Krise in Kasachstan Putin spricht mit Kasachstans Staatschef

dpa

8.1.2022 - 15:21

Die autoritär regierte Ex-Sowjetrepublik kommt seit gut einer Woche nicht zur Ruhe. Auch das Militär ist im Einsatz. Medien berichten von Explosionen in Almaty.

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Angesichts der Krise in Kasachstan hat Russlands Präsident Wladimir Putin Kremlangaben zufolge ein langes Telefonat mit dem kasachischen Staatschef Kassym-Schomart Tokajew geführt.

Putin unterstütze den Vorschlag Tokajews, in den kommenden Tagen einen Videogipfel mit den Staats- und Regierungschefs eines von Russland geführten Militärbündnisses abzuhalten, hiess es in einer Kreml-Mitteilung vom Samstag. Auch der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte am Samstagmorgen mit Tokajew telefoniert.

Tokajew hatte überraschend das Militärbündnis um Unterstützung gebeten. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit entsandte nach eigenen Angaben insgesamt 2500 Soldaten der Bündnispartner nach Kasachstan, darunter russische Fallschirmjäger. Das löste im Westen Sorgen aus.

Dazu sagte der Osteuropa-Experte Alexander Libman von der Freien Universität Berlin dem Portal «Watson»: «Ich bin erschüttert darüber, wie schnell Kasachstan um militärische Hilfe bat – und wie schnell es sie auch bekam.» Russlands Präsident Wladimir Putin nutze die Lage. «Aber ich kann noch nicht nachvollziehen, von wessen Seite die Initiative kommt. Es sieht nicht so aus, als käme sie von Russland, weil Kasachstan sehr souverän war und immer aufgepasst hat, eine Abhängigkeit von Russland zu vermeiden.»

Asamat Abdymomunow entlassen

Unterdessen baut Kasachstans Präsident die autoritäre Staatsführung weiter um. Am Samstag entliess er den stellvertretenden Sekretär des einflussreichen Sicherheitsrates, Asamat Abdymomunow, wie das kasachische Staatsfernsehen berichtete. Tokajew hatte zuvor bereits seinem Vorgänger, dem ersten kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, den mit grosser Machtfülle ausgestatteten Vorsitz in dem Gremium entzogen – und ihn selbst übernommen. Abdymomunow war Angaben des Präsidialamtes zufolge vor mehr als sechs Jahren von Nasarbajew zum Vize-Sekretär ernannt worden.

Lage bleibt unübersichtlich

Die Lage in der von Ausschreitungen schwer erschütterten Republik Kasachstan in Zentralasien bleibt unübersichtlich. Das Staatsfernsehen meldete in der Nacht zum Samstag, dass die Sicherheitskräfte in mehreren Städten des Landes weiter gegen Demonstranten vorgingen.

Diese Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Einsätze konzentrierten sich zuletzt auf die Millionenstadt Almaty, in der es seit Tagen Unruhen gibt.

An mindestens zwei Plätzen der Wirtschaftsmetropole gab es dem Portal Vlast.kz zufolge Schiessereien. Es sei zudem zu Explosionen gekommen. Augenzeugen hätten von einem brennenden Auto berichtet. Sicherheitskräfte patrouillierten in gepanzerten Fahrzeugen. Auch in der Nacht drangen unabhängige Informationen von dort nur spärlich ins Ausland. Das Internet war zumindest zeitweise abgeschaltet. Ausländer werden derzeit nicht in die Ex-Sowjetrepublik gelassen.

Das an Öl- und Gasvorkommen reiche Land an der Grenze zu China erlebt seit Tagen die schwersten Ausschreitungen seit Jahren. Auslöser der Unruhen in der autoritär regierten Republik war vor gut einer Woche Unmut über gestiegene Gaspreise. Die Demonstrationen schlugen in – auch gewaltsame – Proteste gegen die Staatsführung um. Viele Menschen sind frustriert über Korruption und Machtmissbrauch im Land.

Mehr als 4400 Festnahmen

Bislang sind nach staatlichen Angaben bislang insgesamt mehr als 4400 Menschen festgenommen worden. Das berichtete das Staatsfernsehen am Samstag unter Berufung auf das Innenministerium des zentralasiatischen Landes. Der Präsident der autoritär geführten Republik, Kassym-Schomart Tokajew, ordnete einen Tag Staatstrauer an. Am Montag solle «der vielen Opfer der tragischen Ereignisse in einigen Landesteilen» gedacht werden, berichteten mehrere kasachische Staatsmedien am Samstag.



PräsidentTokajew sprach am Freitagabend von bis zu 20’000 «Terroristen», die in Almaty in mehreren Wellen angriffen. Die «Banditen und Terroristen» seien gut ausgebildet und organisiert.

Das Staatsfernsehen berichtete am Freitag, dass bereits 26 Demonstranten getötet worden seien. Befürchtet wurde, dass es nun noch viele weitere zivile Todesopfer geben könnte. Offiziellen Angaben zufolge starben bislang auch mindestens 18 Polizisten und Soldaten.

Schiessbefehl gegen Demonstranten

Präsident Tokajew hat den Sicherheitskräften einen Schiessbefehl gegen Demonstranten erteilt. Er verteidigte dies in der Nacht bei Twitter, es werde keine Gespräche mit «Terroristen» geben, die Menschen getötet und Gebäude angezündet hätten.

Das Vorgehen löste im Westen Besorgnis aus. In Berlin rief Kanzler Olaf Scholz zu einem Ende der Gewalt auf. Er appellierte an die autoritäre Führung in Nur-Sultan: «Bitte kommt zurück zu einer friedlichen Weiterentwicklung im Land.»

Wegen des Konflikts stoppt die Bundesregierung Exporte von Rüstungsgütern in die frühere Sowjetrepublik. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die notwendigen Schritte ergriffen, damit Ausfuhren solcher Waren nach Kasachstan nicht mehr erfolgen. Im vergangenen Jahr wurden demnach 25 Genehmigungen für Exporte von Rüstungsgütern nach Kasachstan mit einem Gesamtwert von rund 2,2 Millionen Euro erteilt.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, das Bündnis und seine Mitgliedstaaten seien sehr besorgt und bedauerten die Todesfälle. Es sei wichtig, dass die Gewalt ende und dass Menschenrechte respektiert würden. Dazu zählte er das Recht auf friedliche Demonstrationen.

Unmut gegen Ex-Machthaber

Der Unmut der Demonstranten richtete sich auch gegen den autoritären Ex-Langzeit-Machthaber Nursultan Nasarbajew. Der heute 81-Jährige trat zwar 2019 zurück. Er galt aber weiterhin als mächtigster Mann im Staat. Tokajew setzte ihn am Mittwoch als Chef des Sicherheitsrats ab. Nasarbajew hat seine Heimat einem Sprecher zufolge trotz der Unruhen nicht verlassen. «Der Führer der Nation hält sich in Kasachstans Hauptstadt Nur-Sultan auf», schrieb Ajdos Ukibaj am Samstag auf Twitter. Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, der 81-Jährige habe Kasachstan verlassen. Nasarbajew stehe in direktem Kontakt zu Tokajew, schrieb Ukibaj.

Kasachstan zählt zu den wichtigsten Rohöllieferanten Deutschlands und der EU. Tokajew schrieb in der Nacht an die Adresse der Wirtschaft im Ausland: «Die Politik der offenen Türen für ausländische Direktinvestitionen wird eine Kernstrategie Kasachstans bleiben.»