Russland bombardiert Wohngebiete Darum verhängt die Nato keine Flugverbotszone

uri

17.3.2022

Kämpfe in der Ukraine gehen weiter

Kämpfe in der Ukraine gehen weiter

Unterdessen werden die Verhandlungen über eine mögliche Waffenruhe fortgesetzt.

17.03.2022

Unablässig fordert die Ukraine eine Flugverbotszone über dem Land – und stösst damit bei der Nato auf taube Ohren. Warum will das Militärbündnis eine solche No-Fly Zone nicht einrichten?

uri

17.3.2022

«Schliessen Sie den Luftraum, bitte beenden Sie diese Bombardements»: Diese Botschaft wiederholt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj derzeit in Video-Ansprachen vor den Parlamenten westlicher Länder, etwa in Kanada, den USA oder zuletzt in Deutschland und fordert damit die Einrichtung einer Flugverbotszone. Nur: Der Westen sperrt sich bislang deutlich gegen einen solchen Schritt. Fragen und Antworten zur Problematik. 

Was ist eine Flugverbotszone?

Bei einer Flugverbotszone (englisch: no-fly zone oder abgekürzt NFZ) handelt es sich um einen Luftraum, bei dem aus militärischen Gründen sämtliche Flugbewegungen verboten werden. Es können jedoch Ausnahmen bestehen, etwa für Luftfahrzeuge mit humanitärem Zweck.

Eine NFZ wird meist zum Schutz einer Konfliktpartei in einem Krieg oder Bürgerkrieg errichtet. Im Falle der Ukraine – die die Kontrolle über ihren eigenen Luftraum verloren hat – müssten sie von westlichen oder anderen Mächten durchgesetzt werden, um russische Kräfte etwa daran zu hindern, Städte und Regionen zu bombardieren oder mit Raketen zu beschiessen.

Ein Feuerwehrmann steht am 16. März 2022 in Kiew vor einem durch russischen Beschuss zerstörten Haus. 
Ein Feuerwehrmann steht am 16. März 2022 in Kiew vor einem durch russischen Beschuss zerstörten Haus. 
Bild: Keystone

Wer soll laut Wunsch der Ukraine eine solche Zone durchsetzen?

Wolodymyr Selenskyj und andere ukrainische Politiker und Diplomaten wenden sich unablässig an westliche Nato-Staaten, dass sie eine Flugverbotszone über der Ukraine durchsetzen sollen. Unterstützung erfährt die Ukraine bei der Forderung auch von anderen Ländern, etwa vom Nato-Mitglied Estland. Kalle Laanet, der Verteidigungsminister des Landes, sagte am Mittwoch am Rande von Beratungen in der Nato-Zentrale in Brüssel: «Alle Staaten, die eine Flugverbotszone kontrollieren können, müssen handeln.» Nach derzeitigem Stand eignet sich dafür nur der Nordatlantikpakt.

Welche Nato-Kräfte kommen infrage?

Die Nato würde die NFZ durch die Nato Response Force (NRF) durchsetzen. Die Eingreiftruppe verfügt über entsprechende Kontingente an Bodenstreitkräften, Luftstreitkräften, Marineeinheiten und Spezialeinheiten, etwa auch einer Flugzeugträger-Kampftruppe. Der Luftraum würde ebenfalls durch AWACS-Flugzeuge der Nato überwacht. Im Falle von Verstössen müssten Abfangjäger eingreifen und notfalls russische Flugzeuge abschiessen, falls diese nicht auf Warnungen reagieren.

Warum sperrt sich die Nato dagegen?

Die Nato-Staaten befinden sich seit Beginn des Ukraine-Krieges im Dilemma, die Ukraine einerseits zu unterstützen – was sie etwa mit Waffenlieferungen und Geld machen –, dabei aber nicht in direkte Konfrontation mit Russland zu geraten. Russland hat bereits deutlich markiert, dass es bereits Waffenkonvois aus dem Westen als «rechtmässige Ziele» betrachtet.

Zu einer möglichen Flugverbotszone durch die Nato sagte der russische Präsident Wladimir Putin: «Jede Bewegung in diese Richtung wird von uns als Teilnahme des jeweiligen Landes an einem bewaffneten Konflikt betrachtet.» Es spiele dabei auch keine Rolle, welcher Organisation diese Länder angehörten.

