Brexit-Deal auf wackligen Beinen Verfrühte Freude? Brexit-Deal steht auf wackligen Beinen

dpa/SDA/toko

17.10.2019

Aufatmen in Brüssel und London: In letzter Minute kam ein Brexit-Abkommen zustande. Ob es aber auch die nötige Hürde im britischen Parlament nimmt, ist alles andere als gewiss. Die EU-Staaten jedenfalls billigten den Deal am frühen Donnerstagabend.

Das frisch ausgehandelte neue Brexit-Abkommen steht wegen des Widerstands der nordirischen Partei DUP schon wieder vor dem Scheitern.

Am frühen Abend billigten zumindest die EU-Staaten den Deal. Die DUP aber, auf deren Unterstützung der britische Premierminister Boris Johnson im Unterhaus angewiesen ist, wolle den Deal bei der geplanten Abstimmung im Parlament nicht unterstützen, hiess es am Donnerstag.

Die vereinbarte Lösung sei dem wirtschaftlichen Wohl Nordirlands nicht zuträglich und untergrabe die Einheit des Vereinigten Königreichs, hiess es in einer DUP-Mitteilung. Die Partei sei «nicht in der Lage, diese Vorschläge im Parlament zu unterstützen». Johnson dagegen hatte den Deal unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel als «grossartig» bezeichnet.

Den Durchbruch bei den Verhandlungen hatten London und Brüssel kurz vor dem Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs erzielt. «Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal», twitterte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. «Es ist eine faire und ausgewogene Vereinbarung für die EU und Grossbritannien und es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden.»

Johnson teilte mit, nun müsse das Unterhaus am Samstag darüber abstimmen, damit der EU-Austritt vollzogen werden könne. Danach könne man sich wieder auf andere «Prioritäten» konzentrieren wie Lebenshaltungskosten, das Gesundheitssystem, Gewaltkriminalität und Umwelt, erläuterte Johnson auf Twitter.

Der britische Premier will sein Land zum 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft führen. Wiederholt hatte er Brüssel mit einem ungeregelten Brexit gedroht. Für dieses Szenario hatten Experten chaotische Verhältnisse für die Wirtschaft und zahlreiche andere Lebensbereiche vorhergesagt.

EU-Unterhändler ist zuversichtlich

EU-Unterhändler Michel Barnier hält einen geordneten Austritt Grossbritanniens am 31. Oktober für möglich. Ab 1. November werde man dann über die künftigen Beziehungen sprechen, sagte Barnier in Brüssel. Die Zeit für die Ratifizierung könne noch ausreichen. Barnier appellierte an das britische Unterhaus, Verantwortung zu zeigen und das «faire und vernünftige Abkommen» anzunehmen.



DUP-Parteichefin Arlene Foster und Fraktionschef Nigel Dodds hatten am Morgen bereits mitgeteilt, dass sie mit dem Stand der Verhandlungen nicht einverstanden seien.

Streitpunkt war bis zuletzt vor allem die enthaltene Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Derzeit gibt es keine Kontrollen zwischen beiden Teilen der irischen Insel. Das wollen Dublin und Brüssel nach dem Brexit nicht ändern.

Einigung in letzter Minute: Boris Johnson (l.) und Jean-Claude Juncker.
Einigung in letzter Minute: Boris Johnson (l.) und Jean-Claude Juncker.
Keystone/Archivbild

Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards; Nordirland bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs; es gibt eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden; und die nordirische Volksvertretung könne vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und dann nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten solle. Die jetzige Vereinbarung sei keine Übergangslösung, sondern würde dann auf Dauer gelten.

Merkel zufrieden

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigt sich zufrieden mit dem Durchbruch bei den Verhandlungen. «Das ist eine gute Nachricht», sagte sie am Donnerstag vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel.

Das ausgehandelte Abkommen eröffne die Möglichkeit, die Integrität des EU-Binnenmarkts und das Karfreitagsabkommen zur Beendigung des Nordirland-Konflikts zu erhalten. Dass der irische Ministerpräsident Leo Varadkar sich zufrieden gezeigt habe, sei für sie «ein ganz wichtiges Zeichen», sagte Merkel weiter.

Corbyn spricht von «Ausverkauf»

Darüber hinaus wurde die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Grossbritannien geändert, wie Barnier weiter sagte. Darin gebe Grossbritannien «solide Garantien», dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden. Das sei das bestmögliche Ergebnis gewesen, sagte Barnier.



Labour-Chef Jeremy Corbyn lehnt das neue Brexit-Abkommen ab und sprach von einem «Ausverkauf». Der Kopf der grössten Oppositionspartei im Unterhaus teilte mit: «Es scheint, dass der Premierminister einen noch schlechteren Deal verhandelt hat als Theresa May», die Johnsons Vorgängerin war. Das Abkommen gefährde unter anderem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern. Erneut forderte er ein zweites Brexit-Referendum.

Die Briten hatten vor etwa drei Jahren mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt.

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