DeutschlandBerlin beklagt «dauerhafte Selbstblockade» des UN-Sicherheitsrats
SDA
29.6.2020 - 11:42
Es war eigentlich die perfekte Gelegenheit für den heillos zerstrittenen UN-Sicherheitsrat, sich ausnahmsweise mal bei einem wichtigen Thema einig zu werden. Die Corona-Pandemie trifft jeden einzelnen der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen – mal mehr, mal weniger.
Globaler kann eine Krise nicht sein und da diesmal alle einen gemeinsamen Feind haben, müsste es doch ein Leichtes sein, im wichtigsten UN-Gremium auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Weit gefehlt. Die Beratungen über eine Corona-Resolution endeten im Mai in einem Debakel. Der Grund: Der Streit zwischen den USA und China über die Rolle der Weltgesundheitsorganisation WHO.
«Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Sicherheitsrat kurz vor der Handlungsunfähigkeit steht», sagt Deutschlands Aussenminister Heiko Maas, kurz bevor sein Land am 1. Juli für einen Monat den Vorsitz in dem Gremium übernimmt.
Seit Anfang 2019 sitzt man nun schon mit den fünf Vetomächten USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich (P5) sowie neun weiteren wechselnden Mitgliedern im Sicherheitsrat, dessen Aufgabe die Vermeidung und Bewältigung von Krisen und Konflikten ist. In einer Zeit nationaler Alleingänge werde man sich dort «nicht wegducken», hatte Maas anfangs versprochen.
Inzwischen spricht eine grosse Portion Frust aus seinen Worten. «In den grossen, aktuellen Krisen wie Syrien oder Corona wird der Sicherheitsrat nicht mehr den Ansprüchen gerecht, die man an ihn haben müsste», sagt er in einem dpa-Interview. «Es gibt eine dauerhafte Selbstblockade – mal von der einen, mal von der anderen Seite.» Die USA gegen China, Russland gegen die USA und selbst zwischen den drei westlichen Vetomächten funktioniert es mit US-Präsident Donald Trump nicht mehr so, wie es einmal war.
Aufgeben will Maas trotzdem nicht. Während der einmonatigen Präsidentschaft Deutschlands will er einen neuen Vorstoss für eine Corona-Resolution wagen. Nach New York reisen wird er dafür wegen der Corona-Beschränkungen aber aller Voraussicht nach nicht. Das muss dann der UN-Botschafter und Merkel-Vertraute Christoph Heusgen richten, der in den vergangenen 18 Monaten einigen frischen Wind in das altehrwürdige Gremium gebracht hat.
Seine Reden hält er meistens frei und geht dabei auf seine Vorredner ein – wer die lahmen Beratungen mit oft monoton abgelesenen, vorbereiteten Statements kennt, auf den wirkt das geradezu erfrischend.
Auch inhaltlich bewerten Diplomaten und Fachleute die deutsche Mitgliedschaft im Sicherheitsrat überwiegend positiv. «Insgesamt würde ich der deutschen UN-Mission ziemlich gute Noten geben. Sie hat andere Ratsmitglieder mit ihrem Ehrgeiz, aber auch mit ihrem diplomatischen Engagement und ihrer Kompetenz beeindruckt», erklärt UN-Experte Richard Gowan von der Denkfabrik Crisis Group.
Es gebe aber auch Argwohn und Skepsis. «Einige der anderen gewählten Mitglieder lehnen den Ehrgeiz Deutschlands ein Stück weit ab und glauben, dass es versucht, sich so zu verhalten, als wäre es das sechste Mitglied der P5», sagt Gowan.
Einige Diplomaten finden es auffällig, dass Deutschland öfter vermeidbare Risiken eingeht. Zum Beispiel bei einem Rettungsversuch während der festgefahrenen Verhandlungen zu der Corona-Resolution. Die deutsche Mission brachte einen Kompromisstext ohne Abstimmung mit Frankreich ein, das die Federführung bei dem Thema hatte. Die Franzosen waren verschnupft und der deutsche Vorschlag brachte nach Einschätzung von Diplomaten mehr Schaden als Nutzen.
Eine besondere Bedeutung kommt dem deutschen Vorsitz diesmal durch die gleichzeitige EU-Ratspräsidentschaft zu. Die doppelte Verantwortung könnte vor allem bei einem Thema zum Tragen kommen: Am 1. Juli könnte die israelische Regierung mit der geplanten Annexion palästinensischer Gebiete im besetzten Westjordanland beginnen. Das wiederum würde eine Reaktion der EU erfordern und dürfte auch den UN-Sicherheitsrat beschäftigen.
«Wir müssen versuchen, sehr, sehr unterschiedliche Positionen in beiden Institutionen zusammenzuführen», sagt Maas. Die Moderation in dieser Frage wird nicht einfach werden. Einerseits hat die deutsche Regierung klargemacht, dass sie eine Annexion für völkerrechtswidrig hält. Andererseits hat Deutschland wegen des Holocaust eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und wird deswegen wohl auch eher bremsen, wenn es um Strafmassnahmen geht.
Das Problem der mangelnden Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrats wird aber vorerst bleiben. Seit Jahrzehnten wird über eine Reform des Gremiums diskutiert, das immer noch wie zur Zeit des Kalten Krieges strukturiert ist. Das grösste Problem: Die Vetomächte haben auch hierbei ein Vetorecht und müssten bereit sein, einen Teil ihrer Macht abzugeben.
Maas meint aber, dass der Druck zu handeln wächst: «Wie der Sicherheitsrat sich gerade präsentiert, zeigt, dass die Notwendigkeit einer Reform so dringend ist wie noch nie.»
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