Deutschland Berlin statt Ramstein: Selenskyj bei Scholz und Steinmeier

SDA

11.10.2024 - 05:38

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, nimmt an der Pressekonferenz mit der italienischen Ministerpräsidentin Meloni nach ihrem Treffen in der Villa Pamphilj teil. Foto: Andrew Medichini/AP/dpa
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, nimmt an der Pressekonferenz mit der italienischen Ministerpräsidentin Meloni nach ihrem Treffen in der Villa Pamphilj teil. Foto: Andrew Medichini/AP/dpa
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Auf seiner Tour durch Europa besucht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach London, Paris und Rom heute Berlin.

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Bei seinen Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird es um die weitere Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren gehen, aber auch um die Bemühungen um eine Friedenslösung. Am Donnerstagabend traf Selenskyj in Rom Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Für Freitagmorgen ist noch eine Audienz bei Papst Franziskus im Vatikan geplant.

Eigentlich wollte Selenskyj am Samstag an einem Ukraine-Gipfel mit 50 verbündeten Ländern auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein teilnehmen. Nach der Absage von US-Präsident Joe Biden wegen des Hurrikans «Milton» wurde der Gipfel aber verschoben. Statt Biden kommt nun Selenskyj zu einem bilateralen Besuch nach Berlin.

Es ist der zweite Deutschland-Besuch des ukrainischen Präsidenten innerhalb von fünf Wochen und das dritte persönliche Gespräch mit Scholz in diesem Zeitraum. Anfang September hatte Selenskyj an einem Verteidigungsministertreffen der Verbündeten in Ramstein teilgenommen und Scholz in Frankfurt am Main getroffen. Nur drei Wochen später kamen die beiden dann noch einmal kurz vor der UN-Generalversammlung in New York zu einem Gespräch zusammen.

Selenskyj will bis Dezember Veränderungen in Richtung Frieden

Selenskyj wirbt auf seiner Europatour für seinen sogenannten «Siegesplan», von dem bisher nicht viel bekannt ist. Es gehe darum, Bedingungen «für ein gerechtes Ende des Krieges» zu schaffen, sagte er am Donnerstag in London. Zuvor hatte er bei einem Ukraine-Südosteuropa-Gipfel im kroatischen Dubrovnik deutlich gemacht, dass er die nächsten Monate für entscheidend hält. «Im Oktober, November und Dezember haben wir eine reale Chance, die Dinge in Richtung Frieden und dauerhafter Stabilität hin zu verändern.» Die Situation auf dem Schlachtfeld erlaube es, den Krieg spätestens 2025 zu beenden.

Unter einem gerechten Kriegsende versteht Selenskyj den Rückzug russischer Truppen aus den besetzten Gebieten. Die ukrainische Staatsführung wies einen italienischen Medienbericht zurück, wonach Kiew zu einem Waffenstillstand entlang der derzeitigen Frontlinie bereit sei. «Eine Feuereinstellung ist kein Thema unserer Beratungen mit den Verbündeten, und wir sprechen nicht darüber», sagte Selenskyj nach seinen Gesprächen mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Auf russischer Seite gibt es ebenfalls keine Anzeichen dafür, im Krieg gegen die Ukraine zurückzuweichen.

Russische Truppen rücken in Ostukraine weiter vor

Russische Truppen setzen nach Kiewer Militärangaben ihre Offensive im Osten der Ukraine mit grosser Wucht fort. Am Donnerstag habe es 114 Angriffe gegeben, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mit. Allein 30 Angriffe wurden am Frontabschnitt bei Lyman gezählt. Der Eisenbahnknotenpunkt liegt im Gebiet Donezk. Zu dem Frontabschnitt gehören aber auch die letzten Dörfer des Gebietes Luhansk, die Russland noch nicht besetzt hat. Weitere Schwerpunkte der Angriffe waren demnach die Abschnitte Pokrowsk und Kurachiwe. Die Zahlen des Militärs sind nicht im Detail überprüfbar, lassen aber einen Rückschluss auf die Intensität der Gefechte zu.

59 Prozent wünschen sich Telefonat von Scholz und Putin

Deutschland ist der zweitwichtigste Waffenlieferant der Ukraine nach den USA. Der Kanzler wirbt in den vergangenen Wochen aber auch verstärkt für einen Friedensprozess. Er hat immer wieder deutlich gemacht, dass er dafür nach fast zwei Jahren Funkstille auch grundsätzlich bereit ist, wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Eine klare Mehrheit der Deutschen hält das für richtig. Nach einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur wünschen sich 59 Prozent ein Telefonat der beiden, in Ostdeutschland sind es sogar 68 Prozent.

Gespalten sind die Deutschen in der Frage, ob die Ukraine für Frieden mit Russland auf einen Teil ihres Staatsgebiets verzichten sollte. 39 Prozent sagen, sie sollte keinen Zentimeter preisgeben. 22 Prozent meinen dagegen, die Ukraine sollte auf die bereits 2014 von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim verzichten. Weitere 23 Prozent plädieren sogar dafür, dass Kiew neben der Krim auch Gebiete aufgeben sollte, die seit der Invasion im Februar 2022 von Russland besetzt wurden. Zusammen sind also 45 Prozent für einen Gebietsverzicht.

Uneinigkeit bei Erlaubnis für weitreichende Waffen

Uneinigkeit besteht auch in der Frage, ob die Ukraine die Erlaubnis erhalten sollte, mit weitreichenden westlichen Waffen bis tief in russisches Territorium zu schiessen. 42 Prozent sind eher dafür und 43 Prozent eher dagegen.

Der ukrainische Präsident fordert von den westlichen Verbündeten schon seit langem eine solche Erlaubnis. Scholz sieht das skeptisch. Anders als die USA, Grossbritannien und Frankreich hat Deutschland weitreichende Waffen erst gar nicht geliefert. Den Marschflugkörper «Taurus» mit einer Reichweite von 500 Kilometern will Scholz nicht bereitstellen, weil er befürchtet, dass Deutschland und die Nato dann in den Krieg hineingezogen werden könnten.

Forderungen nach «Taurus» verstummen nicht

Die Forderungen nach einer Lieferung weitreichender Waffen auch aus Deutschland verstummen aber nicht. Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter sagte der «Rheinischen Post» vor dem Treffen von Scholz und Selenskyj: «Wir müssen deutlich mehr Luftverteidigung, Munition und weitreichende Waffen an die Ukraine liefern. Reichweitenbeschränkungen gelieferter Waffen tragen nicht zur Deeskalation bei, sondern ermöglichen weitere russische Angriffe.»

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), kritisierte, dass Scholz anders als die USA, Grossbritannien und Frankreich auf die Lieferung weitreichender Waffen verzichtet. «Die Ukraine ist im Begriff zu ertrinken, und nach wie vor werfen wir ihr nur Rettungsringe zu, um sie vor dem Ertrinken zu retten», sagte sie.

Auch der CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul erneuerte seine Forderung, der Ukraine deutsche Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. «Die Lieferung von Taurus wäre eine wichtige Hilfe. Das zeigen die erfolgreichen ukrainischen Angriffe auf russische Depots weit im Hinterland durch Marschflugkörper mit vergleichbarer Schlagkraft.»