Eine russische Tupolew Tu-22M wirft Bomben ab. (Archiv)
Eine russische Tupolew Tu-22M wirft Bomben ab. (Archiv)
Bild: Keystone

Würde die Nato eine Flugverbotszone über der Ukraine installieren, müsste sie selbstverständlich auch in der Lage sein, diese durchzusetzen. Das bedeutet, dass sie russische Luftfahrtgeräte aller Art, die dann noch in den Luftraum eindringen oder das ermöglichen – dazu gehören etwa auch Boden-Luft-Raketen oder Flugfelder – notfalls bekämpfen müsste. Das wäre ein aktives Eintreten in den Krieg und könnte zu einer verhängnisvollen Eskalationsspirale mit Russland führen, das bereits mehrmals unverhohlen mit Atomwaffen gedroht hat.

Die meisten Nato-Staaten äussern sich deshalb konsequent abwehrend hinsichtlich der Forderung. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte zuletzt, man verstehe die Verzweiflung der Ukraine, sei aber überzeugt, dass ein solcher Schritt zu einem grossen Krieg in ganz Europa führen könnte.

Wie reagiert die Ukraine auf das Nein der Nato?

Dass eine Flugverbotszone existenzielle Bedeutung für die Ukraine hat, macht Präsident Selenskyj unentwegt klar. Als die Diskussion am ersten Märzwochenende hochkochte, richtete er deshalb deutliche Kritik an die Nato. In einer Rede erklärte er, die Bündnis-Staaten hätten selbst die Erzählung in die Welt gesetzt, dass eine Schliessung Luftraums über der Ukraine eine direkte russische Aggression gegen sie provozieren würde. Die Allianz habe damit «grünes Licht für die Bombardierung ukrainischer Städte und Dörfer gegeben».

Zuletzt redete Selenskyj nicht mehr so scharf. Am Mittwoch forderte er vor den beiden Kammern des US-Kongresses neben neuen Sanktionen gegen Russland und mehr Waffen aber einmal mehr eine «humanitäre Flugverbotszone», damit Russland die ukrainischen Städte nicht mehr «terrorisieren» könne. «Russland hat den ukrainischen Himmel zur Quelle des Todes für Tausende Menschen gemacht», sagte Selenskyj. Die russischen Streitkräfte hätten bereits etwa 1000 Raketen auf die Ukraine abgefeuert und «zahllose Bomben».

Wie sieht es rechtlich aus?

Rechtlich betrachtet sind Flugverbotszonen stets umstritten, da sie einen direkten militärischen Eingriff in die Souveränität eines Landes bedeuten. Laut dem Völkerrecht kann zudem nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Flugverbotszone beschliessen – in dem Russland zudem einen ständigen Sitz hat und den Beschluss per Veto verhindern würde. In einem solchen Fall müsste die Nato dann ohne die Rückendeckung der UNO agieren und müsste sich dem Vorwurf aussetzen, völkerrechtswidrig zu handeln.

Was sagen Sicherheitsexperten?

Das Gros westlicher Beobachter hält das Verhalten der Nato, keine NFZ zu installieren, für richtig. Der deutsche Militärexperte Thomas Wiegold warnt gegenüber dem  Fensehsender NTV etwa: «Wenn Nato-Länder eine Flugverbotszone einrichten und auch durchsetzen, dann ist die NATO Kriegspartei». Man hätte in diesem Fall einen Krieg «Nato gegen Russland oder Russland gegen Nato», so Wiegold. Gleiches befürchtet auch Claudia Major, die Leiterin Forschungsgruppe Sicherheitspolitik beim deutschen Think-Tank Stiftung Wissenschaft und Politik, der auch die Bundesregierung berät. «Damit bestände das Risiko, dass die Nato in den Krieg mit Russland eintritt und damit möglicherweise eine noch grössere Katastrophe hervorruft, als wir jetzt schon sehen», sagte sie dem ZDF.

In Irpin, westlich von Kiew, geht am 4. März 2022 ein Wohnhaus nach russischen Angriffen in Flammen auf.
In Irpin, westlich von Kiew, geht am 4. März 2022 ein Wohnhaus nach russischen Angriffen in Flammen auf.
Bild: Keystone

Howard Stoffer, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität von New Haven und ehemaliger Beamter des US-Aussenministeriums, fasste das Dilemma gegenüber dem Sender ABC News in Worte: «Obwohl wir alle hassen, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist es sehr schwer, sich zurückzulehnen und gleichzeitig zu sagen, dass wir die Mittel haben, das zu stoppen, aber wir auch die nationale Verpflichtung haben, nicht in einen Krieg mit Russland zu ziehen.»

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AP