Extreme GläubigkeitAttentäter von Wien galt für Betreuer als radikal
SDA
5.11.2020 - 04:43
Der islamistische Attentäter von Wien ist seinem Betreuer vor der Tat wegen seiner extremen Gläubigkeit als radikal aufgefallen. Hinweise auf die Bluttat habe es allerdings nicht gegeben.
Der Betreuer des Attentäters von Wien hat diesen wegen dessen extremer Gläubigkeit als radikal eingestuft. Die Betreuung fand im Rahmen des Deradikalisierungsprogramms Derad statt. Die Angaben machte Derad-Mitbegründer Moussa Al-Hassan Diaw gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Wien.
Hinweise auf eine bevorstehende Bluttat habe es dabei allerdings nicht gegeben. Ein Bericht über die Einschätzung sei wie üblich an die Justizbehörden übermittelt worden. Als deradikalisiert habe er, anders als vom Innenministerium betont, nie gegolten.
Panne bei den Sicherheitsbehörden?
Drei Tage nach dem Terroranschlag in einem Ausgehviertel der österreichischen Hauptstadt stehen zunehmend mögliche Pannen der Sicherheitsbehörden im Fokus. Ein 20-jähriger vorbestrafter IS-Sympathisant tötete am Montagabend vier Menschen und verletzte mehr als 20, bevor er selbst durch Polizeischüsse starb.
Das österreichische Parlament kommt am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen, in der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadič (Grüne) Erklärungen abgeben wollen.
Fragen drehen sich unter anderem um einen versuchten Munitionskauf des späteren Täters in der Slowakei, über den die österreichische Polizei informiert war. Ausserdem ist die vorzeitige Entlassung des Mannes, der nach einer versuchten Ausreise zur Terrormiliz IS nach Syrien eine 22-monatige Haftstrafe verbüssen sollte, zum Thema geworden. Nehammer betonte, dass es dem 20-Jährigen perfekt gelungen sei, seine Betreuer im Deradikalisierungsprogramm zu täuschen.
Betreuer gab nie Entwarnung
«Es gab keine Täuschung, weil unser Mitarbeiter zu keinem Zeitpunkt gesagt hat, dass der Mann deradikalisiert ist», sagte dagegen Derad-Mitbegründer Moussa Al-Hassan Diaw. Das Justizministerium erklärte, dass die Entlassung auf Bewährung nach zwei Dritteln der Strafe die einzige Möglichkeit war, dem 20-Jährigen die Teilnahme an dem Deradikalisierungsprogramm für drei Jahre zur Auflage zu machen. Hätte er seine vollständige Strafe bis Juli verbüsst, wäre eine solche Massnahme nicht möglich gewesen.
Diaw berichtete, dass der 20-Jährige sich laut seinem Betreuer verändert und trotz Religiösität starke Zweifel an seinem eigenen rechten Glauben entwickelt habe. «Diese Selbstzweifel führen auch sehr oft zu Verzweiflung», sagte Diaw. Manche Betroffenen beteten dann noch intensiver, während andere zu Taten schritten oder aus dem Leben scheiden wollten. Der Betreuer habe das in einem seiner letzten Berichte vor der Tat festgehalten. «Diese Sachen sind ihm aufgefallen. Was keinem aufgefallen ist, ist, dass er plant, in den nächsten Tagen vor Beginn des Lockdowns eine Bluttat zu begehen.»
Justizbehörde wusste Bescheid
Die Berichte über den Täter gingen an die Justizbehörde. Für die habe der österreichische Verfassungsschutz wiederum Kontaktbeamten, sagte Diaw. Die direkte Zusammenarbeit der NGO mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) habe 2018 aufgehört. «Warum, wissen wir bis heute nicht», sagte Diaw. Dennoch sei Derad mit dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz in regelmässigem Kontakt. Gefahr in Verzug oder hochgefährliche Einstellungen würden den Behörden gemeldet.
Zu der Frage, ob die Verfassungsschützer den 20-Jährigen nach seiner Entlassung im Visier hatten, hat das Innenministerium bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen. Ressortchef Karl Nehammer bestätigte am Mittwoch Erkenntnisse, wonach der spätere Attentäter im Juli mit einem anderen Mann in die Slowakei gefahren war, um Munition zu kaufen. Nach einem der Nachrichtenagentur APA vorliegenden internen Schreiben des slowakischen Innenministeriums informierten die Behörden am 23. Juli ihre Kollegen in Wien.
Fehler in der Kommunikation?
Die österreichische Polizei habe am 10. September geantwortet und einen der beiden Kaufinteressenten als den wegen Terrorismus vorbestraften späteren Attentäter identifiziert. Ausserdem wurde das Auto der Mutter eines für seine «positive Einstellung zum Dschihad und zum Islamischen Staat» bekannten 21-Jährigen zugeordnet, heisst es demnach.
«In den weiteren Schritten ist hier offensichtlich in der Kommunikation etwas schiefgegangen», sagte Nehammer am Mittwoch. Was mit dieser Information passierte, soll eine unabhängige Untersuchungskommission klären.
Die Sicherheitsbehörden gehen mittlerweile davon aus, dass der 20-Jährige den Angriff als alleiniger Täter ausführte. In seinem Umfeld wurden am Dienstag 14 Verdächtige festgenommen, zu deren möglicher Kenntnis oder Beteiligung nun weiter ermittelt werden soll.
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