Umstrittener Xenon-Konsum Wie reiche Alpinisten den Mount Everest in nur fünf Tagen erklimmen

Noemi Hüsser

21.5.2025

Vier britische Bergsteiger besteigen den Mount Everest in nur fünf Tagen. Sie inhalieren dafür ein Gas, wodurch die Akklimatisierung im Gebirge entfällt. Die Mission wird unter Alpinisten kontrovers diskutiert.

Noemi Hüsser

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Eine neue Everest-Expedition verspricht die Ersteigung des Gipfels in nur einer Woche – dank teurem Gasgemisch, das vor dem Aufstieg inhaliert wird.
  • Die internationale Vereinigung für Klettern und Bergsteigen warnt vor möglichen Risiken durch das Gas Xenon, dessen Nutzen im Höhenbergsteigen nicht belegt ist.
  • Die Methode spaltet die Bergsteiger*innen-Szene. Viele sehen darin den Verlust des Abenteuergeists und eine Kommerzialisierung des Alpinismus.

Fünf Tage. So lange dauerte die Expedition von vier britischen Bergsteigern von London auf den Mount Everest. Keine langen Akklimatisierungsphasen, kein wochenlanges Training im Himalaya. Stattdessen: Hightech und viel Geld. Doch die Mission wirft die Frage auf: Wie schnell ist zu schnell?

Eine Everest-Expedition dauert normalerweise sechs bis acht Wochen. Denn auf den 8849 Meter hohen Gipfel läuft man nicht einfach so mal hoch. Bergsteiger*innen müssen sich zuerst an die Höhe gewöhnen. Das braucht Zeit, Ruhepausen und wiederholende Ab- und Aufstiege.

Aber normal, das gibt es für Lukas Furtenbach nicht. Der österreichische Tourenanbieter, der hinter der Expedition steht, will schneller sein. Seine Kundschaft: Unternehmer*innen und Millionär*innen. Menschen mit viel Geld, aber wenig Zeit. «100 % Success. Sie sind nichts anderes als den Erfolg gewohnt. Und wir wollen, dass das auch auf den höchsten Gipfeln unserer Erde so bleibt», steht auf Furtenbachs Website. Rund 150'000 Euro soll die Mission pro Person kosten.

Furtenbach sorgte bereits vor zwei Jahren für Aufsehen. Damals verkürzte er die Besteigungsdauer auf drei Wochen – dank Hypoxie-Zelten. Bergsteiger*innen schlafen dafür in den Wochen vor der Expedition unter Zelten, die den Sauerstoffgehalt auf zunehmender Höhe simulieren, und passen sich so Zuhause und im Schlaf an die Höhe im Himalaya an.

Doping durch Inhalieren von Edelgas

Noch schneller, das wird Furtenbachs Team nun, indem die Bergsteiger zwei bis vier Wochen vor dem Flug nach Nepal ein Gasgemisch aus Sauerstoff und dem Edelgas Xenon inhalieren. Die genaue Mischung ist geheim. Damit man es nicht nachmachen kann, wie Furtenbach gegenüber verschiedenen Medien sagte.

Xenon ist selten und teuer, die Medizin nutzt es manchmal als Narkosemittel. Im Körper fördert Xenon die Ausschüttung von Erythropoietin (Epo), einem Hormon, das die Produktion der Sauerstoff transportierenden roten Blutkörperchen im Blut ankurbelt. Durch das Inhalieren des Gases entfällt die Akklimatisierung im Gebirge. Der Aufstieg beginnt sofort.

Die Welt-Antidoping-Agentur setzte Xenon 2014 auf ihre Liste verbotener Substanzen, nachdem an den Olympischen Winterspielen russische Sportler*innen damit ihre Leistung gesteigert haben sollen. Für Bergsteiger*innen gilt das Verbot aber nicht. Im Bergsport gibt es kein Doping, da es kein organisierter Wettkampf ist.

Doch Furtenbachs Ansatz stösst trotzdem auf Kritik. Die medizinische Kommission der internationalen Vereinigung für Klettern und Bergsteigen warnt in einem Statement: Eine unsachgemässe Anwendung von Xenon könne gefährlich sein. «Es gibt keine Beweise dafür, dass das Einatmen von Xenon die Leistung im Gebirge verbessert», steht da. Die Kommission empfiehlt herkömmliche Akklimatisierungsmethoden.

