Von Worten zu TatenFührt hitzige Rhetorik in der US-Politik zu mehr Gewalt?
jke
17.7.2024 - 04:30
Nach dem Attentat auf Donald Trump wird die aggressive Sprache in der US-Politik als möglicher Grund für die Tat diskutiert. Hat der raue Ton im Wahlkampf die Schüsse auf den Ex-Präsidenten mitverursacht?
DPA, jke
17.07.2024, 04:30
dpa
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Curd Knüpfer, Experte für politische Kommunikation, warnt davor, politische Rhetorik als alleinigen Auslöser für das Attentat auf Donald Trump zu sehen, betont jedoch deren Einfluss auf Gewalt.
Der Experte sieht die Verantwortung für eine Veränderung der politischen Rhetorik bei den politischen Eliten und finanziellen Unterstützer*innen der Parteien.
Angesichts der aktuellen Trends wie Polarisierung und Entmenschlichung ist Knüpfer pessimistisch, dass sich die Situation in naher Zukunft verbessern wird.
Bei einer republikanischen Wahlkampfveranstaltung wurde ein Attentat auf den ehemaligen US-Präsidenten und aktuellen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump verübt. Hat die aggressive Rhetorik in der US-Politik die Tat beeinflusst?
Curd Knüpfer, Experte für politische Kommunikation und Mediensysteme in Nordamerika an der Freien Universität Berlin, erklärt auf SRF, dass Worte von Politiker*innen tatsächlich zu Gewalt führen können. Dennoch müsse man im aktuellen Fall vorsichtig sein mit solchen Aussagen.
Zwar existiere ein aufgeheiztes politisches Klima in den USA, doch die Tat eines Einzelnen könne nicht nur auf den rauen Umgangston in der US-Politik zurückgeführt werden. Stand heute sei zu wenig über die Motive des Angreifers bekannt, und verschiedene Faktoren könnten zu solch einer Tat beitragen:
Verschiedene Faktoren beeinflussen Gewalttaten
Frühere Gewalttaten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder zu Gewalt kommt.
Eine starke Polarisierung schafft Spannungen, indem ein starkes Wir-Gefühl und ein Die-Gefühl, ein «Outgrouping», kreiert wird.
Wenn bestimmte Gruppen von Menschen als weniger wertvoll dargestellt werden, steigt das Risiko von Gewalt. Beispiel: die Gruppe als «Ungeziefer» oder andere Tiere zu bezeichnen.
Auch opportunistische Politiker*innen, die polarisierende Sprache nutzen, um Aufmerksamkeit zu erregen, oder das System mit politisch inkorrekten Begriffen testen, tragen zur Gefahr bei.
Ebenso spielt die Reaktion des politischen Apparats auf gewalttätige Sprache eine Rolle. Toleranz seitens politischer Führungsmitglieder oder Institutionen erhöht das Risiko.
Die politische Rhetorik der Politiker*innen kann die öffentliche Meinung beeinflussen und gesellschaftliche Spannungen verstärken oder verringern.
Nach dem Attentat auf Trump am Wochenende hatte US-Präsident Joe Biden bei einer seltenen Ansprache an die Nation aus dem Oval Office im Weissen Haus vor weiterer Gewalt gewarnt. Er rief die Amerikaner*innen auf, zusammenzurücken.
«Wir lösen unsere Meinungsverschiedenheiten an der Wahlurne. So machen wir es – an der Wahlurne, nicht mit Kugeln.» Die politische Debatte im Land sei sehr hitzig geworden. «Es ist Zeit, sie abzukühlen», mahnte Biden. «Wir alle haben die Verantwortung, das zu tun.»
In den USA herrscht laut Politologe Knüpfer eine asymmetrische Polarisierung, die vor allem von der republikanischen Partei und deren medialen Unterstützer*innen wie Fox News ausgeht. Donald Trump und seine Anhänger*innen hätten sich vom respektvollen politischen Diskurs entfernt.
«Früher hatte man Respekt»
Beispiele hierfür sind Aufrufe zu Gewalt, politische Gegner*innen als Ungeziefer bezeichnen oder auch das Belustigen nach einem Angriff auf den Ehemann von Nancy Pelosi. Paul Pelosi war bei einem Einbruch mit einem Hammer angegriffen worden und erlitt einen Schädelbruch. Daraufhin folgten zynische Kommentare einzelner republikanischer Abgeordneten.
