Impfpflicht in DeutschlandBayern schert aus und irritiert die anderen
tafi
14.2.2022
Das sind die Vorschläge für eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland
Der deutsche Bundestag diskutiert über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Es gibt drei unterschiedliche Vorschläge, wie eine solche Pflicht aussehen könnte.
26.01.2022
Die deutsche Bundesregierung will die Corona-Impfung für alle Bürger ab 18 verpflichtend machen. Doch schon bei der Umsetzung einer Teil-Impfpflicht im Gesundheitswesen knirscht es gewaltig.
tafi
14.02.2022, 19:08
tafi
Eigentlich soll in Deutschland ab Frühjahr eine Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal gelten. Eigentlich. Das Gesetz ist verabschiedet, die Regeln sind klar. Auch aus rechtlicher Sicht steht der Umsetzung ab Mitte März nichts im Wege: Das höchste Gericht des Landes, das Bundesverfassungsgericht, hat nach mehreren Klagen im Eilverfahren entschieden, dass entsprechende Vorschriften nicht ausser Kraft gesetzt werden und grünes Licht für die Pflege-Impfpflicht gegeben.
Dennoch ist derzeit völlig unklar, ob die Teil-Impfpflicht, oder wie es auf Amtsdeutsch heisst: einrichtungsbezogene Impfpflicht, wirklich umgesetzt wird. Der Organisationsweltmeister Deutschland hat derzeit ein Organisationsproblem. Die Bundesregierung hatte die Impfpflicht beschlossen, die Umsetzung aber an die Länder delegiert – zuständig sind schlussendlich die Landkreise und Kommunen.
Kaum jemand ist erfreut von Söders Ankündigung
Schon im Januar warnten einzelnen Landkreise davor, die Impfpflicht nicht durchsetzen zu können: Aus Greifswald-Vorpommern an der Ostseeküste hiess es, «dass mit den ganzen anderen coronabedingten Massnahmen […] das Gesundheitsamt und auch grosse Teile der Verwaltung völlig ausgelastet sind». Die Kontrolle und Durchsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht könne man deshalb nicht erfüllen, sagte Landkreissprecher Achim Froitzheim der Nachrichtenagentur dpa.
Das zuständige Ministerium im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern wertete die Aussage als Hilferuf und wies auf den Unterschied zwischen nicht können und nicht wollen hin. Niemand habe gesagt: «Wir werden's nicht umsetzen.» Eine solche Aussage wäre ein Rechtsbruch gewesen – und würde im schlimmsten Fall zu politischem Chaos führen.
Das Chaos ist in Deutschland in Sachen Impfpflicht trotzdem da: Verantwortlich dafür ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der CSU, der in den zwei Jahren der Corona-Pandemie als selbsternannter Frontmann von «Team Vorsicht» lieber zu streng war als zu locker. Söder will, so kündigte er vor Kurzem an, die Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitsberufe in Bayern bis auf Weiteres nicht umsetzen. Es werde «grosszügigste Übergangsregelungen» geben, was «de facto zunächst einmal auf ein Aussetzen des Vollzugs hinausläuft».
«Die Tyrannei ist nicht mehr fern»
Von Söders Ankündigung war im politischen Deutschland kaum jemand erfreut – ausser einigen Fürsprechern in Söders eigener Partei und der notorisch coronaskeptischen AfD. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) warnte hingegen auf Twitter, wenn sich die Regierenden aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten, «ist die Tyrannei nicht mehr fern».
Und wieder ein gegebener Anlass: Im Rechtsstaat gelten Gesetze. Wenn sich die Regierenden selbst aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten und an welche nicht, ist die Tyrannei nicht mehr fern. pic.twitter.com/sTomLGNRUU
Ein Bundesland darf nicht selbst entscheiden, welches bundesweit geltende Gesetz es umsetzt und welches nicht. Das wäre Willkür. «Aus der Perspektive des Rechtsstaates ist es ein Desaster, wenn Länderchefs den Gedanken in den Raum stellen, ein vom Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz zu ignorieren», erklärte Buschmann in einem Interview (kostenpflichtig) mit dem «Tagesspiegel».
Söder riskiere mit seinem Vorstoss «einmal mehr seine Glaubwürdigkeit, weil er sich besonders vehement für die Impfpflicht ins Zeug gelegt hat[te]», kommentiert die Tageszeitung «Berliner Morgenpost». Man könne zwar gute Gründe für die Ablehnung einer Impfpflicht finden, mit «dieser Wankelmütigkeit verwirrt man die Menschen nur».
Statt um eine kluge und verlässliche Strategie für eine Impfpflicht kümmere sich Söder bereits um seine Wiederwahl als bayerischer Ministerpräsident im Herbst 2023, so der Tenor auch in anderen Kommentarspalten deutscher Zeitungen.
Einige Tage nach Söders Vorstoss hat sich die bayerische Staatsregierung dann aber doch zur Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitswesen und Pflege bekannt. Gesundheitsminister Klaus Holetschek forderte «Leitplanken» für die Umsetzung und beteuerte: «Weder der Ministerpräsident noch die Staatsregierung noch jemand anders stellt diese Impfpflicht infrage.»
«Kaum mehr Chancen für eine allgemeine Impfpflicht»
Schaden dürfte der Streit um die Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal vor allem dem Ruf des deutschen Corona-Managements insgesamt. Die Auswirkungen auf das ungleich grössere Projekt einer allgemeinen Impfpflicht sind noch nicht absehbar.
Reiner Haseloff, Ministerpräsident des ostdeutschen Bundeslandes Sachsen-Anhalt, warnt vor den möglichen Auswirkungen. Der CDU-Politiker sagte der dpa: «Wenn es nicht gelingt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht vernünftig auf den Weg zu bringen, dann sehe ich für eine allgemeine Impfpflicht kaum mehr Chancen.»
Hintergrund ist, dass es noch nicht sicher ist, ob eine allgemeine Impfpflicht im Bundestag eine Mehrheit bekommt und in welchem Ausmass sie von jetzigen Impfgegnerinnen und -gegnern befolgt werden würde.
Der Bundestag will sich in dieser Woche über Anträge zur allgemeinen Impfpflicht beraten. Ein erster Gesetzentwurf sieht vor, dass ab 1. Oktober die Corona-Impfung für Personen ab 18 in Deutschland Pflicht sein soll – sonst drohe ein Bussgeld. Die Impfpflicht solle nicht für Personen gelten, die aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen Corona geimpft werden können, und nicht für Schwangere im ersten Schwangerschaftsdrittel.
In Vorbereitung ist ein weiterer Antrag, der eine Beratungspflicht vorsieht und – falls damit keine ausreichende Impfquote erreicht werden kann – eine befristete Impfpflicht ab 50 Jahren. Ein dritter Antrag spricht sich gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht aus.
Das Gesetzgebungsverfahren soll bis Ostern abgeschlossen sein. Eigentlich.