Konflikt im Himalaja Chinesische und indische Soldaten prügeln sich an der Grenze

Von Stefan Michel

16.12.2022

Schlagstöcke statt Schusswaffen: Chinesische und indische Soldaten geraten im umstrittenen Grenzgebiet immer wieder aneinander. Ein Abkommen verbietet ihnen den Gebrauch von Schusswaffen.
Schlagstöcke statt Schusswaffen: Chinesische und indische Soldaten geraten im umstrittenen Grenzgebiet immer wieder aneinander. Ein Abkommen verbietet ihnen den Gebrauch von Schusswaffen.
Twitter/@AshokSGarcha

Zwei Atommächte gehen mit Knüppeln und Steinen aufeinander los. So geschehen an der indisch-chinesischen Grenze im Himalaja. Das Problem: Die Länder sind sich über den Grenzverlauf uneins.

Von Stefan Michel

Die Szene mutet mittelalterlich an: Dutzende Männer in Feldgrün gehen mit Knüppeln aufeinander los. Gemäss Medienberichten sollen auch Steine und Fäuste geflogen sein. Der Vorfall soll sich am 9. Dezember ereignet haben. Ein paar Tage später tauchten Videos davon auf Twitter auf. Es habe auf beiden Seiten Verletzte, aber keine Toten gegeben.

Die Reaktionen Indiens und Chinas sind spiegelbildlich: Beide Seiten werfen der jeweils anderen vor, auf ihr Staatsgebiet vorgedrungen zu sein. Ihre eigenen Soldaten hätten die gegnerischen zurückgedrängt, fasst das Redaktionsnetzwerk Deutschland die Verlautbarungen zusammen. 

Das ist sinnbildlich für den Konflikt, denn die beiden Staaten haben sich nie auf einen Grenzverlauf geeinigt. Als sich die Kolonialmacht Grossbritannien Ende der Vierzigerjahre aus Indien zurückzog, habe sie es schlicht nicht für nötig befunden, die Grenze in einer so abgelegenen, kargen Region auf 4'200 Metern über Meer festzulegen. Das unabhängige Indien und die Volksrepublik China konnten sich in der Folge nie auf einen definitiven Verlauf einigen.

1962 kam es zum bisher heftigsten Zusammenstoss. Chinesische Truppen rückten weit über die Demarkationslinie vor und töteten dabei Tausende indische Soldaten. Erst die Garantie der USA, Indien zu unterstützen, bewog die Volksbefreiungsarmee, sich aus dem eroberten Gebiet zurückzuziehen.

Schusswaffen sind eigentlich verboten

In den letzten Jahren haben Scharmützel im umstrittenen Gebiet zugenommen. Seit 1996 hatten sich beide Seiten darauf geeinigt, im umstrittenen Gebiet die Truppen ohne Feuerwaffen patrouillieren zu lassen, um zu verhindern, dass die Dinge ausser Kontrolle geraten. Trotzdem gab es im Sommer 2020 Tote. Die BBC publizierte später Fotos von mit Nägeln beschlagenen Knüppeln, die die chinesischen Soldaten verwendet hätten.

2022 halten sich die Grenztruppen also wieder an das Feuerwaffenverbot. Nach der Schlägerei hätten sich die Kommandanten der beiden involvierten Truppen zudem getroffen, «um die Sache im Einklang mit vereinbarten Mechanismen zu diskutieren», wie sich der indische Verteidigungsminister gemäss dem britischen «Guardian» ausdrückte. 

Der jüngste Zusammenstoss hat im Distrikt Tawang stattgefunden (rot umrandet). Im Norden liegt China, im Westen das Königreich Bhutan, südlich und südwestlich ist indisches Staatsgebiet.
Der jüngste Zusammenstoss hat im Distrikt Tawang stattgefunden (rot umrandet). Im Norden liegt China, im Westen das Königreich Bhutan, südlich und südwestlich ist indisches Staatsgebiet.
Google Maps

Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums beantwortete eine Frage nach der chinesischen Interpretation der Geschehnisse mit der Feststellung, die chinesisch-indischen Grenzgebiete seien generell stabil und beide Seiten hätten die Kommunikation auf diplomatischen und militärischen Kanälen offen gehalten. 

Provokation, aber keine Eskalation

China und Indien bauen auf ihren Seiten der Kontrolllinie Strassen und weitere Infrastruktur und beschuldigen sich gegenseitig, Befestigungsanlagen zu errichten. Dies führt in regelmässigen Abständen zu Zusammenstössen.