Sechs Minister entlassenBolsonaro unter Druck wie noch nie
dpa
30.3.2021 - 20:12
Präsident Jair Bolsonaro bildet inmitten der ausser Kontrolle geratenen Corona-Lage in Brasilien das Kabinett um. Er beugt sich damit einer «alten Politik», mit der er eigentlich brechen wollte – und will offensichtlich mehr Einfluss auf das Militär bekommen.
30.03.2021, 20:12
30.03.2021, 20:13
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Angesichts zunehmender Kritik wegen mangelhaften Krisenmanagements in der Corona-Pandemie hat Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro die Spitzen von sechs Ministerien neu besetzt. Die überraschend umfangreiche Kabinettsumbildung wurde am Dienstag per Veröffentlichung im Amtsblatt offiziell gemacht. Experten vermuten dahinter strategisches Kalkül vor der Präsidentschaftswahl 2022 – und den Versuch Bolsonaros, seinen Einfluss auf das Militär auszuweiten.
Zu den Abgängen gehören Aussenminister Ernesto Araújo und Verteidigungsminister Fernando Azevedo e Silva. Auf sie folgen der Karrierediplomat Carlos Alberto Franco França und der General Walter Souza Braga Netto, bisher «Chefe da Casa Civil», vergleichbar mit dem Kanzleramtschef. Während sich der Abschied von Aussenminister Araújo zuletzt angedeutet hatte, kamen die restlichen Personalwechsel unerwartet: Weder Bolsonaro noch die Minister hatten darauf Hinweise gegeben.
Araújo, der zum ultrakonservativen Flügel der Regierung des Rechtspopulisten Bolsonaro zählt, war vor allem nach einem Treffen mit den Präsidenten von Senat und Kongress in der vergangenen Woche unter Druck geraten. Ihm wird erhebliche Mitschuld daran gegeben, dass Brasilien bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie so schlecht dasteht wie kaum ein anderes Land. Am Dienstag vergangener Woche waren im grössten Land Lateinamerikas erstmals über 3000 Corona-Tote binnen 24 Stunden registriert worden. Am Mittwoch überschritt Brasilien die Marke von 300'000 Corona-Toten insgesamt.
Dem Aussenminister wurde vorgeworfen, Brasilien auf der internationalen Bühne isoliert und das Land so um eine gute Position beim Erwerb von Impfstoffen gebracht zu haben. Tatsächlich war Araújo massgeblich in politische Konflikte mit wichtigen Handelspartnern wie China involviert – aus der Volksrepublik importiert Brasilien wichtigen Grundstoff für die Produktion von Corona-Impfstoff.
Bolsonaro nahm den Rücktritt seines Aussenministers quasi zum Anlass für einen grösseren Umbau. Und dafür, dem «Centrão» – kleine und kleinste Parteien, die ihre politische Unterstützung gegen Ämter und Posten tauschen – Zugeständnisse zu machen. Im Wahlkampf hatte er zwar versprochen, nicht vor der «alten Politik» des «dort nehmen, hier geben» zu kapitulieren. Doch der Präsident der Abgeordnetenkammer und Chef des «Centrão», Arthur Lira, verschärfte den Ton und kokettierte mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten angesichts der in Brasilien ausser Kontrolle geratenen Corona-Pandemie. Dass Bolsonaro schliesslich nachgab, dürfte auch mit der Präsidentschaftswahl 2022 zusammenhängen.
Ausserdem will Bolsonaro laut Stimmen aus dem politischen Brasília seinen Einfluss auf das Militär mehren. Der nun abgelöste Verteidigungsminister Azevedo hatte sich demnach geweigert, die Politik des Präsidenten zu unterstützen. Bolsonaro soll zu verstehen gegeben haben, dass er sich die Unterstützung des Militärs sichern will, um Notstandsmassnahmen wegen des Lockdowns zu verhängen, den Bundesstaaten und Städte gegen seinen Willen ausgerufen hatten. Er selbst lehnt einen Lockdown aus wirtschaftlichen Gründen ab.
Die Spitzen von Armee, Luftwaffe und Marine trafen sich am Dienstag mit dem neuen Verteidigungsminister Braga Netto. Danach verkündete das Verteidigungsministerium ihre Ablösung. Schon zuvor war spekuliert worden, dass sie in Azevedos Gefolgschaft ihren Rücktritt anbieten könnten.