des Atombombenabwurfs. 2017 wurde er erstmals wegen eines Gehirntumors operiert. «Ich habe im Moment drei weitere Tumore in meinem Gehirn», sagt der Japaner und senkt seinen Blick.