Wahlkampf in Deutschland Markus Söder, deutscher Bundeskanzler der Herzen

Von Sven Hauberg, München

11.9.2021

Schön, dass es mich gibt! An Selbstbewusstsein mangelt es Markus Söder nicht.
Schön, dass es mich gibt! An Selbstbewusstsein mangelt es Markus Söder nicht.
Bild: Keystone

Markus Söder wäre der beste aller möglichen Bundeskanzler. Glaubt Markus Söder. Zur Wahl steht allerdings ein anderer. Beobachtungen aus Bayern, zwei Wochen vor der Bundestagswahl.

Von Sven Hauberg, München

11.9.2021

Wer dieser Tage durch München läuft, könnte meinen, es habe den 20. April 2021 gar nicht gegeben. An jenem Dienstag im Frühjahr hatte Markus Söder seinen Verzicht auf die gemeinsame Kanzlerkandidatur von CDU und CSU erklärt, nachdem sich am Abend zuvor der CDU-Bundesvorstand für Armin Laschet als Kandidaten ausgesprochen hatte. In der bayerischen Landeshauptstadt aber sieht man heute, wenige Wochen vor der Bundestagwahl, vor allem ein Gesicht von den Plakatwänden milde herablächeln: das von Markus Söder. Laschet hingegen bekommt man nur selten zu Gesicht, fast so, als sei der CSU der gemeinsame Kanzlerkandidat ein wenig peinlich.

Die CSU ist eine Besonderheit in der deutschen Politik. Die Mitte-rechts-Partei tritt nur in Bayern an, wo sie seit den 50er-Jahren ununterbrochen auch den Ministerpräsidenten stellt. Ihre grosse Schwesterpartei, die CDU, tritt hingegen überall in Deutschland an, nur nicht in Bayern. Söder, bayerischer Ministerpräsident und Chef der CSU, steht also gar nicht zur Wahl. Dennoch bestimmt er diesen Wahlkampf wie kaum ein anderer Spitzenpolitiker.



Ein warmer Spätsommervormittag Anfang September im Münchner Süden. Die CSU hat hier einen kleinen Wahlkampfstand aufgebaut, verteilt Flyer und versucht, Unentschlossene und Abtrünnige doch noch auf ihre Seite zu ziehen. Kurz zuvor sah eine Umfrage für den Fernsehsender ZDF die Union erstmals seit 19 Jahren hinter der SPD. «Mit Söder wäre das nicht passiert», sagt einer der Wahlkämpfer hinter vorgehaltener Hand. Für den älteren Herren ist klar: Laschet ist schuld. Schuld daran, dass die SPD an der Union vorbeizieht, und auch schuld daran, dass die CSU in den Umfragen nie gekannte Tiefen erreicht. Die bayerische Partei liegt derzeit bei unter 30 Prozent. So etwas hat es seit Menschengedenken nicht gegeben.

«Ich war für Markus Söder», sagt auch der CSU-Politiker und Bundestagsabgeordnete Andreas Lenz aus dem oberbayerischen Landkreis Ebersberg, östlich von München. «Die Entscheidung ist allerdings gefallen, wie sie gefallen ist. Auch Armin Laschet hat das Zeug zum Kanzler.»

Wahlplakate im oberbayerischen Ebersberg.
Wahlplakate im oberbayerischen Ebersberg.
Bild: Sven Hauberg

«Nicht der Kandidat der Herzen»

Für Michael Stifter, der als Ressortleiter Politik und Wirtschaft bei der «Augsburger Allgemeinen» den Wahlkampf verfolgt, war Laschet «von Anfang an nicht der Kandidat der Basis, nicht der Kandidat der Herzen, nicht der Kandidat der Umfragen». Der Journalist sagt: «Unter dem kurzen, aber harten Machtkampf mit Söder hat Armin Laschet dann noch mehr gelitten, weil er plötzlich wie eine Art Notlösung wirkte. Damals ist der Eindruck entstanden, Laschet wurde nur zum Kandidaten, weil er der Chef der grösseren Partei ist.»

Bei Markus Söder habe die Entscheidung für Laschet «das Gefühl einer Kränkung» hervorgerufen, glaubt Stifter. «Söder hat sich einfach für den besseren Kandidaten gehalten und tut das bis heute.» Söder steht nicht alleine da mit dieser Sichtweise, in allen Umfragen lag der Bayer stets vor dem jovialen Nordrhein-Westfalen Armin Laschet. Über Wochen stichelte Söder genüsslich gegen seinen Rivalen, liess keine Gelegenheit aus, sich als den einzig wahren Kandidaten zu präsentieren. Von Geschlossenheit keine Spur. «In diesem Machtkampf haben viele den alten Söder wiedererkannt, dem es vor allem um sich selbst ging», sagt Stifter.



