Lagebild UkraineBachmut bröckelt: «Sie rücken über die Leichen ihrer Brüder vor»
Von Philipp Dahm
1.3.2023
Schlacht um Bachmut
In der Siedlung Tschassiw Jar in der Nähe der ostukrainischen Stadt Bachmut schlagen seit Tagen russische Granaten ein. Es könnte sein, dass die ukrainischen Soldaten, die hier noch die Stellung halten, bald auf verlorenem Posten stehen. Nach Einschätzung von ukrainischen Militärexperten haben die russischen Streitkräfte bei der Umzingelung Bachmuts Fortschritte erzielt.
02.03.2023
Russland setzt weiter auf Wellen von Infanteristen: Während Wuhledar nicht nur für Soldaten, sondern auch für Panzer zur Todesfalle geworden ist, setzen sich russische Truppen bei Bachmut langsam durch.
Von Philipp Dahm
01.03.2023, 18:04
Philipp Dahm
Das Wetter in der Ukraine verwandelt die Schlacht- in Schlammfelder. Die russischen Angreifer versuchen, mit ihrem numerischen Vorteil bei den Soldaten auf breiter Front Druck auszuüben.
Over the month of February 🇷🇺 increased the area of land they control in Ukraine by approximately 85km².
This equates to a total of ~16.67% of Ukraine being occupied by 🇷🇺 forces, a 0.01% increase since the end of January. pic.twitter.com/Ply7PQuvPC
Im Norden deckt die Artillerie weiter die Zufahrtswege nach Kupjansk mit Granaten ein – entweder um einen eigenen Vorstoss vorzubereiten oder um ukrainische Truppen auszubremsen.
Weiter südlich versucht Moskaus Militär, an Sewersk heranzurücken: Das Bollwerk, das den Weg zu den Schlüsselstädten Lyssytschansk und Slowjansk versperrt, wird vom Süden über Soledar, vom Norden von Kreminna sowie vom Osten her angegriffen, wo die Verteidigung in Bilohoriwka und Spirne den Attacken aber angeblich standhält.
Prekärer scheint dagegen die Lage in Bachmut zu sein: Obwohl die Verteidiger einen Damm gesprengt und Gegenoffensiven gestartet haben, ist die Gegenseite an einem kritischen Punkt angekommen: Die russischen Truppen sind im Norden von Bachmut so weit vorgerückt, dass sie nur noch ein Kilometer von der letzten offenen Verbindungsstrasse in die belagerte Stadt trennt.
Bachmut: Letzte Verbindungsstrasse droht auszufallen
Theoretisch kann Bachmut noch über die Felder westlich der Stadt erreicht werden, doch die stetig steigenden Temperaturen und Niederschläge machen den Boden kaum noch passierbar. «Russland schert sich nicht um seine Leute», beschreibt Wolodymyr Selenskyj die Lage. «Sie müssen permanent unsere Positionen stürmen. Die Intensität der Kämpfe wächst immer mehr.»
Der Kreml setzt seine Wellen-Taktik fort, bestätigt der ukrainische Generaloberst Oleksandr Syrskyj: «Obwohl es signifikante Verluste gab, hat der Feind seine besten Wagner-Angriffseinheiten abgestellt, um unsere Verteidigung zu durchbrechen und die Stadt einzukreisen.» Dabei stossen kleine Trupps rekrutierter Sträflinge vor – und die Profis rücken nach, wenn jene eine Lücke finden.
In den Vororten liefern sich die Kriegsparteien Häuserkämpfe, bestätigt Andriy Babich von der 93. Selbständigen mechanisierten Brigade am 1. März in einem Video von der Front. «Niemand geht irgendwohin», beschwört er. «Wir halten stand.» Generaloberst Syrskyj kündigt an, frische Kräfte nach Bachmut zu senden. Ob sie rechtzeitig kommen und die Angreifer tatsächlich auch zurückwerfen können, scheint fraglich.
