Neue Allianzen im Pazifik China schafft im Windschatten von Russland Fakten

Von Philipp Dahm

31.5.2022

Quad-Gipfel verpflichtet sich zu einem freien und offenen Indo-Pazifik

Quad-Gipfel verpflichtet sich zu einem freien und offenen Indo-Pazifik

STORY: Die Staats- und Regierungschefs von Japan, Indien, Australien und den USA haben bei Ihrem Gipfeltreffen in Japan ihre gemeinsame Haltung für die Notwendigkeit eines freien Indo-Pazifik-Raums betont. Russlands Angriff auf die Ukraine mache die Bedeutung dieses Zieles nur noch deutlicher, sagte US-Präsident Joe Biden. Das Völkerrecht und die Menschenrechte müssten immer verteidigt werden, egal wo auf der Welt sie verletzt würden. Der japanische Regierungschef Fumio Kishida erklärte, die russische Invasion erschüttere «die Grundlage der internationalen Ordnung» und stelle eine direkte Herausforderung für die Grundsätze der Vereinten Nationen dar. «Wir sollten nicht zulassen, dass ähnliche Dinge in der indo-pazifischen Region geschehen», sagte er. Der indische Staatschef Narendra Modi ging in seinen Ausführungen nicht auf die Ukraine oder Russland ein. Das Land unterhält langjährige Beziehungen zur Russland, das für Indien ein wichtiger Lieferant von Verteidigungsgütern und Erdöl ist. Ziel des Treffens sei auch, einem zunehmend selbstbewussten China entgegenzutreten und Differenzen unter anderem in Bezug auf Russland zu überbrücken, erklärte ein US-Beamter. Taiwan sei kein offizieller Punkt auf der Tagesordnung der Quad-Gruppe, aber es wird erwartet, dass es nach der Beistandszusage von US-Präsident Biden am Montag ein Schlüsselthema sein wird.

30.05.2022

Indien verlegt sechs Divisionen an die Grenze zu China, während Australien im Pazifik Alarm schlägt: Peking nutzt den Moment, in dem die Welt auf die Ukraine schaut, für seine Zwecke und macht vorwärts.

Von Philipp Dahm

Vor knapp einem Jahr sieht die Welt noch ganz anders aus. Das Aussenministerium in Washington macht Druck auf die Mitglieder der NATO. Nach dem Drängen der USA beschliesst das Bündnis Mitte Juni, China zu einer «Herausforderung für die Sicherheit» zu erklären.

Anfang dieses Jahres sorgt erst ein Bericht der US Navy für Furore, der vor einem Erstarken der chinesischen Marine warnt. Bald darauf boykottieren US-Politiker die Olympischen Spiele in Peking. Im April läuten vor allem in Australien die Alarmglocken, weil China überraschend eine Sicherheitskooperation mit den Salomonen eingeht.

Präsidenten vor Beginn der Olympischen Spiele unter sich: Wladimir Putin und Xi Jinpin (rechts) am 4. Februar 2022 in Peking.
Präsidenten vor Beginn der Olympischen Spiele unter sich: Wladimir Putin und Xi Jinpin (rechts) am 4. Februar 2022 in Peking.
Bild: AP

Dann kommt der 24. Februar 2022 – und plötzlich alles anders. Mit dem Einmarsch in die Ukraine zieht Russland in der öffentlichen Wahrnehmung an China vorbei. Die Aufmerksamkeit verlagert sich vom Pazifik ans Schwarze Meer – und Xi Jinping dürfte nichts dagegen einzuwenden haben, dass er nun im Windschatten eines Wolodymyr Selenskyj agieren kann.

Während die Weltöffentlichkeit nach Kiew und in den Donbass schaut, schafft Peking an seinen Grenzen Fakten. Zum Beispiel im Himalaya, wo sich die Spannungen mit Indien nach dem blutigen Grenz-Intermezzo im Juni 2020 einfach nicht legen wollen – trotz andauernder bilateraler Gespräche.