Anders sieht das der CSU-Abgeordnete Lenz. «Armin Laschet wird von der CSU unterstützt», sagt er. «CDU und CSU kämpfen durchaus gemeinsam.» In den letzten Tagen scheint auch Söder zu dämmern, das da mehr auf dem Spiel steht als ein Kampf gekränkter Egos. Die Union befinde sich in «sehr ernster Situation», sagte der Politiker am Mittwoch in einem Radiointerview. Aus Sicht der Konservativen droht Deutschland nämlich etwas weitaus Schlimmeres als ein Bundeskanzler Armin Laschet: ein Linksrutsch der Bundesrepublik. Denn SPD-Kandidat Olaf Scholz, dem aktuelle Umfragen die besten Chancen aufs Kanzleramt einräumen, liebäugelt mit einem Bündnis mit den Grünen – und der Linken.

Die Linkspartei, die bislang noch in keiner Bundesregierung sass, ist zuletzt von Maximalforderungen wie einem Ausstieg auf der Nato ein Stück weit abgerückt, gilt vielen Konservativen aber dennoch als kommunistisches Schreckgespenst. Noch ist allerdings völlig offen, welche Koalitionen nach der Wahl möglich sind – rechnerisch und inhaltlich.

Kritisch beäugt: Markus Söder (rechts) und Armin Laschet im Juni auf einer Pressekonferenz zum gemeinsamen Wahlprogramm für die Bundestagswahl.
Kritisch beäugt: Markus Söder (rechts) und Armin Laschet im Juni auf einer Pressekonferenz zum gemeinsamen Wahlprogramm für die Bundestagswahl.
Bild: Keystone

Wahlkampfthema Klimawandel

Ins Hintertreffen geraten angesichts dieser Personal- und Koalitionsdebatten die Inhalte. «Es gibt zwei grosse Themen, die die Menschen in Deutschland derzeit am meisten umtreiben», hat Journalist Stifter beobachtet. Neben der Corona-Pandemie sei das «der Klimawandel, ein Thema, das durch die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands noch einmal neue Brisanz bekommen hat».

In Bayern selbst lässt sich jene grosse Konfliktlinie zwischen Klimaschutz und Industriepolitik, die auch im Wahlkampf immer wieder Thema war, besonders gut ablesen. Auf der einen Seite sind sich fast alle Parteien einig, dass mehr getan werden müsse im Kampf gegen die globale Erwärmung. Gleichzeitig ist Bayern einer der wichtigsten Industriestandorte der Republik, die Weltkonzerne Allianz, Siemens, Infineon und Münchner Rück haben hier ihren Sitz, ausserdem die Autohersteller BMW und Audi.



Auf der IAA Mobility, einer der grössten Automessen der Welt, präsentieren Letztere noch bis Sonntag ihre neuen Modelle. Die Messe findet erstmals in München statt und versucht sich an einem gewagten Spagat: Um Autos soll es gehen, das ist schliesslich der Markenkern der Messe, aber auch um andere Formen der Mobilität, ums Fahrradfahren etwa. Den grünen Anstrich nehmen Umweltaktivisten der IAA allerdings nicht ab. Schon im Vorfeld gab es Protestaktionen, die in den vergangenen Tagen noch einmal zugenommen haben. Plakate wurden entrollt, Autobahnen mussten gesperrt werden, weil sich Aktivisten von Brücken abgeseilt hatten. 

Auch Söder hat sich längst ein grünes Image zugelegt, inszenierte sich nach einem Volksbegehren 2019 gar als Bienenfreund. So richtig abgenommen hat auch ihm das kaum einer. Noch weniger scheinen die Wählerinnen und Wähler aber Armin Laschet zu glauben, dass er es ernst meint mit seinen Bekenntnissen zum Klimaschutz. Ein Klima-Kanzler dürfte Laschet kaum werden, auch dann nicht, wenn es wirklich von Nordrhein-Westfalen nach Berlin schafft. Markus Söder dürfte es freuen. Schliesslich weiss der Bayer: Er selbst würde einen besseren Job machen als der Mann von der CDU.