Todeszone Wuhledar
Während Russland in Bachmut zumindest kleine Fortschritte macht, ist ein Vorankommen bei Wuhledar nicht absehbar. Weil das Gelände grossflächig vermint ist, sieht man immer wieder Videos wie das unten stehende, die zeigen, wie russische Panzer unbeirrbar in die Sprengfallen fahren.
Dabei wird auf diesem Wege nicht einmal eine sichere Passage geschaffen: Weil die ukrainische Artillerie Geschosse verschiessen kann, die neun Minen im Zielgebiet streuen können, muss Moskau an diesem Frontabschnitt die Zerstörung besonders vieler Fahrzeuge hinnehmen.
Die Nachteile kontert der Kreml auf dieselbe Art wie in Bachmut. «Sie kommen und kommen», sagt ein Ukrainer in Wuhledar zu Sky News. «Sie stoppen nicht. Sie rücken über die Leichen ihrer Brüder vor, und es sterben einfach mehr und mehr. Sie halten nicht an.» «Da sind viele, die stürmen», bestätigt ein anderer Soldat. «Aber im Moment kommen wir klar.»
«Wenn der Panzer schiesst, schlägt es gleich ein»
Für Wladimir Putins Infanteristen ist Wuhledar eine Todeszone. Die kleine Bergarbeiterstadt und die dazugehörige Miene liegen gegen Süden leicht erhöht. Moskau ebnet nun mit Artillerie und Mörsern die Hochhäuser des Ortes ein, um den Höhenvorteil der Verteidiger zu schmälern.
Und dann ist da noch der Schlamm, der als Hürde in einer Wuhledar-Reportage von Channel 4 gut zu sehen ist: «Mörsergranaten oder Raketen hören wir kommen», erklärt ein Soldat an der Front. «Aber der Panzer – wenn er schiesst, schlägt es gleich ein. Das ist das Schlimmste. Aber alles andere ist okay.»
Dass sich die Lage wieder beruhigt, ist nicht zu erwarten: Die nächsten drei Monate werden «recht aktiv» werden, prophezeit der Chef des ukrainischen Militärnachrichtendienstes. «Sie werden den weiteren Ablauf der Ereignisse bestimmen», so Kyrylo Budanow. «Es geht um aktiven Kampf. Das ist, was passieren wird. Die Anstrengungen werden beide Seiten machen.»
Waffen-Update
Was Budanow meint: Wenn irgendwann im März die ersten Einheiten mit schweren westlichen Waffen ausgerüstet sind, wird es eine ukrainische Gegenoffensive geben. Budanows Vize Wadym Skibizkyj ergänzt in deutschen Medien: «Ich denke, im Frühjahr sind wir bereit für eine Gegenoffensive.» Das Timing hänge von den Waffenlieferungen ab.
"The first battalion of the Armed Forces of 🇺🇦Ukraine has completed training on the operation of 🇺🇸American M2 Bradley BMP," - Oleksandr Pavlyuk, First Deputy Minister of Defense. pic.twitter.com/Hpo6k4Ai70
Gute Nachrichten für die Ukraine kommen aus Deutschland: Wie Rheinmetall-CEO Armin Papperger in einem Interview verrät, hat Berlin Wolodymyr Selenskyjs Armee mit den Flugabwehrsystemen Oerlikon Skyranger und Oerlikon Skynex versorgt. Es handelt sich um eine 35-Millimeter-Kanone, die mit einem Sprühnebel von Patronen ganze Drohnenschwärme ausschalten kann.
Die Bundesregierung kauft für Kiew ausserdem bei Rheinmetall das deutsch-estnische System SurveilSPIRE. Dabei handelt es sich um eine mobile, automatisierte Überwachungsplattform. Um wie viele Exemplare es geht, ist nicht bekannt. Der Auftrag liege im «zweistelligen Millionenbereich», teilt der Hersteller mit.