Immer wieder Spannungen mit Indien

Im Gegenteil: China hat mit dem Bau einer zweiten Brücke über den See Pangong Tso begonnen, berichtet der US-Sender CNBC. Das Problem: Die Demarkationslinie alias Line of Control (LAC) geht durch das Gewässer, weshalb die indische Seite über den Schritt alles andere als glücklich ist.

Lage des Pangong-Tso-Sees im Himalaya.
Lage des Pangong-Tso-Sees im Himalaya.
Google Earth

«Die Brücke gibt den Chinesen die Möglichkeit, Kräfte schnell vom nördlichen auf die südliche Seite des Pangong-Tso-Sees zu verlegen, die sie zuvor nicht hatten», erklärt der indische General Rohit Gupta das Offensichtliche. Das Gebiet ist seit den 60ern zwischen den beiden Staaten umstritten.

Peking wolle sich durch den Bau einen taktischen Vorteil sichern, doch Neu Delhi könne die Brücke auch ins Visier nehmen, warnt der indische Militär. Doch Indien hat bereits reagiert: Sechs Divisionen werden von der Grenze zu Pakistan abgezogen und in die Region Ladakh entsandt, hat Armee-Chef General Manoj Pande angekündigt.

Abkommen mit zehn Pazifik-Staaten – vorerst – gescheitert

Im Pazifik sitzt der Schock noch immer tief, nachdem China eine Sicherheitskooperation mit den Salomonen unterschrieben hat. Der Grund: Der Vertrag ermöglicht es Peking angeblich auch, Truppen auf der Inselgruppe zu stationieren, die in unmittelbarer Nähe der Schifffahrtsstrassen nach Australien liegt. Auch die Zerschlagung von Demonstrationen soll möglich sein, wie sie im November ausgebrochen sind, nachdem die Regierung die Anerkennung Taiwans zurückgezogen hatte.

Und wenn es nach China gegangen wäre, hätte diese Sicherheitskooperation sich noch deutlich ausgeweitet. Ein entsprechendes Abkommen mit neun weiteren Ländern in der Region ist jedoch gescheitert – zumindest vorerst. Die Vereinbarung sollte neben den Salomonen auch für Kiribati, Samoa, Fidschi, Tonga, Vanuatu, Papua-Neuguinea, die Cookinseln, Niue und Mikronesien gelten.

Die Inselstaaten Ozeaniens im Osten von Australien.
Die Inselstaaten Ozeaniens im Osten von Australien.
Gemeinfrei

Aus einem Entwurf des Abkommens geht hervor, dass unter chinesischer Leitung Polizisten in der Region ausgebildet werden sollen. Zudem soll die Zusammenarbeit der Polizei ausgeweitet werden. Geplant ist auch eine Vorgabe für den Fischfang. In dem Abkommen stellt die chinesische Regierung einen freien Handel mit den Nationen in Aussicht. Wang verwies auf Themen, bei denen sich die Länder geeinigt hätten.

Blinken: China grössere Gefahr als Russland

Über andere Punkte werde aber weiterhin verhandelt. «Nach dem Treffen wird China sein eigenes Standpunktpapier zu unseren eigenen Haltungen, Anregungen und Vorschlägen für die Zusammenarbeit mit Pazifik-Inselstaaten veröffentlichen», sagt der chinesische Aussenminister Wang Yi bei einer Pressekonferenz mit dem Ministerpräsidenten von Fidschi.

Kampf um den Pazifik: Eine chinesische J-15 startet am 31. Dezember 2021 vom Flugzeugträger Liaoning.
Kampf um den Pazifik: Eine chinesische J-15 startet am 31. Dezember 2021 vom Flugzeugträger Liaoning.
Bild: AP

Trotz der fehlenden Zustimmung für das grössere Abkommen erzielt Wang bei seiner Reise durch den Pazifik bilaterale Vereinbarungen: Die Regierung von Kiribati teilte mit, sie und China hätten zehn Vereinbarungen unterzeichnet, in denen es unter anderem um den Bau einer Brücke gehe. Wang trifft am 30. Mai Vertreter der zehn Staaten in Fidschi.