«Damit verlässt man eine rhetorische Ebene, die man in den Neunziger- und Nullerjahren noch gekannt hatte. Man hatte Respekt gegenüber der anderen Seite,» sagt Knüpfer.
Die Art und Weise, wie sich Politiker*innen öffentlich äussern, ist eines von mehreren Puzzleteilen, die zu politischer Gewalt führen können. Normalerweise führt die Rhetorik eher zu Gewalt durch Gruppen als durch Einzelpersonen.
Zunahme politisch motivierter Gewaltakte
Trotz seiner jüngsten Appelle zum Zusammenhalt im Land und zur Mässigung im Wahlkampf wirft US-Präsident Joe Biden seinem politischen Kontrahenten Donald Trump zündelnde Rhetorik vor. Trump spreche von einem Blutbad, falls er verliere, sagte Biden in einem Interview mit dem US-Fernsehsender NBC.
Trump kündigt ausserdem an, dass er die Strafen all derer aussetzen wolle, die wegen der Attacke auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 verurteilt worden seien. Anhänger Trumps hatten den Parlamentssitz damals gewaltsam gestürmt.
Curd Knüpfer sieht das Attentat auf Trump als Symptom eines grösseren Problems: die Zunahme politisch motivierter Gewaltakte. Solche Taten richten sich zunehmend auch gegen demokratische Politiker*innen und zeigen sich in Form von Drohungen und Hasskommentaren. «Es sind viele Faktoren am Werk.»
Biden: «Es war ein Fehler»
Der Politologe erwähnt auch Veränderungen im medialen Apparat und der politischen Landschaft der republikanischen Partei: «Sie straft Trump nicht, lässt ihn durchkommen.»
Biden argumentierte auf NBC, Trumps Rhetorik heize die Debatte im Wahlkampf an, nicht seine. «Ich bin nicht der Mann, der gesagt hat, ich will am ersten Tag ein Diktator sein. Ich bin nicht der Mann, der sich geweigert hat, das Ergebnis der Wahl zu akzeptieren. Ich bin nicht der Mann, der gesagt hat, dass er das Ergebnis dieser Wahl nicht automatisch akzeptieren wird», sagte der Demokrat mit Blick auf Äusserungen des früheren Präsidenten und aktuellen republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Er nutze nicht solche Rhetorik, sein Gegner tue das, betonte der 81-Jährige.
NBC: Interview mit Präsident Joe Biden im Weissen Haus
Allerdings gab Biden im NBC-Interview zu, dass es ein Fehler gewesen sei, zu sagen, es sei «an der Zeit, Trump ins Visier zu nehmen». Biden machte diese Bemerkungen während eines Gesprächs mit Spender*innen am 8. Juli, als er sagte: «Es ist an der Zeit, Trump ins Visier zu nehmen» («Time to put Trump in a bullseye»).
«Es war ein Fehler, das Wort zu verwenden», sagte Biden. «Ich meinte, man solle sich auf ihn konzentrieren. Konzentrieren Sie sich darauf, was er tut. Konzentrieren Sie sich auf seine Politik, konzentrieren Sie sich auf die Anzahl der Lügen, die er in der Debatte erzählt hat.»
Knüpfer ist pessimistisch
Für eine Veränderung der politischen Rhetorik müssten politische Führungskräfte Verantwortung übernehmen. Der Politologe Curd Knüpfer schlägt vor, dass Kandidat*innen mit radikaler Rhetorik im Wahlkampf scheitern sollten. Oder dass finanzielle Unterstützer*innen der Parteien eine gemässigte Sprache fördern.
Angesichts der bisherigen Entwicklungen ist Knüpfer jedoch pessimistisch: «Wir haben in den letzten Jahren eine Steigerung dieser Rhetorik und relativ wenig Fingerklopfen gesehen.»
Curd Knüpfer sieht aufgrund der bestehenden Trends wie Polarisierung und Entmenschlichung ein hohes Risiko für weitere politische Gewalttaten. «Es wäre naiv, zu glauben, dass sich die Situation bald verbessern könnte.»
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