In einer Welt, die auf Effizienz getrimmt ist – wo bleibt das Abenteuer?

Und da ist immer wieder die Frage: Wie weit darf man gehen und welche Mittel darf man anwenden, um schneller zu werden am Berg – oder um den Gipfel überhaupt zu erreichen?

Heute nutzen fast alle Everest-Bergsteiger*innen Sauerstoffflaschen. Vom Basislager bis auf den Gipfel ist ein Seil gespannt, an dem man sich mit Karabinern sichert. Und Tourenanbieter arbeiten sogar an Exoskeletten, die die Muskelkraft verstärken sollen. Alles Hilfeleistungen, mit denen man einfacher auf den Gipfel kommt. Xenon sei auch nichts anderes, sagen Unterstützer*innen von Furtenbachs Expedition.

Aber bei der Kritik an Furtenbach geht es um mehr als um die Methode. Sie trifft den Kern des Alpinismus. In einer Welt, die auf Effizienz getrimmt ist – wo bleibt das Abenteuer? Und gibt es sie, die ethischen Richtlinien, wie schnell ein Berg bestiegen werden soll?

Der Bergsteiger Reinhold Messner sagte gegenüber dem «Standard», dass man solche Expeditionen nicht mit traditionellem Bergsteigen vergleichen dürfe. Das eine sei Abenteuer, das andere Tourismus. «Hätten die Briten Mallory und Irvine, die 1924 am Everest umgekommen sind, Xenon schon gekannt, so wären sie vermutlich auf den Everest spaziert», sagt er. Er selbst sei dankbar, dass er den Everest noch als Abenteuer erleben durfte.

Wer den Mount Everest besteigt, ist schon lange nicht mehr allein unterwegs – hier ein Stau auf dem Gipfel im Mai 2019.
Wer den Mount Everest besteigt, ist schon lange nicht mehr allein unterwegs – hier ein Stau auf dem Gipfel im Mai 2019.
KEYSTONE

Tourismus, den gibt es am Mount Everest mittlerweile viel. Nepal hat für das Frühjahr 2025 bereits 468 Genehmigungen ausgestellt. Rechnet man die nepalesischen Bergführer mit ein, könnten über 1000 Menschen versuchen, dieses Jahr den Gipfel zu erreichen. Besonders im Mai sind die Wetterbedingungen für eine Everest-Besteigung gut. Die Folge: Massentourismus, Staus, Müllberge.

Das Foto vom Berggipfel wird immer mehr zum Statussymbol. Und der Tourenanbieter Furtenbach zum Symbolbild dieser Kommerzialisierung. Schnelle und teure Touren würden das Bergsteigen verfälschen, sagen kritische Bergsteiger*innen. Eine Everest-Expedition beinhalte mehr als nur den Aufstieg. Es gehe drum, den Berg zu spüren, die lokale Kultur kennenzulernen und Respekt vor der Natur zeigen. Und solche Touren, wie sie Furtenbach anbietet, würden das nicht. Der «Neuen Zürcher Zeitung» erzählte Furtenbach, er erhalte gar Todesdrohungen.

«Was bleibt vom Alpinismus, wenn man das Sterberisiko durch technischen Fortschritt minimiert? Es wird ein gewöhnlicher Sport»

Lukas Furtenbach

Tourenanbieter

Furtenbach selbst betont in Interviews immer wieder, dass es ihm nicht um Schnelligkeit und Leistungssteigerung gehe, sondern vor allem um Sicherheit. Weniger Zeit am Berg bedeute weniger Risiko für die Bergsteiger*innen. Doch im Alpinismus herrsche eine Kultur, Innovationen abzulehnen. Das Höhenbergsteigen befinde sich in einer Identitätskrise, sagte Furtenbach gegenüber dem Stern:«Was bleibt vom Alpinismus, wenn man das Sterberisiko durch technischen Fortschritt minimiert? Es wird ein gewöhnlicher Sport.»

Am Mittwochmorgen, 21. Mai 2025, ist das Xenon-Team um 07.10 Uhr Ortszeit in Nepal heil und vollzählig auf dem Gipfel des Mount Everest angekommen. Die Bergsteiger befinden sich derzeit auf dem Abstieg.
100 % Success eben – wie versprochen.


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