US-Aussenminister Antony Blinken erinnert nach dem Vorstoss daran, dass China langfristig eine grössere Gefahr als Russland darstelle. Es «ist das einzige Land mit sowohl der Absicht, die internationale Ordnung neu zu gestalten, als auch, zunehmend, der wirtschaftlichen, diplomatischen, militärischen und technologischen Macht, das zu tun». 

China will Inselketten überwinden

Das Abkommen ist gescheitert, weil der Präsident von Mikronesien einen Brandbrief an seine Kollegen geschickt hat. David Panuelo warnt darin vor einem neuen Kalten Krieg – im besten Fall – und einem Dritten Weltkrieg, wenn es ganz schlecht laufe. Der Vertrag könnte potenziell Spannungen erhöhen und die Stabilität in der Region gefährden.

China will mit solchen Deals einen taktischen Nachteil ausgleichen: Mit Militärbasen in einem oder mehreren der Inselstaaten könnte Peking die begrenzenden Inselketten durchbrechen, die ihnen vorgelagert sind und unter dem Einfluss der USA stehen.

Die First Island – und Second Island Chain vor Chinas Küste.
Die First Island – und Second Island Chain vor Chinas Küste.
Gemeinfrei

Dagegen halten vor allem die Mitglieder des Quadrilateral Security Dialogue alias Quad, zu denen Australien, Indien, Japan und die USA gehören. Und Japan will nun seine Rüstungsausgaben weiter steigern: Fumio Kishida läutet eine Zeitenwende in Tokios Sicherheitspolitik ein. Der Premier, der ausgerechnet der liberalen Partei LDP angehört, will nicht nur mehr Geld für die Armee, sondern zudem eine neue Militärdoktrin, die auch präventive Angriffe erlaubt.

Japan könnte drittgrösste Militärmacht werden

Diese sind laut der Verfassung aus der Nachkriegsära bisher passé, doch das dürfte sich bald ändern. Noch liegt Japan im Global Firepower Index an fünfter Stelle – hinter den USA, Russland, China und Indien. Doch wenn die Militärausgaben auf das Ausgaben-Niveau der NATO angehoben würden, wird Tokio aufsteigen.

«Wenn Japan zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgibt, wird es die drittgrösste Militärmacht», sagt die japanische Friedensaktivistin Akira Kawasaki dem «Guardian». Das mache einige Menschen im In- und im Ausland nervös, warnt sie. Doch gleichzeitig scheint dasselbe auch für den Krieg in der Ukraine zu gelten.

Neue Militärdoktrin: Die indische INS Chennai (links) mit der JS Kaga im Jahr 2018 – der japanische Helikopter-Träger wird aktuell zu einem Flugzeugträger umgebaut.
Neue Militärdoktrin: Die indische INS Chennai (links) mit der JS Kaga im Jahr 2018 – der japanische Helikopter-Träger wird aktuell zu einem Flugzeugträger umgebaut.
Bild: Indische Marine

«Immer mehr Leute in Japan inklusive [Premier] Kishida argumentieren, dass die russische Invasion kein Präzedenzfall sein darf, den China in Asien wiederholt», analysiert Michito Tsuruoka von der Tokioter Universität Keio. «Wenn wir über den Krieg in der Ukraine nachdenken, haben wir China im Sinn.»

Die Bevölkerung steht dabei anscheinend hinter dem Kurswechsel: 64 Prozent der Teilnehmer*innen einer Umfrage haben sich zuletzt dafür ausgebrochen, mehr Geld in die Verteidigung zu stecken – und nur zehn Prozent dagegen. Eine andere Umfrage sieht beide Lager auf gleicher Höhe bei etwa 46 Prozent jeweils gleichauf.

Mit Material von dpa.